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(picture alliance) Bei meinem Atheisten-Ende wird das Leben mit allen Poren und Ableitungen gefeiert

Rainald Grebe - „Und irgendjemand hätte Pilze dabei“

Warum sich Raibald Grebe einen letzten Lebenstag ohne Drogen, Sex und drei Helikopter nicht vorstellen kann

Ich habe mal ein Lied geschrieben, in dem jemand einen Brief bekommt, in dem steht: Das ist dein letzter Tag. So eine Nachricht erwischt einen immer kalt, und man fragt sich: Mache ich jetzt so weiter wie bisher? Zahnarzt? Online-Banking? Sofa waschen? Oder will ich jetzt all das nachholen, was ich versäumt habe? Koks? Nutten? Baum pflanzen? Das würde ja heißen, dass alles bisher falsch war. Über so etwas denke ich eigentlich ständig nach: was uns zum Glück fehlt oder zum guten Leben. Ich suche und sammle und knalle mein Bilderbuch voll mit extremen Momenten. Haben, Haben, Haben! Vielleicht liegt darunter ja auch die Angst vor dem Nichts. Entspannen, wie das andere immer erzählen, kann ich nicht. Da fühle ich mich nicht wohl.

Der letzte Tag beginnt eigentlich mit der Nacht davor. Da war ich lange weg mit Freunden und stehe dann verkatert auf. Ich bin auf dem Land, in Brandenburg, es ist ein erstaunlich warmer Spätsommertag mit Wespen und Spinnweben. Ich trinke Kaffee und rauche, wie ich es immer zum Frühstück tue. Aber intensiver, sauge mich an den Objekten richtig fest und herze sie, weil sie mich bald nicht mehr haben. Mit einem dicken Brunch oder Frühstücksbuffet brauche ich jetzt auch nicht mehr anzufangen. Draußen sitzen meine Leute und erinnern sich an die wilde Nacht, wie schön es doch war und wie betrunken alle waren und wer mit wem in der Kiste war. Ich habe mein altes Grammofon aufgebaut und lege Platten von Maria Callas, Enrico Caruso und Hans Albers auf. Später dann Jimmy Hendrix, Billy Joel und ein paar alte Sachen von Elton John. Neue Deutsche Welle vielleicht noch und natürlich „Bakerman“ – das kann ich eigentlich immer hören. Wir würden dann alle am Frühstückstisch tanzen und mitgrölen.

Irgendjemand hätte Pilze dabei, die wir uns einfahren und die mir einen Vorgeschmack auf das geben, was nach dem Ende nicht kommt: das Paradies. Wir gehen auf eine Art von Reise, an die ich schöne Erinnerungen habe. Alle Farben der Natur leuchten, und die Zeit steht. Wir schwimmen und haben Sex und liegen im Schilf, bis wir keine Lust mehr auf diese ganze Stille haben. Dann steigen wir in drei Helikopter und fliegen in die Hauptstadt der Gefühle. Große Pose, das muss schon sein. Wir kreisen über Berlin, über der Waldbühne. Da stehen schon die Massen und warten auf den letzten Akt. Alle wissen Bescheid. Ich singe meine Lieder mit all den Leuten, mit denen ich gern gespielt habe. Das Gefühl, dass etwas Einmaliges, Letztmaliges passiert, schwebt in der Luft, aber niemand sagt es. Bei meinem Atheisten-Ende wird das Leben mit allen Poren und Ableitungen gefeiert, denn danach ist das Nichts. Ich springe in die Menge, lasse mich tragen, verbrenne mich an Wunderkerzen und Feuerzeugen. Es riecht nach Schweiß und Verschwendung. Aber das macht alles nichts mehr, denn es ist sowieso gleich vorbei.

Und dann sind alle plötzlich weg. Leere Bühne, alter Whisky, eine letzte Zigarette. Ich habe alles noch einmal gefühlt, alle noch einmal gesehen, ich habe alle Leuchtstäbe noch einmal abgebrannt. Und dann, erst dann, fühlt sich die Einsamkeit auch schön an, nach dem Inferno.

Aufgezeichnet von Greta Taubert

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