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(picture alliance) Hanns Zischler

Bibliotheksporträt - Hier werden Sie gelesen: Hanns Zischler

Als Schauspieler ist er in Spielbergs „München“ zu sehen – doch Hanns Zischler ist auch Privatgelehrter, Herausgeber, Übersetzer. Bibliotheksbesuch bei einem Universalisten.

Überall in diesem Haus mit seinen hohen Räumen ist viel Platz. Nur im Bücherraum in der Mitte nicht. Hier sind, um viel unterzubringen, die Regale so gestellt, dass sie schmale Winkel bilden. Ein Antiquar, der zugleich Geheimdienstmitarbeiter ist, könnte hier wohl die überraschen, die ihm nachstellen. Im neuesten Spielberg-Film über das Attentat von München 1972 spielt Hanns Zischler einen jener Agenten, die der israelische Mossad den palästinensischen Mördern auf die Spur gesetzt hat. Wichtiger als die Rolle ist ihm der Regisseur. Immerhin hat Zischler schon mit Wenders und Chabrol und Godard gedreht.
Der Teil der Bibliothek Hanns Zischlers, der den ganzen Bildungsgang des Schauspielers und Privatgelehrten bezeugt, steht in jener Mitte des Hauses im Berliner Westend, der wie das Labyrinth eines Spions wirkt. Nebenan, im Salon, gibt es Kunstbände. Unterm Dach türmen sich Cartoons in gesuchten Ausgaben. Im Keller befindet sich, was zur publizistisch-wissenschaftlichen Arbeit zusammengetragen wurde. Über Kafka, über Berlin, jetzt über James Joyce. „Joyce im Kino“ ist vielleicht das ehrgeizigste kulturhistorische Projekt nach „Kafka geht ins Kino“ und „Borges im Kino“. Triest – nicht etwa Dublin – bildete einst die geistige Welt des „Ulysses“. Das Kino war daran nicht unbeteiligt. Wie schon bei Kafka will Zischler jetzt von Joyce wissen: Welche Filme hat er gesehen, welche Filme hätte er sehen können, in Triest, in Pola, in Rom?
Den belletristischen und philosophischen Teil seiner Bibliothek hat er nach Sachgruppen und Nationalliteraturen geordnet, in diesen herrscht das Alphabet. In der Philosophie beginnt das mit Ador-no, Benjamin, Blumenberg und räumt viel Regalstrecke den einst „neuen“ französischen Denkern der Post-Modernen ein – Zischler hat in den siebziger Jahren Derrida übersetzt. Überraschend präsentiert sich hier auch eine Gesamtausgabe Rudolf Kassners in etlichen dickleibigen Bänden. Warum ist dieser zu K.u.K.-Zeiten im tschechischen Großpawlowitz geborene Kulturphilosoph so vollständig? „Kafka hatte sich für ihn interessiert“, sagt Zischler, „und Einzelausgaben waren von Kassner kaum zu haben.“
Die Ethnologie hat ihren eigenen Platz. Dieses Fach hatte der 1947 in Ingolstadt geborene Vorgesetzte des schwedischen Kommissars Beck aus der gleichnamigen Fernsehkrimi-Serie Ende der sechziger Jahre in München studiert. Neben Philosophie und Musikwissenschaft. Die Studentenbewegung hatte sich damals schon in einen orthodox-sozialistischen Flügel und in einen losen, mehr künstlerisch orientierten Verbund um Frank Böckelmann geteilt. Man las die Autoren der „Kritischen Theorie“, Zischler mit besonderer Vorliebe Walter Benjamin. „Man hat sich selber gezielt überschätzt mit seinen 20 oder 22 Jahren“, sagt er heute dazu. Von den akademischen Lehrern an der Universität machte allein der Musikwissenschaftler Georgiades Eindruck auf ihn.
Die umfangreichste Abteilung in dieser Bibliothek ist der Lyrik gewidmet, beginnend mit Guillaume Apolli-naire und Baudelaire. Rudolf Borchardt, Paul Celan, Peter Huchel und Stéphane Mallarmé sind in Gesamtausgaben vorhanden. Auch Gottfried Benn. Ein Geschenk, bemerkt Zischler fast entschuldigend. Die kleinen Bändchen, die er als junger Mensch gelesen hat, sind nicht mehr da. „Verlorene Bücher“, kommentiert er das zwischen den Bücherwänden: „ein Kapitel für sich.“ Und alles von Mandelstam, den hatte ihm Joseph Brodsky ans Herz gelegt. Und alles von Shelley. Die Gedichte sind international versammelt. Francis Ponge findet sich, obwohl hoch geschätzt, in Bodennähe wieder. Ein Nachteil der alphabetischen Aufstellung.
Im Winkel der Französischen Literatur dominiert Valéry. Albert Camus wird mehr geschätzt als Jean Paul Sartre. Für Russland haben Nabokov und Puschkin den meisten Raum. Bei den Nordamerikanern fällt Scott Fitzgerald auf, dessen Briefe an seine Frau Zelda Zischler 2005 in einer deutschen Ausgabe herausgegeben hat. Unter den Südamerikanern dominiert Borges. Zeitschriftenjahrgänge bilden glatte Regalflächen: Akzente, Tumult, Republik. Von Karl Marx gibt es nur die Frühschriften und späte Briefe.
Nach Berlin kam Zischler über den Film. Auf der Straße lernte er dann eine Schauspielerin von Peter Steins heute legendärer Schaubühne kennen, Christine Oesterlein. Die erzählte ihm, dass man gerade einen Spezialisten für die griechische Tragödie suche, man arbeite an einem Antiken-Projekt. Zischler hatte kurz zuvor das Buch eines französischsprachigen Autors darüber gelesen, das in Deutschland niemand kannte, und hielt sich für spezialisiert genug. So wurde er Dramaturg bei Dieter Sturm. Er blieb es bis 1975. Dann hatte der Film gesiegt. Die Mitarbeit bei Wenders „Im Lauf der Zeit“ und bei der Zeitschrift Filmkritik wiesen die Wege in die Zukunft – nach einem Studium in Berlin (auch bei dem Literaturwissenschaftler Peter Szondi), das er selbst als unabgeschlossen, weil unabschließbar bezeichnet.
Unabschließbar muss der Versuch bleiben, Zischlers Auswahl an deutscher Literatur zu charakterisieren. Passt der Respekt vor Borchardt zu der Tatsache, dass da einige zerlesene Bücher von Ernst Jünger stehen? So fern von Jünger mag Heiner Müller nicht sein. Aber verträgt sich eine Vorliebe für Lichtenberg damit? Für den konnte sich wohl Alfred Polgar begeistern, der in der hübschen Rowohlt-Edition vertreten ist. Indes, wie passt das zu diesem Arno Schmidt, der einst bekannte, den Österreichern schon deshalb zu misstrauen, weil sie in der Musik zu brillieren wussten? Robert Walsers gesammelte Werke setzen der Verwirrung ein Ende.
Wie kam der Schauspieler, der in einer Neuverfilmung des „Mädchens Rosemarie“ reich und zwielichtig auftrat, bei Dietl in „Kir Royal“ auch einmal komisch sein durfte und sich durch „Derrick“ den krisenfesten Marktwert einer First-Class-Besetzung für halbseidene Rollen verschaffte, zu Steven Spielberg? Zunächst aufgrund eines Castings mit Videos, von einer Agentur vermittelt. „Ich habe in das Profil gepasst“, erzählt Zischler. „Dann gab es eine lange Unterhaltung in Paris. Aber natürlich weiß ein Regisseur schon nach zwei Sekunden, ob er mit dem Schauspieler arbeiten will.“ Was ist das Besondere an Spielberg? „Er ist besessen im Bemühen um eine optimale Erzählung.“
Spielbergs Film „München“ ist soeben in die deutschen Kinos gekommen. Jetzt geht es Zischler wieder um Joyce. Für „Kafka geht ins Kino“ hatte er – „mit Unterbrechungen“ – 18 Jahre gebraucht. Unzählige meist entlegene, oft unorganisierte Archive waren aufzusuchen. Die Kafka-Wand in seinem Arbeitskeller ist gewaltig. Man versteht, dass Wolfgang Hildesheimer schon in den fünfziger Jahren eine Satire ersann mit dem Titel: „Ich schreibe kein Buch über Kafka.“ Der Film-Historiker tat es trotzdem. „Was ist die beste Biografie über Kafka?“ Zwei neuere deutsche sind auf dem Markt. Hanns Zischler nennt eine ältere, die von Ernest Pawel. Er hat sie, ohne lange suchen zu müssen, aus dem überfüllten Regal gezogen.

Jürgen Busche ist Publizist und Autor. Sein Buch „Die 68er“ (Biografie einer Generation) erscheint im Berliner Taschenbuch Verlag

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