Kurz und Bündig - Lucas Delattre: Fritz Kolbe, Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs

Den Namen Fritz Kolbe findet man auf keiner Gedenktafel. Er steht in keinem Geschichtsbuch. Keine Straße, kein Platz hält die Erinnerung an ihn aufrecht. Fritz Kolbe (1900– 1971) war Spion – am Ende des Zweiten Weltkriegs bezeich­neten ihn State Department und Geheimdienst der USA als wichtigsten Informanten der Alliierten in Deutschland.

Den Namen Fritz Kolbe findet man auf keiner Gedenktafel. Er steht in keinem Geschichtsbuch. Keine Straße, kein Platz hält die Erinnerung an ihn aufrecht. Fritz Kolbe (1900– 1971) war Spion – am Ende des Zweiten Weltkriegs bezeich­neten ihn State Department und Geheimdienst der USA als wichtigsten Informanten der Alliierten in Deutschland. Unter dem Decknamen «George Woods» arbeitete Kolbe, Beam­ter im Auswärtigen Amt, für das «Office of Strategic Services» (OSS), den Vorläufer der CIA. Er lieferte ihm 2000 Dokumente, über fünf Jahre hinweg. Noch im brennenden Berlin fotografierte er im Außenministerium und in der Charité Dokumente der NS-Diplomatie von höchster Geheimhaltungsstufe. Die Aufnahmen leitete er an Allen Dulles weiter, den Leiter des OSS-Büros in Bern, oder übermittelte sie via Diplomatenpost an Kontaktpersonen. «Mein Bestreben war, den Krieg für mein unglückliches Volk abzukürzen, den Unglückli­chen in den KZs weitere Leiden ersparen zu helfen.» So Kolbe 1965 – verbittert, weil ihm eine Weiterbeschäftigung im diplomatischen Dienst verwehrt worden war, von einer Funktionärs-Kamarilla, die erst Hitler gedient hatte und da­nach nahtlos in der Bundesrepublik weiterbeschäftigt wurde. In Kolbe sah man einen Verräter, und während frühere Parteigenossen Karriere machten, wurde er geschasst. Dass seine Geschichte nun bekannt wird, ist dem französischen Journalisten Lucas Delattre zu verdanken. Er konnte den Nachlass Kolbes einsehen, nach­dem zwei «Spiegel»-Reporter 2001 in den Dokumenten des State Department auf den Spion gestoßen waren. Spannend, zugleich wissenschaftlichen Ansprüchen genügend, schildert Delattre Leben und Charakter Fritz Kolbes. Seine Laufbahn hatte ihn nach
Spanien, Polen und Südafrika geführt, bevor er sich aus humanistischer Überzeugung entschloss, etwas gegen das System zu unternehmen, für das er tätig war. An manchen Stellen würde man sich Ergänzungen wünschen, etwa eine ausführlichere Darstellung des Auswärtigen Amtes nach 1949. Doch angesichts der ge­wal­tigen Rechercheleistung Delattres fallen solche Desiderate kaum ins Gewicht. Mit dieser Biografie findet Fritz Kolbe, dessen Mut und Überzeugungskraft zutiefst be­eindrucken, über dreißig Jahre nach seinem Tod eine angemessene Würdigung.

 

Lucas Delattre
Fritz Kolbe. Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs
Aus dem Französischen von Michael Bayer.
Piper, München 2004. 400 S., 22,90 €

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