Kurz und Bündig - Julia Bertschik: Mode und Moderne

Die Überraschung ist vielleicht nicht beabsichtigt, doch sie ist gelungen: Eine literaturwissenschaftliche Studie entpuppt sich als ebenso profunde wie gut lesbare Darstellung zur Mo­degeschichte der letzten 200 Jahre. «Mode und Moderne» zeigt für die Epochen­umbrüche 1800 und 1900, für die Weimarer Republik und für den Nationalsozialismus, wie wesentliche Momente der Mode, ihre Wechselhaftkeit, Widersprüchlichkeit und Künstlichkeit immer wieder neu verhandelt werden müssen.

Die Überraschung ist vielleicht nicht beabsichtigt, doch sie ist gelungen: Eine literaturwissenschaftliche Studie entpuppt sich als ebenso profunde wie gut lesbare Darstellung zur Mo­degeschichte der letzten 200 Jahre. «Mode und Moderne» zeigt für die Epochen­umbrüche 1800 und 1900, für die Weimarer Republik und für den Nationalsozialismus, wie wesentliche Momente der Mode, ihre Wechselhaftkeit, Widersprüchlichkeit und Künstlichkeit immer wieder neu verhandelt werden müssen. Exemplarisch kann dafür das Kapitel über den «Modernisierungsfaktor Mode» in der Literatur von 1933 bis 1945 gelesen werden. Hier nimmt Julia Bertschik eine kaum beachtete Spur auf: die Selbst­stilisierung des Nationalsozialismus als endlich echte, weil von allem Fremden gereinigte Verwirklichung der ästhetischen Moderne. Um diese Moderne eigener Machart kreist der Diskurs von Propaganda, Literatur und Mo­depresse. Schließlich ermöglicht es diese Vorstellung, sowohl offenkundig antimodische Programme akzeptabel erscheinen zu lassen, als auch versteckt mode-apologetische Positionen zu vertreten. In­diskutabel bleibt allerdings, was Mode erst als solche quali­fiziert: ihr transitorischer, wankelmütiger und frivoler Cha­rakter – ihre moderne Negativität. Doch nicht erst der Nationalsozialismus verbindet «modern» mit «zeitlos» und «ewig gültig». Diese Setzung ist schon in der Weimarer Re­publik geläufig. Interessanterweise stößt man sich nicht am literaturwissenschaftlichen Ansatz von Bertschiks Untersuchung. Im Gegenteil: neben den modejournalistischen Texten sind gerade die Exzerpte aus den Mode-Romanen und deren Analyse besonders aufschlussreich. In den Mode-Romanen sind die Kleider explizites Thema der Handlung und dienen nicht dem üblichen Zweck, die Figuren bildhaft werden zu lassen. Vielmehr bemühen sich die Protagonisten umgekehrt um die Kleider, denen sie eine klare Bedeutung für ihre Lebensführung zusprechen, da sie ihren Ideen von Freiheit, Individualität und Zeitgenossenschaft Ausdruck geben sollen. Dass sich die einfallsreichen Beobachtungen zur Mode, die sich sonst visuell, also nonverbal mitteilt, ihrer Verschriftlichung verdanken und in dieser Form besonders wirksam werden, so Bertschik, scheint da keine an den Haaren herbeigezo­gene Annahme, sondern eine weitere Erkenntnis zum Diskurs von Mode und Moderne.

 

Julia Bertschik
Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeit­geistes in der deutschsprachigen Literatur (1770–1945)
Böhlau, Köln 2005. 415 S., 69,90 €

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