- Gegen den Lehrerzimmerstaub
Leander Haußmann feiert Schillers «Kabale und Liebe» als Märchen, das nicht sein darf
Friedrich Schiller und das deutsche Kino – es ist ein Trauerspiel. Ganze fünf Verfilmungen seiner Werke sind seit 1913 dokumentiert, sieht man von reinen Fernsehspielen ab. Hinzu kommt ein «Biopic» aus der Zeit des Nationalsozialismus, auch nicht gerade ein Ruhmesblatt.
Allenfalls Wolf Gremms freie Adaption der «Räuber», das anarchisch gefärbte Außenseiterdrama «Tod oder Freiheit» von 1977, zählt zu den heute entdeckenswerten Relikten des Neuen Deutschen Films.
Nirgends werden die Grenzen zwischen Film und Schauspiel so deutlich wie in der dauerhaften Leinwand-Abstinenz dieses auf dem Theater so viel gespielten Klassikers. Da grenzt die Vorsicht des Berliner Delphi-Verleihs, Leander Haußmanns «Kabale und Liebe»-Film am 18. Mai nur in digitalen Kopien in die Kinos zu schicken, schon an gesunden Aberglauben. Dabei möchte Haußmanns Film (der im vergangenen Herbst schon im Fernsehen zu sehen war) mit bescheidenen Mitteln ganz schön großes Kino sein. Und er ist es. In nur vierundzwanzig Drehtagen entstand er dort, wo einmal die schönsten Märchenfilme herkamen: in böhmischen Schlössern und Dörfern. Auch wenn sich nichts zum glücklichen Ende fügt an der von Vätern vereitelten, klassengegensätzlichen Liebe zwischen dem unglücklichen Paar Ferdinand (August Diehl) und Luise (Paula Kalenberg), möchte man diesmal doch gerne daran glauben.
Allein, weil die Prinzessin so hübsch geraten ist wie seit den «Drei Nüssen für Aschenbrödel» nicht mehr. Augenblick – Prinzessin? Haußmanns bisweilen verwegen-ungelenker und gerade deshalb so spielverliebter Kostümfilm erzählt die Geschichte der armen Bürgerstochter und ihrer unschuldigen Liebe wie ein Märchen, das nicht sein darf. «Ein Mädchen hat immer zwei Spiegel zugleich – den wahren und ihren Bewunderer», belehrt Rivalin Lady Milford die Luise. Dieser Dialog aus dem Drama gleicht den Märchendialogen mit der bösen Stiefmutter: Haußmann folgt Schillers so «filmisch» gedachter Regieanweisung, die junge Frau von Lady Milford durch einen Spiegel beobachten zu lassen. Und dann lässt er die 17-Jährige die Szene beenden, indem sie ein verliebtes Herzchen auf den Spiegel wischt. Wie im tschechischen Märchenfilm betonen gerade die historischen Schauplätze die Modernität der Figuren. Wie begeistert der Regisseur von den Verlockungen eines romantischen Kostümfilms ist, merkt man vor allem einer Fechtszene an (die nicht im Stück steht): herrlich unbeholfen, was man dem nicht wirklich sportlichen August Diehl aber kein bisschen übel nimmt. Haußmann lässt Hannes-Wader-Lieder singen (angenehm unzeitgemäß) und schwelgt in jenem romantischen Übermut (immer zeitgemäß), den das angelsächsische «Shakespeare in Love»- Kino so gerne pflegt. Den traurigen Schluss bricht der Regisseur, indem die Schauspieler ihr schönes Spiel einfach einen Moment zu lang genießen.
Leander Haußmann hat den vermuteten Pädagogengeschmack offenbar zielsicher attackiert; das zeigt die Reaktion einer Website für Unterrichtshilfen. «Im Film … – man traut sich kaum, es hinzuschreiben – tollen Ferdinand und Luise, die beiden tragischen Opfer, kurz vor dem Abspann über eine Wiese», schimpft der www.lehrerfreund.de, «und zerren die Verfilmung damit endgültig in den Abgrund der Trivialität.» Ein besseres Kompliment hätte man dem Film kaum machen können. Die wunderbare Paula Kalenberg als Luise (dieser Nachwuchs-Star rettet gegenwärtig auch eine andere deutsche Literaturverfilmung, «Die Wolke», vor der Obskurität) nennt der Kritiker von Lehreramts wegen eine «schmollmündige Teeniebraut». Es ist doch schön, dass die Fronten noch so klar verteilt sind wie einst, als Haußmann selbst die Schulbank drückte. Mit dreizehn schrieb er über das Drama einen Aufsatz, in dem er die «packende Story» gegen den «Lehrerzimmerstaub» verteidigte. Wer hätte gedacht, dass aus so viel Kabale einmal der liebevollste aller Schiller-Filme entstehen würde!
Kabale und Liebe
D 2005, 110 Min.
Regie: Leander Haußmann
Mit August Diehl, Paula Kalenberg, Detlev Buck, Götz George u. a.
Friedrich Schiller
Kabale und Liebe
Reclam, Ditzingen 2005. 128 S., 2,60 €
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