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(suhrkamp) Die Frage der Fragen

Bücher des Herbstes - Ich liebe, also bin ich

Warum Liebe weh tut? Diese Frage stellt sich die israelische Soziologin Eva Illouz. In ihrem neuen Buch geht sie den Ursachen des Leidens in und an der Liebe in der Moderne nach. Eine wahre, aber deprimierende Ontologie, die uns lehrt: Die romantische Liebe ist ohne Schmerz nicht zu haben.

Was es ist, fragte sich einst Erich Fried und fand als eine Antwort unter mehreren: Es ist Schmerz. So jedenfalls spricht die Angst in einem Gedicht des österreichischen Lyrikers. Was weiß die Liebe darauf versöhnlich zu erwidern? Es ist, was es ist.

Gerne weisen wir von der Hand, unser modernes Herz könne anfällig sein für etwaige Romantizismen wie das Liebesleid. Haben wir uns doch emanzipiert in den immer wieder an- und abschwellenden Wellen der Kultur- und der sexuellen Revolution, der allgemeinen Ernüchterung, die Frau sich vom Mann, der Mann sich von der Frau, der Mensch sich vom Herzen. Umso mehr fühlt man sich ertappt und blättert gleichsam neugierig weiter von Seite zu Seite, man schmunzelt und seufzt in regelmäßigen Abständen, mal kopfnickend, mal kopfschüttelnd, hält man die ebenso charmante wie stichgenaue Studie „Warum Liebe weh tut“ der israelischen Soziologin in den Händen.

Illouz, eine intelligente Frau, die jedem Klischee nachgeht, es elegant bedient und dabei interessanterweise kein bisschen plump erscheint, kommt es doch nicht von ungefähr, das Klischee der sich nach bedingungsloser Liebe verzehrenden Frau und das des Mannes, der sich nimmt was er braucht, wann er es braucht. Sie zitiert René Descartes ebenso wie Søren Kierkegaard, Gustav Flaubert wie Jane Austen, gerne auch Carry Bradshaw, Schutzbefohlene aller an Herzschmerz leidenden Single-Frauen New York Cities. Sie durchforstet Frauenmagazine, Internetforen, wissenschaftliche Fallbeispiele und unterfüttert ihre soziologische Erklärung mit Gesprächen verschiedener Liebesleid-Probanden jedweder Gesellschafts-, Alters- und Geschlechterschicht. Doch worum geht es?

Einst fußte das kulturelle System der Liebe auf einer romantischen Ideologie, richtete seinen alles verklärenden Blick auf einen mystifizierten, ja gar sakralen Begriff von Liebe, wie er in Epen wie „Madame Bovary“ oder „Stolz und Vorurteil“ exemplarisch statuiert wird. Diese Romane, Abbild der Gefühlsgeneration des 19. Jahrhunderts, sie legen ein literarisches Zeugnis von romantischer Liebe als raison d’être ab, das uns heute seltsam fremd erscheint, denn: Die romantische Liebe, sie ist, wie die Autorin herausstellt, dem Diktat der Moderne zum Opfer gefallen, entromantisiert, und das nicht erst seit Brecht. Was jedoch gleich blieb, ist der Schmerz. Immerhin.

So leiden wir also damals wie heute, jedenfalls gelegentlich. Warum? Das versucht Illouz darzulegen. Dazu formuliert sie eine quasi-wissenschaftliche Annährung an das Thema Liebe und Leid, wobei es ihr darum geht, die Ursachen des Leidens in und an der Liebe unter Berücksichtigung ihres paradigmatischen Wandels zu nähern. Ihr Anspruch: Das Liebesleid durch ein Verständnis ihrer gesellschaftlichen Grundlagen zu lindern.

Lesen Sie weiter, was die romantische Liebe mit Karl Marx gemein hat.

Dabei ist Illouz‘ Ansatz im Grunde ein systemtheoretischer (auch wenn sie Niklas Luhmann namentlich nicht erwähnt). So sagt sie: „Die Form der Liebe hat sich insofern verändert, als sich verändert hat, auf welche Weise sie weh tut.“ Der moderne Mensch sei demnach, um mit der wiederholten Erfahrung des Leidens in der Liebe umzugehen, besser gewappnet als jemals zuvor. Nicht nur stehen ihm ein Heer an Coaches, Gurus, Ratgeber sowie Psychotherapeuten zur Seite, er versteht sich auch selbst als aufgeklärt und autonom. Die Moderne hat uns ernüchtert, uns mit der eingangs erwähnten Abgeklärtheit ausgestattet, zu der sich ferner Hedonismus, Zynismus und Ironie gesellen. Sie würden das Liebesleid vermeintlich lindern – ein Trugschluss. Denn das Dilemma der Moderne, es liegt in dem Paradoxon, das das Buch zu klären versucht. So weist Illouz nach, dass zwar Emotionalität und Romantik in der Moderne merklich erkaltet sind, doch war die Liebe für die Bestimmung des Selbst nie so unverzichtbar wie heute, ist die Moral doch schon lange dahin, vom Niedergang der Religion ganz zu schweigen.

Um sich also nicht in der Tragik dieses Befunds zu verlieren, erscheint die Argumentation erwartungsgemäß nüchtern: Nach Illouz sei mit der romantischen Liebe zu tun, was Marx einst mit der Ware tat. Es soll gezeigt werden, dass die Liebe kein reines geistiges Konstrukt ist, sondern nach konkreten gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen geformt. Sie zirkuliert nicht frei und unabhängig, sondern „trägt die Institutionen der Moderne in komprimierter Weise in sich“. Dabei sind für die Autorin die digitalen Heiratsmärkte ebenso von Belang, wie die neuen Mechanismen der Partnerwahl oder der strategische Umgang mit der romantischen Vorstellungskraft.

Das Irrationale rational zu erklären – das ist die anspruchsvolle Aufgabe, die sich Eva Illouz mit diesem Buch gestellt hat. Bereits in „Der Konsum der Romantik“ und „Die Errettung der modernen Seele“ setzte sie sich kritisch mit dem kulturellen Aspekt der emotio und den Einflüssen der kapitalistischen Konsum- sowie der Mediengesellschaft auf das menschliche Gefühlsleben auseinander. „Warum Liebe weh tut“ ist eine, wenn auch wahre, zutiefst deprimierende Ontologie der Liebe und des Leidens, die letztlich ausspricht, was wir nach 442 Seiten sowieso schon ahnen: Die leidenschaftliche Liebe, sie ist ohne Schmerz nicht zu haben. Und so schließt sie erkenntnisreich mit Jonathan Franzen: „Schmerz tut weh, aber er tötet nicht“, weshalb uns der Schmerz nicht ängstigen sollte. Es ist eben, was es ist.

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