Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) „Solange es Eitelkeit und Talkshows gibt, werden sich Schriftsteller immer äußern“

Hellmuth Karasek über Günter Grass - „Maßlose Wichtigtuerei“

„Nun ist fast alles gesagt, aber noch nicht von allen.“ Ein typischer Karasek aus dem Cicero-Archiv. Der Schriftsteller und Moderator, der im Alter von 81 Jahren gestorben ist, wird fehlen

 

Was Hellmuth Karasek Günter Grass besonders übel nimmt, warum er mit Spannung auf den nächsten Handke wartet und sich ungern zur sexuellen Revolution äußert. Hellmuth Karasek im Interview

Alle Welt schüttelt den Kopf über Günter Grass, stürzt da gerade ein Denkmal?
Wenn man in das Alter kommt, in dem sich Grass befindet und welchem ich mich mit riesigen Schritten nähere, kann jeder Satz auch zu einer Art Bumerang werden. Da muss man sehr aufpassen. Die Beispiele Gottschalk, Walser und Grass zeigen, dass es schwer ist, abzutreten. Und gerade dann, wenn man die Aufmerksamkeit verliert, neigen nicht wenige dazu, auf die falsche Pauke zu hauen. Was aber den Fall Grass etwas ernster gemacht hat, war, dass er in der Süddeutschen Zeitung ein Forum gefunden hat, das jeden Quatsch von ihm abdruckt, anstatt ihn davor zu bewahren.

Warum dekonstruiert Grass sich selbst?
Grass war immer schon ein politischer Autor. Nehmen Sie den Wiedervereinigungsroman „Ein weites Feld“. Grass hat sich zu dem dummen Satz hinreißen lassen, die DDR sei eine „kommode Diktatur“ gewesen. Grass spielte sehr lange die Rolle des moralischen Sprachrohrs. Klar, dass man irgendwann denkt, wenn ich schon Nobelpreisträger bin, darf ich mir auch um den Frieden Sorgen machen und dann werden die das schon drucken, weil es so wichtig ist. Was ich Grass bei seinem ersten Gedicht besonders übel genommen habe, war, dass er behauptete, er sei nach dem Krieg gegen das Vergessen aufgetreten. Vergessen hat er aber nur, dass er bei der Waffen-SS war. Was – nota bene – für einen 17-Jährigen überhaupt nicht schlimm war. Doch der gleiche Grass stellte sich später im Zuge der Bitburg-Kontroverse – als Helmut Kohl auf Soldatengräbern Kränze niederlegte, nicht nur von Wehrmachtsangehörigen, sondern auch von Angehörigen der Waffen-SS – hin und spricht von „Geschichtsklitterung“ und „Verbrechen“. Dabei hätte Grass selber in diesem Grab liegen können, wenn er Pech gehabt hätte. Das ist das Schlüsselverbrechen von Grass. Dass er seine SS-Mitgliedschaft vergessen hat, weil er sonst den Nobelpreis nicht bekommen hätte, ist in Ordnung. Aber dann hätte ich mir zumindest in diesem Fall aus Scham Schweigen auferlegt.

Schweigen fiel Grass auch schwer, als er sein Israelgedicht einer breiten Öffentlichkeit kund tat. Die politische Stoßrichtung zeigte eine völlige Verkennung der Realitäten. Die Süddeutsche Zeitung, die es doch eigentlich besser wissen sollte, druckt dann noch einen solchen Unsinn. Hat die SZ Grass ins offene Messer laufen lassen?
Ja, die SZ hat dieses dämliche Messer gerne in der Hand. Mit Herrn Steinfeld und einigen andern gibt es in dieser Zeitung immer wieder Stimmen, die nicht müde werden zu behaupten, dass der kämpferische Islam eigentlich nicht so schlimm sei wie Israel. Diese Argumentation führen sie von Woche zu Woche fort. Und zwar ohne die Komik, die Grass‘ Gedichte für sich selber entfachen.

Das zweite Grass-Gedicht wäre ja medial fast unter den Tisch gefallen, wäre da nicht die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung  gewesen. Sie erklärte Grass‘ Griechenland-Gedicht „Europas Schande“ kurzerhand zur Satire.
Das Gedicht ist wirklich schon sehr komisch. „Doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück“. Zu solchen Verrücktheiten neigt sonst Walser nur in Prosa.

Seite 2: Solange es Eitelkeit und Talkshows gibt, werden sich Schriftsteller immer äußern

Anders gefragt: Was sagt es über die Qualität der Titanic-Redaktion aus, dass man ihr ein Gedicht auf Nobelpreis-Niveau zutraut?
Der Titanic hat man ja seinerzeit auch zugetraut, dass sie „Wetten, dass...?!“ entlarvt hat, als Buntstifte scheinbar mit verbunden Augen an ihrem Farbgeschmack erkannt wurden. Der FAZ-Redakteur Volker Weidermann hat das sehr gescheit und geschickt gemacht, indem er sagte, dass Gedicht kann gar nicht von Grass sein, dass habe die Titanic verfasst und die SZ sei drauf reingefallen. Das entlarvt aber vor allem die Haltung der SZ, die mit „Europas Schande“ den Erfolg des ersten Gedichtes wiederholen wollte.

Welche Folgen hat die Causa Grass für den Literaturbetrieb? Werden sich jetzt Schriftsteller per se nicht mehr über Politik äußern?
Solange es Eitelkeit und Talkshows gibt, werden sich Schriftsteller immer äußern, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Den nächsten Handke erwarte ich schon mit Spannung.

Läuft vielleicht etwas grundsätzlich falsch, da man nur Grass zu Israel und Handke zu Serbien und Milosevic reden hört und wahrnimmt?
Wir hatten eine Zeit lang Schwierigkeiten, uns in Deutschland an die Öffentlichkeit der Demokratie zu gewöhnen. Und in diesen Jahren waren Schriftsteller, die Gruppe 47 beispielsweise, wertvolle Helfer auf dem Weg zu einer kritischen Öffentlichkeit. Das hat schon etwas Hefe in den öffentlichen Sauerteig gebracht. Aber diese kritischen Stimmen verkamen dann irgendwann zu Resolutionsmaschinen. Von „Enteignet Springer!“ über „Reagan weg!“ bis hin zu weiß der Teufel. Inzwischen haben wir aber diese kritische Öffentlichkeit. Das heißt, wenn Grass nun aufschreit, nach dem Motto, „Was gesagt werden muss...“, so ist das eine maßlose Wichtigtuerei.

Täte es der Literatur gut, sich manchmal aus der Politik rauszuhalten?
Ja, es täte ihr vor allem gut, sich nicht so wichtig zu nehmen. Dasselbe gilt für andere Künstler. Eine Woche nach den verheerenden Anschlägen des 11. September hat der Komponist Karl-Heinz Stockhausen von einem „größtmöglichen Kunstwerk“ gesprochen, dass es wert sei, auf einer Opernbühne aufgeführt zu werden. Es folgte Empörung, mit Recht. Aber natürlich dürfen Schriftsteller machen, was sie wollen. Sie sollen nur nicht wichtiger genommen werden als andere Leute. Ich bekomme jeden Tag von einem Herrn über mein Faxgerät ein blödes Gedicht. Ein Gedicht eines gescheiterten Poeten, der etwas von einem Stalker hat. Ich gönne ihm aber dieses eine Blatt Papier. Schriftsteller neigen zu diesem Sendungsbewusstsein über den Zenit ihres Erfolges hinaus. Sie glauben irgendwann, sie müssten sich über alles äußern. Das wäre so, als würde ich mich jetzt mit 78 zur sexuellen Revolution äußern.

Herr Karasek, vielen Dank für das Gespräch.
Gerne. (lacht) Nun ist fast alles gesagt, aber noch nicht von allen.

Das Interview führte Timo Stein

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.