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() Bascha Mika verpasst ihre Leser.
Frauen sind nicht feige - eine Antwort auf Bascha Mika

„Die Feigheit der Frauen“ heißt die viel diskutierte Streitschrift der Journalistin Bascha Mika. Sie hat damit ein wichtiges Thema angepackt, doch am Leben ihrer jungen Leserinnen vorbeigeschrieben.

Frauen sind feige. Das behauptet zumindest Bascha Mika in ihrem Buch und tritt damit nicht nur dem weiblichen Geschlecht auf die Zehen. Aus ihrer Sicht lassen Männer ihre Frauen immer noch bei Haushalt und Kindererziehung im Stich. Gleichzeitig machen vermeintlich aufgeklärte und einst auf beruflichen Erfolg bedachte Frauen diese Vermausung mit – aus Angst vor dem Alleinsein, aus Entscheidungsschwäche und vor allem aus Feigheit, so Mika. Die Autorin wollte mit ihrer Streitschrift eine Debatte in Deutschland entfachen. Sie wollte ein Buch für Frauen schreiben, das diese aufrüttelt. Doch der Funke will nicht überspringen. Denn in Wahrheit hat Bascha Mika ein Buch für kinderlose Frauen geschrieben. Zwar versucht sie, der drohenden Kritik auszuweichen. Dem Vorwurf, eine Frau, die selbst kein Kind hat, dürfe nicht von Kindern und Mutterschaft sprechen, eilt sie voraus und ruft: „Aber selbstverständlich kann sie, darf sie. Nicht jede Erfahrung muss frau selber machen, um über deren Bedeutung zu sprechen.“ Aber tritt sie auch den Beweis an? Nein, das tut sie nicht. Und das macht dieses Buch für viele Mütter und Väter zu einem nutzlosen Buch. Und zu einem Buch, das nur Fragen aufwirft: Denn wie sollen erst die vielen kinderlosen Männer in den Führungsetagen der Wirtschaft und der Politik ein Umdenken möglich machen, wenn selbst eine viel belesene und vielseitig interessierte langjährige Chefredakteurin der taz es nicht schafft, sich in die Probleme der Menschen mit Kindern in Deutschland einzufühlen? Bascha Mika hat viele Interviews geführt, recherchiert und Studien filettiert. Und sie hat daraus ein einerseits kluges Buch gemacht. Gerade deswegen ist es schade, dass Kinder in dieser Streitschrift nicht wirklich vorkommen. Zwar versucht Mika zwischendurch kurz, sich der Frage des Kindergücks mit Hilfe der Wissenschaft zu nähern – doch daran kann sie nur scheitern. Denn mit Zahlen kommt man dem Sinn und Unsinn unseres Nachwuchses nicht auf die Schliche. Beobachtungen führten offensichtlich auch ins Leere: Die abgehalfterte Schimpftirade auf die typischen Latte-Macchiato-Mütter am Prenzlauer Berg, die sich in der von Mika so genannten Vollzeit-Komfortzone – sie meint das erste Jahr der Elternzeit – ausruhen, lässt tief in das abschätzige Stimmungsbild der Nicht-Mutter gegenüber Müttern blicken. Dass es nämlich für die Mutter eines fünf Monate alten Säuglings zum Highlight des Tages gehören könnte, in Ruhe einen Kaffee zu trinken, bevor das Baby wieder brüllt, kommt ihr nicht in den Sinn und schürt sicherlich neben dem Vorwurf der Feigheit die Wut vieler Leserinnen. Offenbar hat sich Bascha Mika vor allem in ihrer eigenen Generation umgeguckt. Ihr Buch ist durchzogen von den Frauen, die einst Großes vorhatten in ihrem beruflichen Leben – und sich dann doch als Heimchen am Herd eingerichtet haben. Fragt man aber bei den heutigen jungen Müttern oder denen, die es werden wollen, hört man von anderen Lebensentwürfen. Die Dreißigjährigen wollen in zehn Jahren anders leben als es Mika in ihrer Streitschrift beschreibt. Und sie setzen sich mit viel Elan dafür ein, dass es nicht soweit kommt, wie Mika es anprangert. Ihr Gefühl ist ein anderes, wie auch die Süddeutsche Zeitung vor kurzem in ihrer Wochenendausgabe schrieb. Da hieß es: „Die Generation 30 ist bereit für die gleichberechtigte Karriere – wenn nur die Kinder nicht wären.“ Häufig zitiert wird der Familienreport des Bundesfamilienministeriums, um die These der feigen Frau zu untermauern. Manche der Ergebnisse lässt Mika dann aber weg. Etwa den Wunsch vieler teilzeitbeschäftigter Mütter, die „ihre Arbeitszeit hingegen gerne verlängern möchten.“ So wünschen sich, so die Studie, Mütter im Durchschnitt zwischen 22 und 29 Stunden, Väter zwischen 32 und 38 Stunden zu arbeiten – womit sie nicht mehr sehr weit auseinanderliegen. Noch mehr lässt Bascha Mika bei ihren Forderungen an den landläufigen deutschen Mann nicht gelten: denn viele Männer tun genau das, was sie einfordert. Sie wollen Gleichberechtigung, wollen im Haushalt ihren Teil übernehmen. Auch wenn es ihnen ihre Mutter nicht beigebracht hat. Denn auch wenn die Eltern in Schlaghosen und Cordjacketts heirateten und ihre Kleinkinder mit auf Anti-Atomkraft-Demonstrationen schleppten: Das Rollenmodell der Generation, die heute zu Großeltern gemacht werden, blieb meist das alte. Frauen, die damals Karriere machten, blieben kinderlos, die anderen zogen Kinder groß – und gaben sich mit Teilzeitjob oder Haushaltsmanagement zufrieden. Dieses Dilemma zieht sich als Warnung durch Bascha Mikas Buch. Und dabei geht ihr die Realität 2011 durch die Lappen. Kein Wort fällt über die heutigen Umstände einer Vollzeit-arbeitenden Mutter mit Kleinkind, keines über die Schwierigkeiten des Vaters, der versucht, nach den zähneknirschend ausgehandelten zwei Elternmonaten auch noch eine Teilzeitstelle in seinem Büro zu verhandeln. Nichts liest man darüber, wie schwer es ist, diese Teilzeitstelle wieder aufstocken zu können, wenn der prekäre Arbeitsplatz der Mutter doch nicht sicher ist. Kein Satz fällt über fehlende Großeltern in einer globalisierten Familienwelt, über festgerammte Arbeitszeiten, eingespielte Überstunden, fehlende Kitaplätze oder wochenlange Schulferien ohne Betreuung. Ganz davon zu schweigen, dass nicht ein einziges Mal die wachsende Zahl gleichgeschlechtlicher Beziehungen und deren Rollenmodelle, ob mit oder ohne Kindern, angesprochen wird. Man mag Bascha Mika eigentlich nicht unterstellen, dass ihr Buch ein Aufruf zur Kinderlosigkeit ist, stellenweise liest es sich aber so als stünde für die Autorin fest: Wenn das mit Karriere und Kind nicht klappt, dann sollten die Frauen das mit den Kindern lieber lassen. Das ist schade. Denn wir sollten tatsächlich über das Thema reden. Dringend. Bascha Mika hat natürlich auch Recht, wenn sie beklagt, dass zu viele junge Frauen, die einst mit großen beruflichen Plänen gestartet sind, nun mit dem Staubsauger in der Hand verkümmern und erst wieder hinter dem Sofa hervorkommen, wenn die Kinder in der Pubertät, der Mann auf dem Zenit seiner Karriere und sie selbst der Gefahr ausgesetzt ist, vor lauter Frustration mit ihrem Leben nichts mehr anfangen zu können. Dann werden nämlich aus Frauen, die der Gesellschaft etwas hätten geben können, Frauen, die ihren Ärger über ihr eigenes Leben an ihrer kleinen Komfort-Zone auslassen. Ihren Aufruf wider den Selbstbetrug beschließt Bascha Mika mit den Worten: „Wir brauchen ein Pfund Mut statt einer Tonne Ausreden... Freiheit kann frostig sein aber auch herrlich beglückend. Der Schock der frischen kalten Außenwelt ist bestürzend – und wunderbar.“ Dann und wann ist der nicht getane Schritt nach draußen sicher eine Frage von Mut, Vermausung oder Feigheit. Aber oft geht es doch einfach um menschenmögliche Kraftanstrengung, um Organisationstalent, um fehlende Strukturen und Unterstützung. Ein Blick in die Runde heutiger Dreißigjähriger lässt trotzdem hoffen. Darauf, dass sie es schaffen können, den Trampelpfad der Gleichberechtigung breiter zu treten. Mutig und kraftvoll ausschreitend, nebeneinander. Mutter, Vater, Kind. Die Feigheit der Frauen: Rollenfallen und Geiselmentalität. Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug. C. Bertelsmann Verlang, 2011, ISBN 978-3-570-10070-7

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