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(zvg.) Philipp Otto Runge: „Die Hülsenbeckschen Kinder“, 1805/06, Öl auf Leinwand, Hamburger Kunsthalle

Philipp Otto Runge - Kinderschuhe der Romantik

Von der kühlen Gelehrsamkeit des Klassizismus setzte sich der viel zu jung gestorbene Romantiker Philipp Otto Runge im Jahr 1805 mit einem Gemälde voll realistischem Zauber ab.

Unter den baumhohen Sonnenblumen tanzen keine Elfen, hier spielen echte Kinder. Im Leiterwagen, barfüßig auf einem Kissen, sitzt Friedrich, der jüngste Spross der Hamburger Familie Hülsenbeck, und versucht mit seinen entzückend speckigen Händchen seine Umgebung zu ertasten. Sein vierjähriger Bruder August steht als Anführer mit erhobener Peitsche im Vordergrund und blickt den Betrachter selbstbewusst an. Neben ihm geht die fünfjährige Maria, die sich dem Kleinsten zuwendet.

Dessen drollig staunender Blick ist der Realität abgeschaut: Philipp Otto Runge war, als er die „Hülsenbeckschen Kinder“ malte, selbst gerade Vater geworden. Später schrieb er über eines seiner Kinder, es sei „so glatt und rund, dass es eine Lust und Freude ist, und so prall, dass Flintenkugeln von ihm abprallen würden“. Mit dem Gemälde hatte der Künstler im Herbst 1805 begonnen. Eigentlich war er für seine meisterhaften Scherenschnitte bekannt, die sogar Goethes Kunstsammlung in Weimar bereicherten. Als Maler legt er hier einen so linearen, zeichnerisch detaillierten Pinselstrich an den Tag, dass das Bild fast schon spröde und naiv wirkt. Sein Stil ist meilenweit entfernt von den duftig pastosen englischen Kinderbildnissen des 18. Jahrhunderts, in denen die jungen Aristokraten in Parklandschaften frohlocken und es immer so aussieht, als würde gleich eine heiße Schokolade serviert. Auf Runges Bild würde man eher Apfelschorle erwarten. Den Hülsenbeckschen Kindern wohnt ein anderer, ein realistischer Zauber inne. Der Gartenzaun trennt die drei Geschwister noch von dem Hamburger Vorort Eimsbüttel und damit der großen weiten Welt. Wäsche flattert vor einer Färberei – Arbeit soll auch später das Leben der Bürgerkinder bestimmen. Im Hintergrund ist das Landhaus der Hülsenbecks zu erkennen. Der Kaufmann war ein Freund und Kompagnon von Daniel Runge, dem Bruder des Künstlers.

Philipp Otto Runge ist 1777 in Wolgast in Schwedisch-Pommern als neuntes von elf Kindern in eine protestantische Reederfamilie hineingeboren. Als Achtzehnjähriger zog er mit Daniel, dem Ältesten, nach Hamburg, wo er in dessen „Kommissions- und Speditionshandlung“ eine Kaufmannslehre begann und viel Zeit mit dem Zeichnen verbrachte. Entgegen dem Wunsch seines Vaters ging er zum Kunststudium an die Königliche Akademie in Kopenhagen, besuchte den drei Jahre älteren Caspar David Friedrich in Greifswald und studierte an der Dresdener Kunstakademie. Dort heiratete er seine große Liebe, die Kaufmannstochter Pauline Bassenge. Die Geburt seines vierten Kindes im Jahr 1810 erlebte er nicht mehr, er starb einen Tag davor an Tuberkulose, im Alter von nur 33 Jahren.

Der Romantiker Runge war ein Mann von vielseitigen Interessen. Er schrieb die norddeutsche Geschichte „Vom Fischer un syner Fru“ auf und stellte sie den Gebrüdern Grimm für ihre Märchensammlung zur Verfügung. Auch mit Goethe stand er im Dialog und schuf mit seiner „Farbenkugel“ das erste dreidimensionale Farbmodell. Künstlerische Differenzen hatten die beiden dennoch, denn Runge lehnte wie Caspar David Friedrich die Regeln der akademischen Malerei des Klassizismus ab. Er berief sich auf den Glauben an die universale Schöpfungskraft Gottes und die „reine Empfindung“ des Malers. Eine ähnliche Auffassung vertrat Runges Zeitgenosse Ludwig Tieck: „Der Künstler sollte nach meinem Urtheil bei Bauern oder Kindern manchmal in die Schule gehn, um sich von seiner kalten Gelehrsamkeit oder zu großen Künstlichkeit zu erholen.“

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