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(picture alliance) Wo findet man die große Liebe? Im Internet jedenfalls nicht, glaubt Milosz Matuschek

Onlinedating - Samenspender sucht Singlefräulein

Gibt es sie doch, die Liebe fürs Leben? Milosz Matuschek und Alexandra Kilian, beide Singles, wollten es wissen: Sie haben über 100 digitale und analoge Kontaktanzeigen ausgetestet, trafen sich mit Müttern und Milchreisbubis. Bei Cicero Online lesen Sie einen Vorabdruck ihres Buches „Mann mit Grill sucht Frau mit Kohle“

Der Tragödie erster Teil: Er sucht Sie

Ich finde ja, dass Kontaktanzeigen eher was für die Oma-Generation sind. Aber wenn Alexandra dadurch so leicht an heiße Metzger und Lageristen rankommt, dann ver­suche ich das auch mal. Bis sie mir das bei einem Kaffee verraten hat, ließ sie mich übrigens sechs Wochen warten. Ganz schön gemein, das Fräulein Hannover. Wird höchste Zeit, dass ich mal richtig loslege. Alexandra springt immerhin schon über ihren großbürgerlichen Schatten und datet.

Und ich? Ich bin immer noch der König der Singles von der Dorf-Bushaltestelle. Dabei kenne ich mich mit Kontaktanbahnung doch aus. Zumindest mit der pro­fessionellen Tour. Als ich 19 war, kam ich auf die ver­quere Idee, mich in meinen Konfirmandenanzug zu zwängen, den Motor meines Audi 80 anzuwerfen und im bayerischen Hinterland Versicherungen an der Wohnungstür zu verkaufen. Eigentlich arbeitet man in dieser Drücker-Branche auf „Empfehlung“. Da mich halbwüchsige Presswurst in Nadelstreifen aber niemand weiterempfahl, griff ich gerne mal zu dem „großen gelben Empfehlungsbuch“. Genau, das mit den vielen Nummern und Namen.

„Hallo, hier ist Milosz Matuschek, kann ich mit Steffi Bierbichler sprechen?“ – „Die ist nicht zu Hause.“ – „Hm, sind Sie der Vater?“ – „Nein, ich bin die Oma.“ – „Oh, Entschuldigung, na, dann rufe ich später noch mal an.“

Reich wurde ich mit diesem Job nicht. Und mit Steffi Bierbichler wurde es auch nichts. Aber immerhin habe ich in vielen Wohnzimmern gesessen, Käsekuchen ge­­ges­sen und etwas über die Fortpflanzung von Kühen ge­­lernt.

Mein Eindruck, wenn ich im Stadtmagazin blättere: Gibt es hier denn eigentlich gar keine Frauen? Ich finde irgendwie nur Männer, und meistens auch noch solche, die sich für Toiletten halten. In der normalen Sparte „Sie sucht ihn“ werde ich fündig. Wobei „normal“ ein dehnbarer Begriff ist: „Wirke, Heiliger Geist! Gläubige Katholikin (43) mit Kind (5) sucht gläubigen Katholiken, wenngottwill@xyz.de“

Zwischen pervers und katholisch finde ich erst mal nichts. Wobei: Liegt ja beides auch manchmal nah bei­einander… Ich schreibe ihr als „Suchender“ (nicht als Katholik) und ob man sich nicht mal treffen wolle. Aus dem Verein Kirche bin ich nämlich inzwischen ausgetreten. Und ich will nicht gleich in der ersten Mail lügen. Polnische Herkunft und Messdienerkarriere in Oberbayern sollten ge­­nügen, um bei Bedarf glaubhaft den Katholiken spielen zu können. Wenn, ja wenn der Heilige Geist denn mal wirken wollte.

[gallery:Wie man sich heute in Dating-Chatrooms präsentiert]

Wir schreiben uns zwei Monate lang E-Mails. Ver­einbaren Treffen. Verschieben sie wieder. Die Wege des Herrn sind ja manchmal unergründlich. Vielleicht ist das eine dieser alttestamentarischen Prüfungen, durch die be­­wiesen werden soll, wie stark der Glaube tat­sächlich ist? Es vergehen vier Monate. Der Heilige Geist wirkt immer noch nicht. Langsam glaube ich eher, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr kriecht, als dass ich meine Katholikin endlich treffe. Nach sechs Monaten wünsche ich mir, dass Moses mit neuen Gesetzestafeln vom Berg Sinai herabsteigt und ihr Folgendes über­mittelt:

Erstes Gebot: Du sollst den Mann, der dir so nett schreibt, auch mal treffen.
Zweites Gebot: Nach mehr als zehn Mails ohne Treffen drohen Exodus und Apokalypse gleichzeitig!

Mal ehrlich, Fräulein Kilian. Kontaktanzeigen sind für ’n Arsch.

Bis der Heilige Geist wirkt, versuche ich mein Glück bei irdischeren Exemplaren: „Keine Zeit für Beziehung 39, 1,68, schl., kurzhaarig, witzig, sportl., su. klugen, unterhaltsamen m, bin wirkl. busy und su. deshalb gerade keine Beziehung, aber eine Affäre (keine ONS) mit einem linksradikalen M., nur Singles, BmB, Schreib an: mammutvonlinks@xyz.com“

Für das, was das „Mammut von links“ sucht, wäre sie zu Jesu Zeiten zwar gesteinigt worden, aber ich war glücklicherweise noch nie auf der Seite der Pharisäer und Schriftgelehrten. Ich schreibe ihr eine Mail mit dem Betreff „Grizzly von rechts!“ und komme mir ziemlich witzig dabei vor. Zugegeben: Ob ich einen guten Che Guevara abgebe, weiß ich nicht. In meinem Schrank verstaubt aus Münchner Zeiten noch ein rosa Polohemd. Dieses kann man in Berlin höchstens zur Faschingszeit anziehen. Sie schreibt trotzdem zurück. Im Betreff ihrer Mail lese ich statt „Re:“ oder „Hi“: „Gleiche Einkommensverhältnisse für alle!“

Seite 2: Suche nach drei gescheiterten Beziehungen erst mal „was für untenrum“

Hm. Es mag ja Leute geben, auf die so ein Satz ordentlich erotisierend wirkt. Vor allem in Berlin. Mich bringt er ins Grübeln. Ist das ein Codewort, so wie „BmB“ (Bitte mit Bild) oder „ONS“ (One Night Stand)? Ich bin ja grundsätzlich schon sehr für Gerechtigkeit und auch dafür, dass beim Sex jeder „auf seine Kosten“ kommt. Daher antworte ich: „Bin auch sehr für gleiche Einkommensverhältnisse!“ Es wirkt. Wir verabreden uns ziemlich schnell auf ein „Heißgetränk“, um uns näher zu „beschnuppern“, wie sie schreibt. Doch das Mammut hat offenbar weder für eine Beziehung Zeit noch für ein Date. Ich werde versetzt. Ob sie in der Zwischenzeit die Weltrevolution plante, Häuser besetzte oder Autos anzündete, erfahre ich nie.

Mit dem Zitty-Milieu werde ich nicht wirklich warm. Ich versuche es auf einer großen Online-Plattform. Wen ich suche? Nach drei gescheiterten Beziehungen erst mal „was für untenrum“. Aber bitte mit geistigem Niveau. Eine, die mir geistig Paroli bietet und auch ein bisschen durchgeknallt ist. Ich glaube nicht, dass man die große Liebe findet, wenn man gezielt nach ihr sucht. Im In­­ternet nenne ich mich wie der Teufel aus Faust I, „Me­­phisto80“. Das klingt so schön diabolisch und ge­­heim­nis­voll und täuscht klassische Bildung vor.

Den Rest sollen meine Antworten auf ein paar der „100 Fragen“ besorgen: „Ja, Treue ist wichtig, Liebe auf den ersten Blick gibt es, und ich würde meiner Herzaller­liebs­ten auch mal aus einem Buch vorlesen“, schreibe ich. Wer denkt sich nur solche tiefenpsychologischen Fragen aus wie „Was ist gutes Essen?“ oder „Wann ist ein Mann ge­­pflegt?“.

So, gucken wir uns mal ein bisschen um hier. Auf einem Online-Dating-Portal muss man es sich im Grunde vorstellen wie in einem Büro. Da findet man:

Die Locher

Es gibt Frauen im Internet, die wollen am liebsten alles von einem wissen, von der Unterhosengröße bis zur Intimrasur. Sie löchern einen dauernd mit Fragen. Und das sind nicht unbedingt die dringlichsten. „Warum sprichst du polnisch und wohnst in Deutschland?“ – „Es nennt sich Umzug, weißt du.“

„Miss Beauty28“ aus Hamburg ist meine erste Locherin. Auf dem Foto, das sie mir schickt, sehe ich eine persische Schönheit mit Zahnpastalächeln und pechschwarzer Mähne wie eine Araberstute. Ich bin sofort „verliebt“. Dass sie Personalchefin ist, überlese ich irgendwie. Das stellt sich als großer Fehler heraus. Bei unserem „Telefoninterview“ werde ich auf Herz und Nieren geprüft, wie ein Lämmchen auf einem arabischen Basar. Aus der anfänglich begeisterten Scheherezade („wirkst spannend, kennenlernen??“) wird eine kleine Ratingagentur. „Wo siehst du dich in zehn Jahren?“ – „Weiß nicht so recht, ich lebe im Hier und Jetzt.“ – „Hmm, das gibt jetzt aber einen kleinen Minuspunkt, hihi.“
Ich komme erst mal auf ein solides „AA+“, schätze ich. Nach der Karrierefrage („Und, willst du mal als Jurist arbeiten?“) bin ich bei „BB–“.

„Das gibt jetzt leider wieder einen Minuspunkt“. Diesmal schon ohne „hihi“. Sie meint es wirklich ernst. Als wir meine Moral­vorstellungen erörtern, bin ich eine griechische Staatsanleihe: Ramschniveau und Kandidat für die „geordnete Insolvenz“. Dabei hatte ich ihr nur die berechtigte und sich irgendwie aufdrängende Frage gestellt, ob sie auch im Bett Haltungsnoten verteilt.

Die Tacker

Die Tacker-Frauen wollen sofort die totale Verbindlichkeit. Das läuft in etwa so: Man schreibt sich zwei Mails und schuldet sich dann ein Leben lang Treue. Früher nannte man das übrigens Ehe.

Ganz schlecht ist es aus Sicht der Tacker-Frauen, wenn man der Liebsten am nächsten Morgen nicht gleich den virtuellen Kaffee ans Bett bringt und sie fragt, wie sie geschlafen hat. Dann bekommt man ein „Na, kennst du mich etwa nicht mehr?“ inklusive Heul-Smiley als gelbe Karte ins Mailfach gelegt. Ignoriert man die Klette mehr als zwei Mal, kann es sein, dass der ganze Korb mit weiblichen Vorwürfen über einem ausgeschüttet wird. Das klingt dann so: „Symphonie9“, 27, Berlin: „Sag mal, gefalle ich dir kein bisschen? Bist du null neugierig? Oder meinst du es hier wie fast alle nicht ernst, spielst einfach nur :( oh man, es scheint keinen Mann in meinem Alter mehr zu geben, der mir gefällt und noch nicht vergeben ist.“ Nur, um zwei Stunden später noch nachzulegen: „Du bist sehr kühl, verdammt, dass so ein Verhalten fasziniert.“

Seite 2: Die Post-its und die Mülleimer

Die Post-its

Die „Post-it-Frauen“ sind wie die gelben quadratischen Büropapierchen. Sie sind ziemlich auffällig, nervig und kleben etwas. Sie glauben, jedes Profil mindestens einmal grüßen zu müssen, wie die Stewardess an der Flugzeugtür. „Willkommen hier, na, haste schon wen kennengelernt?“, ist so das Standard-Begrüßungs-Post-it. Es wird besonders gerne von Verwaltungsfachangestellten des Bürgeramts Pankow am Montag zur Knoppers-Pause per Copy & Paste an die Plattformneulinge verschickt.

Post-it-Frauen werden leider notorisch übersehen. So wie die Zettel, auf denen „Putz das Klo“ steht oder „Finger weg von meinem Jogurt, Angelika!“. Deshalb muss sich die Post-it-Frau immer wieder in Erinnerung bringen und am besten täglich grüßen, wie das Murmeltier. Klickt man nichtsahnend ihr Profil an, bekommt man schnell einen Zettel mit „Schade, dass du nur geguckt hast“ oder „Suchst du was auf meinem Profil?“ auf den Rücken geklebt. Beliebt ist auch „Wollte mal ’nen Gruß dalassen“. So mancher hat bestimmt schon eine Lagerhalle voller Grüße von allen Sabines, Gabys und Brittas der Republik. Besonders notorisch bei mir ist Frau „BerlinerKindl44“. Mehr zu ihr später.

Die Mülleimer

Halt, das bin ich! Mülleimer ist ganz klar meine Funktion. Ich schlucke sogar Bio- und Sondermüll und alles, was unter das Jugendschutzgesetz fällt. Ich weiß auch nicht, woran es liegt. Ist mein Foto zu lieb? Trage ich auf irgendeinem Foto orangene Latzhosen wie die Berliner Stadtreinigung? Irgendwie wecke ich den Impuls in manchen Frauen, mir ihr Herz auszuschütten.

So wie bei „Frau_Kock“ (Schreibt man das nicht mit „c“? Egal). Sie ist 19, Schülerin, wohnt in einer Kleinstadt im hohen Norden und trägt gerne Leggins auf den Fotos, wie Peggy Bundy. Das ist äußerst praktisch, denn Hosen sind ab 120 Kilogramm schwer zu finden. Sie hat Brüste wie Melonen nach einem Atomunfall und auch keine Scheu, sie dem Betrachter auf jedem Bild um die Ohren zu schlagen. Auf einem Foto trägt sie ein Stirnband. Oder ist da das Magenband hoch ins Großhirn ge­­rutscht?

Leider liest sie Profile. Irgendwo muss ich den ver­heerenden Satz geschrieben haben, dass ich mir irgendwann – in ferner Zukunft, vielleicht im Opa-Alter, wenn ich neben Skat spielen Zeit haben sollte usw. – mal Kinder vorstellen könnte. Seitdem bin ich der Samenspender ihrer Wahl. „Hallo, schöner Mann“, steht in ihrer ersten Mail. Fünf Minuten später folgt die zweite: „Du schreibst, dass du Kinder willst! Ich auch! Wenn es so weit ist, werde ich weinen vor Freude.“ Ich bin überzeugt, das wird eine ganz schrecklich nette Familie.

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Beliebt sind auch Beschwerden über Männer. Ich Mülleimer verwandele mich dann wahlweise auch in einen Kummerkasten. S., 29, aus Hamburg, ist offenbar ein Magnet für pri­mi­tive Männer-Mails. Sie hat sogar ein Blog darüber gestartet. Kostprobe? Er (24): „Dein titten im dritten bild ist zum verschmelzen …“ Sie: „Ja, ich glaub, deine Gehirnzellen sind da auch ’n bissel verschmolzen.“

Es geht noch poetischer: Er (31): „Fuck, dein Blick versenkt mich! ;-)“ Sie: „Das tut mir leid.“ Er: „Hey S., ich suche jemanden, der mir gerne zu­schaut, hast du nicht Lust? :-P. Lieben Gruss, Samuel.“ Sie: „Was genau an der Formulierung in meinem Profil ›sucht Mann für feste Beziehung‹ hast du nicht verstanden?“

Offenbar gibt es Männer auf Online-Kontaktbörsen, die es auf der niedrigsten Stufe der Kontaktanbahnung versuchen. Und damit sind nicht die Millionen „Hi-Sager“ oder „Smiley-Sender“ gemeint. Ich meine ganz konkret: die „Bukkake-Bande“. Über diese klagt E. (23) aus Offenbach. Sie werde ständig von einem Kerl angeschrieben, der sie zu einer „Bukkake-Party“ bei sich einladen will. Toll, dass es so was jetzt auch schon in Offenbach gibt, denke ich. Aber warum muss das in 50 Mails mir erzählt werden?

Eine Woche später fragt mich F. (24) aus Berlin: „Wat is ’n Bukkake?“ – Ah, die Offenbacher Bande hat ihre Tätigkeit nun auch schon auf die Hauptstadt ausgedehnt, denke ich. „Guck mal bei YouPorn nach! :)“ Okay, meinetwegen. Ich erkläre es ihr.

Seite 4: Kurzes Dating-ABC. Heute: „B“ wie Bukkake

Kurzes Dating-ABC. Heute: „B“ wie Bukkake

Bu|kka|ke, n, das, Substantiv; japanisches Fest der Fruchtbarkeit. ~ ist ein Ritual, bei dem eine Frau mehreren Männern gleichzeitig den Hahn zur Quelle allen Lebens aufdreht. Danach sieht sie leider so aus, als wäre sie mit dem Gesicht in eine ­Sahnetorte gefallen. F. (24) antwortet leider nicht mehr. Habe ich was Falsches gesagt? Was hat sie denn gegen Sahnetorte? Vielleicht hat sie doch bei YouPorn nachgesehen.

Von Marcel Reich-Ranicki stammt der denkwürdige Satz: „Man kann nicht mit jeder Frau auf der Welt schlafen.“ Das ist, wie alles, was der Literaturpapst sagt, von bestechender Logik, wenn auch tragisch. Aber der Satz geht ja noch weiter: „Das heißt aber noch lange nicht, dass man es nicht wenigstens versuchen sollte!“

Im Internet sind scheinbar alle Männer damit beschäftigt, dieses Ziel zu erreichen. Das erzählen mir zumindest die Frauen. Alle außer mir. Das müssen wir ändern. Ich starte eine Aktion.

[gallery:Doppelausstellung: Fotoakt im Bleistift-Stil]

Auf Discovery Channel habe ich mal eine Reportage gesehen. Fragt man 100 wahllos ausgesuchte Frauen, ob sie spontan Lust hätten, mit einem Mann zu schlafen, sagen circa zwei Prozent: „Ja.“ Also ungefähr zwei von 100. (Bei Tests mit Männern sagt ungefähr die gleiche Anzahl „Nein“.) Zwei Prozent klingt nach einer schlechten Ausbeute. Aber im Internet kann man in etwa 20 Minuten locker 100 Frauen anschreiben. 20 Minuten Investition für Sex? Klingt nach einer besseren Ausbeute. So lange wartet man an einem Samstagabend allein schon vor der Clubtür. Wer das jetzt für unmoralisch und platt hält, der sollte meine äußerst charmante Mail lesen:

„Ich weiß, dass es sich eigentlich nicht gehört, mit der Tür ins Haus zu fallen. Die Choreografie des Kontaktgesprächs sieht eigentlich vor, dass wir uns
1. zuerst schreiben,
2. dann etwas trinken gehen,
3. uns tief in die Augen sehen und dann vielleicht
4. miteinander schlafen.
Ich würde gerne Punkt 1– 3 auslassen. Was meinst du?“

Bei der Wahl meiner Zielobjekte bin ich nicht sehr wählerisch. Ich schieße mit der Schrotflinte auf alles, was sich bewegt, und schreibe an Buchhalterinnen, Tierärztinnen, Rechnungsprüferinnen, Studentinnen, Doktorandinnen, Gärtnerinnen und PR-Beraterinnen im Alter von 18 bis 47 Jahren. Sie heißen „belle82“, „miss-anthrop“, „katie4u“, „zweisamkeit27“, „kara_mell“. Sogar eine „gierig89“ ist dabei.

Seite 5: Da ich ein guter Mensch bin, schreibe ich sogar nach Halberstadt

Keine Ecke Deutschlands ist vor mir sicher. Wie eine Pusteblume verstreue ich meine Saat über die Republik und hoffe, dass sie auf fruchtbaren Boden fällt. Ich liefere Liebe frei Haus nach Kiel und Hamburg, Berlin, ­Hannover, Leipzig, München, Rosenheim, Münster und Stuttgart. Sogar nach Bingen und nach Neuss. Und da ich ein guter Mensch bin, schreibe ich sogar nach Halberstadt.

Punkt 12.04 Uhr an einem Mittwoch startet das Expe­ri­ment. Nach den ersten 20 verschickten Standardanfragen blinkt es das erste Mal in meinem Postfach. Eine Mail. „SonneMondundWärme37“ schreibt: „Danke für deine Ehrlichkeit, habe aber kein Interesse.“

Nach 50 Mal Copy & Paste tut mir langsam die Hand weh. Drei Frauen haben sich bisher auf mein Profil verirrt. Eine Mail bisher. Nicht mal „Rodeoqueen“ (31) hat mir geschrieben. Dabei reitet die doch gern, schreibt sie. In ihrem Statement steht außerdem der Satz von Oscar Wilde: „Frauen sind da, um geliebt, nicht, um verstanden zu werden.“ Genau das will ich ja. Aber irgendwie will niemand meine Liebe erwidern.

Ah, da blinkt ja noch eine Mail. „Sehr geehrtes Mitglied, Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie gegen unsere Nutzungsbedingungen verstoßen haben. Uns wurde berichtet, dass Sie andere Mitglieder belästigt haben sollen. Das ist nicht gestattet. Ebenso sind verboten: Be­­leidigungen, üble Nachrede und Verleumdung (§§185ff. StGB). Wir haben Sie daher aufzufordern, die Ihnen vor­geworfenen Handlungen sofort zu unterlassen. Wir machen Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, dass wir bei weiteren Zuwiderhandlungen gezwungen sind, Sie von der weiteren Nutzung unseres Dienstes auszuschließen. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Benutzerservice“

Ich hätte ja zu gerne geantwortet: „Hat bei euch vielleicht jemand Lust auf ein Sex-Date?“ Leider kann man auf solche Mails nicht antworten.

Die dritte Mail ist von der Tierärztin: „Hi, und wie geht’s so?“ Ich antworte ihr, dass sie ein bisschen so aussehe wie Charlotte Roche. „Danke für das Kompliment! Habe aber kleinere Backen, hoffe ich.“ Was sie denn so von meinem Angebot hält? – „Äh, welches Angebot?“ – „Na, das in der Mail vorher.“ Sie hatte es gar nicht gelesen.

Egal, blinkt ja schon die nächste Mail: F. (31), Bankerin aus Berlin, „ein paar Kilo mehr“, ist ein „Superweib mit Lust auf Hedonismus und Nächs­tenliebe ohne Christlichkeit. Beuteschema: 18 Jahre und Millionärssohn oder alleinerziehenden Vater.“
Und sie will: „Hab geschmunzelt. Wenn die Chemie stimmt, können wir zu Punkt 4. Allerdings würde ich dafür gern zu Punkt 2 kommen, um das abschätzen zu können.“

Na, dann wollen wir mal zurückschreiben! Aber was ist das? „Dieses Profil ist leider gelöscht.“

Nein, nicht das der Bankerin. Sondern meines.

Alexandra Kilian/Milosz Matuschek: Mann mit Grill sucht Frau mit Kohle. Ein Selbstversuch in 100 Kontaktanzeigen. Piper Verlag, München/Zürich, 256 S., 8,99 €.

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