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Kunstmarkt - Die Macht der Sammler

Mit viel Geld, hoher Sachkenntnis und noch größerem Selbstbewusstsein rollen einige Privatleute den Kunstmarkt von hinten auf. Sie diktieren Preise, bestimmen die Trends – und machen inzwischen sogar den Museen Konkurrent

Autoreninfo

Malte Herwigschreibt Kulturreportagen und investigative Geschichten über Deutschland und die Welt. Zuletzt erschien von ihm „Eliten in einer egalitären Welt“ (wjs-Verlag)

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Aus dem alten Reichsbahnbunker an der Reinhardtstraße dringen seltsame Geräusche. Es brummt, es tickt, es knallt. Die Tür ist angelehnt. Was ist da los?

So richtig laut war es hier zuletzt in den neunziger Jahren, als sich im Bunker noch die Berliner Techno-Szene zu House- und Breakbeat-Partys traf. Davor diente das Gebäude den Alliierten als Gefängnis und der DDR-Regierung als Bananenspeicher. 2003 kauften der Wuppertaler Werbefachmann Christian Boros und seine Frau Karen das Ungetüm. Sie ließen sich ein Penthouse aufs Dach stellen und die Räume darunter umbauen, um dort fortan auf 3000 Quadratmetern in 80 Räumen ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst zu präsentieren.

Jetzt hört man hier Leuchtstoffröhren summen, deren Sound die Künstlerin Alicja Kwade mit Mikrofonen und Lautsprechern verstärkt hat. Auch abgebrühten Ravern dürfte in Klara Lidéns „Teenage Room“ noch ein Schauer über den Rücken laufen, wenn nach dem Schließen der Tür eine Axt herunterknallt. In einem anderen Raum schleift ein Autorad geräuschvoll an der Bunkerwand entlang. Titel des Werks von Michael Sailstorfer: „Zeit ist keine Autobahn“.

Kunst kann ganz schön laut sein.

Ein Stockwerk höher hämmert eine Schlagbohrmaschine. Doch das ist reine Handwerkskunst. Zwei Arbeiter installieren Sailstorfers „Wolken“: ein Knäuel aus riesenhaften Autoschläuchen, die von der niedrigen Decke baumeln. Keine leichte Aufgabe angesichts der meterdicken Wände des 1943 erbauten Hochbunkers, einer architektonischen Kreuzung aus Nazibeton und Neorenaissance. „Mit dem richtigen Werkzeug ist das kein Problem“, sagt Hausmeister Kasimir und wiegt seine Bohrmaschine liebevoll in den Händen.

Nach vier Jahren, 7500 Führungen und 120 000 Besuchern wird nun die neue Ausstellung eröffnet, und mit dem Bohren dicker Bunkerwände war es nicht getan. Um den sechs Meter hohen Baum des chinesischen Künstlers Ai Weiwei ins Gebäude hieven zu können, mussten sogar die Balkonbrüstungen abgeschraubt werden.

Wer tut so etwas und warum?

Christian Boros erwartet von der Kunst Aufschluss über die Gegenwart: „Wenn ich heute durch Galerien gehe, dann ist das für mich, als ob ich die Tagesthemen sehe.“ Boros war einer der Ersten, die sich für den heute längst etablierten Olafur Eliasson interessierten. Zeitgenössische Kunst, glaubt der 47-Jährige, sei „ein tool, um die Gegenwart zu verstehen“. Was zum Zeitpunkt des Kaufes älter als ein Jahr ist, das ist für ihn und seine Frau Schnee von gestern. „Wir kaufen die Sachen frisch und feucht, schließlich sind wir keine Briefmarkensammler.“ Dafür wird er in Kunstkreisen schon mal als „Trüffelschwein“ bezeichnet. Die Kunst soll ihn zum Nachdenken und Hinterfragen anregen – ein Ziel, das im Einklang mit den kreativen Herausforderungen von Boros’ Arbeit als Werber steht: „Ich sammle Kunst, die ich nicht verstehe.“

Kunstsammler gab es schon immer. Aber noch nie stellten so viele ihre Schätze in eigenen, privat finanzierten Museumsbauten aus wie heute. Der Boros-Bunker ist vielleicht der verrückteste, auf jeden Fall aber einer der spektakulärsten privaten Kunsttempel, wie sie in den vergangenen Jahren auch in der Bundesrepublik aus dem Boden geschossen sind.
„Noch nie zuvor wurden so viele Ausstellungshäuser von Privatpersonen gegründet wie heute“, konstatiert Gerda Ridler. Die Kuratorin hat gerade ein wegweisendes Buch veröffentlicht, in dem sie am Beispiel von zehn renommierten Sammlungen die Erfolgsrezepte privater Kunstinitiativen untersucht.

In der Öffentlichkeit genießen Sammler geradezu mythischen Status. Wer sein Geld nicht für vulgäre Luxusjachten oder Sportwagen ausgibt, sondern für Kunst, beweist schon allein durch diese Wahl kultivierte Kennerschaft. Das Ansehen des Sammlers zehre nicht allein von dessen Besitz, schreibt der Kunstwissenschaftler Walter Grasskamp, sondern auch von seiner „Konsumkompetenz“.

„Als Sammler werde ich behandelt wie ein Professor“, sagt der Immobilienmagnat Hans Grothe, „nach dem Motto: Das ist ein kultureller Mensch, nicht ein Kaufmann!“
Geld ist quantifizierbar, Kunstwerke hingegen sind etwas Besonderes – der exklusive Charakter einer Kunstsammlung vermittelt die Authentizität der Sammlerpersönlichkeit. Wer seine Werke dann öffentlich ausstellt, mag noch so bescheiden sein – eine Portion Exhibitionismus gehört im wahrsten Wortsinne dazu. „Wenn ein Sammler sagt, er sei nicht eitel“, findet Julia Stoschek, eine der jüngsten deutschen Sammlerinnen, „dann lügt er wahrscheinlich.“

Seite 2: Private Sammler laufen Museen den Rang ab

Der Berliner Museumsdirektor Wilhelm Bode wusste sich die Sehnsucht reich gewordener Bürger nach gesellschaftlichem Aufstieg schon früh zunutzezumachen. 1883 organisiert Bode anlässlich der Silberhochzeit des Kronprinzenpaars in Berlin eine Ausstellung mit 300 Kunstwerken aus dem Besitz von 50 Privatsammlern. Bodes Strategie war klar: Die Sammler hatten das Kapital, die Kompetenz lag beim Museum. Nun musste man die beiden nur noch zusammenführen. So beriet der Museumsdirektor den Unternehmer James Simon erst beim Ankauf seiner Kunstschätze, um ihn dann zu überreden, seine komplette Sammlung den Staatlichen Museen von Berlin zu schenken. Simon wurde zum größten Mäzen, den die Berliner Museen je hatten.

Bode war dabei durchaus bereit, den edlen Spendern entgegenzukommen. Er präsentierte die Sammlung meist nicht in neuer Hängung, sondern so, wie sie im privaten Umfeld des jeweiligen Stifters aussah. Auf diese Weise wurde dessen Privatgeschmack zum Maß aller Dinge geadelt und der Stifter zum Repräsentanten einer kulturellen Elite. Ein Zugeständnis, das schon damals bei Kritikern nicht immer auf Gegenliebe stieß, die von Museen eine größere Eigenständigkeit erwarteten.

Einer Statistik des Deutschen Städtetags zufolge sind mindestens 75 Prozent der Objekte in kommunalen Museen Schenkungen, Überlassungen, Stiftungen oder Dauerleihgaben. Allein im Jahr 2010 fanden 370 000 Besucher den Weg in private Kunstmuseen – mit steigender Tendenz. Auf dem Markt zeitgenössischer Kunst laufen private Sammler den öffentlichen Museen bald den Rang ab. 100 Jahre nach der ersten Blütezeit der Berliner Museen erlebt der Stiftergeist in ganz Deutschland eine Renaissance. Diesmal allerdings profitieren die öffentlichen Museen weniger davon, denn immer mehr Sammler suchen ihr Glück auf eigene Faust.

Seit 2000 sind allein im deutschsprachigen Raum knapp 40 Institutionen von internationalem Renommee entstanden. Sie konkurrieren auf Augenhöhe mit den Privatmuseen von Charles Saatchi in London, Viktor Pinchuk in Kiew oder François Pinault in Venedig. Für Robert Fleck, den Ausstellungsmacher und Intendanten der Bundeskunsthalle Bonn, ist Deutschland gar eine „Großmacht“ auf dem Weltmarkt zeitgenössischer Kunstsammlungen und gilt nach den USA als das Land mit den einflussreichsten und kaufkräftigsten Sammlern.

Sie besitzen Baumärkte, Werbeagenturen, Medienhäuser, kommen aus der Autozulieferungsindustrie, Medizintechnik, Biotechnologie oder haben geerbt. So vielfältig wie die Persönlichkeiten der Stifter sind auch die Rechtsformen, die Sammler ihren Kunstunternehmungen geben. Ob sie als Verein (Julia Stoschek), gemeinnützige GmbH (Boros), Aktiengesellschaft (Daros Latinamerica AG), Privatsammlung (Rolf und Erika Hoffmann, Sammlung FER Collection) oder gemeinnützige Stiftung (Museum Frieder Burda, Museum Essl) auftreten, eines haben alle Privatinstitutionen gemeinsam: Sie machen den etablierten öffentlichen Museen zunehmend Konkurrenz.

Ein Grund dafür liegt in der Finanzkraft privater Sammler. Während die Ankaufsetats öffentlicher Museen immer weiter sinken, können wohlhabende Privatsammler nach eigenem Gutdünken Geld ausgeben. Der österreichische Unternehmer Karlheinz Essl eröffnete 1999 in der Nähe von Wien sein Privatmuseum, in dem unter anderem Werke von Hermann Nitsch, Georg Baselitz, Markus Oehlen, Gottfried Helnwein und Gerhard Richter gezeigt werden. Als Besitzer einer erfolgreichen Baumarktkette kann Essl beim Kunstkauf aus dem Vollen schöpfen und schätzt, „dass unser Ankaufsetat so hoch ist wie der Etat aller österreichischen Museen zusammen“.

Ein anderer Grund für den Erfolg privater Kunstsammler ist ihre Unabhängigkeit. Sie brauchen keine Gremien, keine Besserwisser, keine Zeitverschwender: Sammler sind ihre eigenen Chefs und können machen, was sie wollen, wann sie wollen. Kurz: Sie können sich einen eigenen Geschmack leisten.

Margit Biedermann erwarb mit 18 Jahren ihr erstes Bild im Tausch gegen eine Armbanduhr und eine Schachtel Zigaretten. Seitdem hat sie eine beachtliche Sammlung sowohl mit Werken abstrakter Kunst als auch der „Neuen Wilden“ zusammengetragen. Im 2009 eröffneten Museum Biedermann in Donaueschingen stellt die Sammlerin nicht nur etablierte Künstler wie Paolo Serra oder David Nash aus, sondern auch die Werke junger Künstler wie Andreas Kocks, Sebastian Kuhn und May Cornet.

Der Mainstream interessiere sie dabei gar nicht, bekennt die Sammlerin freimütig in einem Interview: „Ich brauche kein Name-Dropping und muss keinen Gerhard Richter in meinem Museum hängen haben. Die Leute sollen bei uns Kunst entdecken, die sie in anderen Museen nicht finden können.“

Seite 3: Sammler schürfen nach Selbsterkenntnis

Auch für Peter W. Klein, der zusammen mit seiner Frau Alison das Museum Kunstwerk in Eberdingen-Nußdorf gegründet hat, richtet sich die Kaufentscheidung allein nach persönlichen Vorlieben: „Wir kaufen nur, was uns gefällt. Eine Arbeit muss uns unmittelbar berühren; das ist uns wichtiger als ein berühmter Name oder aktuelle Trends auf dem Kunstmarkt.“

Nirgendwo sind Sammler dabei so frei in ihren Entscheidungen wie auf dem Markt für zeitgenössische Kunst, die noch gar nicht legitimiert ist. Nirgendwo sind Abenteuer, Entdeckungslust, Risiko so groß. Was heute entsteht, darüber muss die Geschichte erst noch ihr Urteil fällen. Einen Rembrandt kann man nur kaufen, einen jungen Künstler kann man entdecken. Wer früh in unbekannte Künstler investiert, beeinflusst mitunter sogar den Gang der Kunstgeschichte.

Dass er in den siebziger Jahren als einer der ersten das Talent von Jungkünstlern wie Joseph Kosuth erkannte, brachte dem Kunstsammler und Unternehmer Friedrich Erwin Rentschler den Spitznamen „Kolumbus der Kunst“ ein. Für Rentschler bietet gerade die Zeitgenossenschaft einen besonderen Erkenntnisreiz, wie er im Gespräch mit Gerda Ridler erklärt: „Das ist es, was ich auch in der heutigen Kunst suche. Ich will unsere Zeit kennenlernen, will wissen, was los ist. Deshalb habe ich mich schon früh nach vorne gewagt.“

Weiterkommen, Neuland betreten, Grenzen ausloten. Heute suchen Sammler nicht allein soziales Prestige, sie schürfen auch nach Selbsterkenntnis. Dekoratives ist verpönt, Provokation ist gefragt – und heute geradezu eine Voraussetzung, um in gut situierten, bürgerlichen Sammlerkreisen anerkannt zu werden.

Beispiel Baden-Württemberg. Keine Region hat mehr Privatmuseen als das Epizentrum mittelständischen Arbeitsfleißes und braver Bodenständigkeit. Dass sie auch Kunst können, beweisen die Unternehmer im Südwesten mit zahlreichen eindrucksvollen Museumsbauten: Burda in Baden-Baden, Würth in Künzelsau, Rentschler und Weishaupt in Ulm, Bürkle in Freiburg, Grässlin in St. Georgen, Ritter in Waldenbuch.

Die 2007 eingeweihte Kunsthalle Weishaupt wird als Public-Private-Partnership betrieben. Die Stadt Ulm überließ Weishaupt das Grundstück für 66 Jahre in Erbpacht, bezahlt das Museumspersonal und kassiert das Eintrittsgeld. Der Sammler suchte sich den Architekten Wolfram Wöhr aus und finanzierte den Bau des so kühnen wie kühlen Kastens aus Beton und Glas, der mit wechselnden Ausstellungen bespielt wird. Dabei verkneifen sich der Heiztechnik-Industrielle Weishaupt und seine Tochter, die als Direktorin der Kunsthalle fungiert, auch manch hintersinnige Geste nicht, wie die aktuelle Ausstellung beweist. In der wie ein riesiges Schaufenster auf den Platz hinausgehenden Glasfassade spiegeln sich die Türme des Münsters. Dahinter hängt Frank Stellas Skulptur „Crotch“ – eine fünf mal zweieinhalb Meter große Vagina aus Aluminium. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Auch im Museum Ritter in Waldenbuch geht es nicht immer jugendfrei zu, obwohl schon durch die räumliche Nähe zur gleichnamigen Schokoladenfabrik Unmengen junger und jüngster Besucher angezogen werden. Aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums der Firma Ritter Sport war gerade die Ausstellung „Kunst mit Schokolade“ zu sehen. Auf die Frage, ob der niedliche „Chocolate Santa with Butt Plug“ von Paul McCarthy einen Weihnachtsbaum in der Hand halte, antwortete die Führerin, das sei kein Weihnachtsbaum, das gehe in Richtung Sexspielzeug.

Sammlern gehe es immer auch darum, erkannte schon der französische Philosoph Jean Baudrillard, durch die eigenwillige Zusammenstellung von Objekten ihre eigene Einzigartigkeit zu unterstreichen. „Im Endergebnis sammelt man immer nur sich selbst“, folgerte Baudrillard.

So entstehen im Laufe der Zeit ganz unterschiedliche Kollektionen, die nicht dem kuratorischen Expertenkonsens öffentlicher Museen verpflichtet sind, sondern einzig und allein den Vorlieben ihrer Sammler. „Während das staatlich subventionierte Museum der allgemeinen und objektiven Wissensvermittlung dient“, stellt Gerda Ridler fest, „leistet sich der private Kunstsammler den Luxus von Subjektivität und Individualität.“ Die Museumsexpertin diagnostiziert gar eine neue „Emanzipation der Sammler“. Diese seien viel selbstbewusster geworden und hätten sich durch ihren Kenntnisreichtum von der Abhängigkeit öffentlicher Museen gelöst: „Wurde der Sammler früher als Amateur gesehen, so gilt er heute als Connaisseur, der seinem eigenen Urteil vertraut.“

Seite 4: Besondere Intimität zwischen Betrachter und Kunstwerk

Heute kaufen Sammler nicht nur, manche kuratieren auch gleich selbst. Wer sich in der Szene nach denen umhört, die nicht nur wegen des Geldbeutels, sondern ihres Kunstverstands wegen geschätzt werden, der stößt schnell auf den Namen Ingvild Goetz. Von ihr sprechen alle mit Hochachtung. Ihre rund 5000 Werke umfassende Sammlung zeitgenössischer Kunst reicht von der Arte Povera der sechziger Jahre bis in die unmittelbare Gegenwart.

1993 eröffnete ­Ingvild Goetz in München als eine der Ersten einen privaten Museumsbau, in dem sie ihre Sammlung der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Auch bei den Architekten, die sie mit dem Bau ihres Museums beauftragte, bewies die Sammlerin Pioniergeist, indem sie auf ein damals kaum bekanntes, aber inzwischen weltberühmtes Team setzte. Die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron schufen ihr erstes Museum als einen geschlossenen, oberflächenbündigen Körper aus Birkenholzplatten, unbehandeltem Aluminium und mattiertem opalinweißen Glas. Durch eine Glastür gelangt man in das Büro, das zugleich als Empfangsraum dient. Die Sammlerin ist gerade auf der Berlin Art Week. Das Telefon klingelt, es ist Frau Goetz, die sich nach der Adresse einer Berliner Galerie erkundigt. Sie ist wieder auf der Jagd.

Eine Auswahl ihrer Funde präsentiert Goetz in ihrem Museum, das einem auf den ersten Blick erstaunlich klein vorkommt: Der Künstler Paweł Althamer belegt drei Räume im ersten Stock und drei im Untergeschoss, die Werke von Ulrike Ottinger findet man in einem unterirdischen Anbau und im Garten. Die Konzentration auf zwei Künstler und wenige Objekte stellt jedoch eine Intimität zwischen Betrachter und Kunstwerk her, die in überfüllten Museen gar nicht erst aufkommt. Die Werke kommen ohne prätentiöse Kuratorenbeipackzettel aus, stattdessen führen Kunststudenten durch die kleine Ausstellung. Da können die Besucher genau das tun, was auch die Sammlerin tut: sich ihr eigenes Urteil über die Kunst bilden.

Das gestiegene Selbstbewusstsein der Sammler bedeutet aber auch: die „Kanon-Kompetenz“ (Ridler) für zeitgenössische Kunst geht langsam von den Museumskuratoren auf die Sammler über. Mit ihren Ankaufstrategien üben sie inzwischen mehr Einfluss auf die zeitgenössische Kunstproduktion aus als die öffentlichen Museen. Zeit, sich so einen Sammler-Kurator mal aus der Nähe anzuschauen.

An einem Septemberabend sitzt der Hamburger Unternehmer Harald Falckenberg in kleiner Runde im Steakhouse und macht seinem Herzen Luft, während er ein Rumpsteak verschlingt. „International ist nur noch Kitsch angesagt. Die Preise sind verrückt geworden. Da tauchen Leute aus Kasachstan auf und zahlen einfach das Siebenfache.“ Stille am Tisch. Dann erzählt Falckenberg einen Witz aus New York: Zwei Hedgefonds-Manager stehen auf einer Party vor einem Bild. Fragt der eine. „Von wem ist die Arbeit?“ Der andere: „Von Gagosian.“

Der Witz illustriert ganz gut, was Falckenberg am internationalen Kunstmarkt stört. Galerien wie Gagosian nehmen unbedarften, aber reichen Kunden nicht nur das Geld ab, sondern auch die Entscheidung, was als wichtige Kunst gelten soll. Der Name der Galerie wird zur eigenen Kunstmarke, wird wichtiger als der Name der Künstler.

Wer Kunst nur auf Zuruf des Galeristen und nicht nach eigenem Urteil kauft, der hat irgendwann die gleiche, gut sortierte Sammlung von internationalen Künstlernamen wie alle anderen. Superkunst von der Stange. Wer eine repräsentative Kollektion sein Eigen nennen will, braucht dann nur noch Scheckbuch und Checkliste: Richter – abgehakt! Kiefer – hab ich! Rauch – gebongt! Die Sammlung als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit? Fehlanzeige.

Auch im Kellergewölbe der Phoenix-Werke in Hamburg-Harburg findet man den einen oder anderen Warhol oder Kippenberger. Man kann Werke der Richters (Daniel und Gerhard) aus langen Magazinschüben ziehen, Dieter Roth und die Oehlen-Brüder. Auch ein großes Ölgemälde von Jonathan Meese steht da, das offensichtlich frisch von der Staffelei weg gekauft wurde: Am unteren Rand steckt noch eine Pappe mit festgetrockneten Farbrinnen.

Harald Falckenberg hat innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten eine der angesehensten Sammlungen zeitgenössischer Kunst aufgebaut. Platz genug hat er in der ehemaligen Fabrikhalle mit über 6000 Quadratmetern Ausstellungsfläche auf fünf Stockwerken, die durch eine grandiose Kaskadentreppe miteinander verbunden sind. Aber wer an diesem Sonntag im September die großen Namen sehen will, der muss im Keller nach ihnen suchen. Denn Harald Falckenberg ist längst mit anderem beschäftigt.

Seite 5: „Eine gut gehängte Ausstellung ist wie ein guter Golfplatz“

„Wo ist Fuck the police?“, ruft der bullige Unternehmer im zweiten Stock. Neben ihm steht, oben schwarz und unten weiße Stiefel, die Künstlerin Monica Bonvicini. In einer Woche eröffnet hier die Ausstellung „Desire Desiese Devise“ mit Zeichnungen der Berliner Künstlerin aus den Jahren 1986 bis 2012. Ein halbes Dutzend Handwerker schleppen Rahmen, nageln, schrauben und richten. Mehr als 400 Werke müssen gehängt werden, und Falckenberg hat ein Auge fürs Detail. „Eine gut gehängte Ausstellung ist wie ein guter Golfplatz“, verrät der Sammler, „man erinnert sich an jede Bahn.“

Seinen Reichtum verdankt der 69‑Jährige dem Geschäft mit Benzineinfüllstutzen. Noch heute gehören seine Tage dem Unternehmen. Die Nächte aber verbringt er am liebsten im „Maschinenraum der Kunst“, wie eine seiner Essaysammlungen heißt. Und die folgt anderen Gesetzen als das Geschäftsleben. „Political correctness habe ich im Büro, das ist das allerletzte, was mich in meiner Freizeit interessiert“, sagt Falckenberg. Der promovierte Jurist ist ein so polemischer wie glänzender Stilist. Sein Motto: „Das Schöne, Gute und Wahre in der Kunst ist mir egal. Den Künstlern geht es ja um die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Und die kann hässlich ausfallen.“

Der Hamburger Unternehmer ist das Paradebeispiel des selbstbewussten Sammlers, der es sich leisten kann, eine eigene Position im Kunstmarkt einzunehmen. Vergangenes Jahr ging er eine Kooperation mit den Hamburger Deichtorhallen ein, die nun für Betrieb und Marketing der Sammlung zuständig sind. Dabei wollte Falckenberg seine Sammlung eigentlich komplett in einem öffentlichen Museum unterbringen. Doch die Verhandlungen mit der Hamburger Kunsthalle scheiterten nach langem Hin und Her.

Konflikte zwischen Sammlern und öffentlichen Institutionen sind einer der Hauptgründe für den Boom privater Museen. 2004 zog der Sammler und Galerist Paul Maenz nach nur fünf Jahren seine Leihgaben aus dem Neuen Museum in Weimar ab und warf der Klassik Stiftung Weimar vor, seine Sammlung stiefmütterlich behandelt zu haben. 2007 kam es in Bonn zum Zerwürfnis zwischen dem Kunstmuseum und der Sammlerin Sylvia Ströher, die zwei Jahre zuvor für 50 Millionen Euro die Sammlung Grothe gekauft und dem Museum zur Verfügung gestellt hatte. Grund für die baldige Trennung war der Wunsch der Sammlerin, selbst als Kuratorin zu wirken, was das Museum jedoch strikt ablehnte.

Wer sein eigenes Haus und sein eigenes Budget hat, der kann schalten und walten, wie er will. Museen dagegen gelten Sammlern oft als „pragmatische Verwaltungsapparate der Kunst“, glaubt der Intendant Robert Fleck. Das Misstrauen beruht auf Gegenseitigkeit, wenn die Museen fürchten, von Sammlern nur zur Wertsteigerung der eigenen Kollektion missbraucht zu werden. „Für einzelne Sammler ist das Museum sogar lediglich eine ‚Durchgangsstation‘ geworden“, urteilt die Museumsexpertin Ridler, „in der private Kunstwerke aufbewahrt, ausgestellt, wissenschaftlich bearbeitet und auch im Wert gesteigert werden.“ Doch auch die Verwalter öffentlicher Museen sind nicht immer selbstlos. Sie setzen aufgrund sinkender Budgets auf spektakuläre Publikumsmagneten und lassen sich dafür auch von Sammlern hofieren. In der Szene ist von gestandenen Museumsdirektoren die Rede, die über Schenkungen nur in Pariser Drei-Sterne-Restaurants diskutieren wollten – auf Kosten des zukünftigen Spenders, versteht sich.

Fünf von zehn Sammlern, die Ridler in ihrer Studie untersucht, strebten zuerst eine Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand an: „Scharfe Proteste und Kritik von Presse und Öffentlichkeit sowie mangelnde Unterstützung auf politischer und musealer Ebene brachten alle Bemühungen zum Scheitern. Die erfolglosen Versuche, mit öffentlichen Museen zusammenzuarbeiten, haben die Gründung eigener Kunstinitiativen befördert.“

Ulla und Heiner Pietzsch sind noch nicht so weit. Bereits in den achtziger Jahren haben sie im Berliner Grunewald eine weiße Villa für sich und ihre Kunst gebaut. Dort empfängt einen gleich hinter der Eingangstür ein grimmig schauender US‑Cop von Duane Hanson. Dann öffnet sich der Raum zu einem lichten Atrium mit Blick auf den See und eine beeindruckende Bildergalerie.

Die Kunst, sinniert Heiner Pietzsch, sei ein bisschen wie Rauschgift: nicht schädlich für die Gesundheit, aber für das Portemonnaie. „Wir können einfach nicht aufhören“, sagt seine Frau Ulla und gießt unter dem Picasso Kaffee nach.

Er habe sein Leben lang nur mit Kunst zu tun gehabt, erzählt ihr Mann. Mit Kunststoffen hat er sein Geld verdient und es für Kunst ausgegeben. Wenn er abends aus der Firma nach Hause kam, setzte er sich in die Sammlung und beschäftigte sich mit den Werken. „Ich mag keine Sammler, die mit den Ohren sammeln“, sagt der Unternehmer. „Aber das Auge kriegt man wahrscheinlich erst nach vielen Jahren.“

Seite 6: Ehepaar Pietzsch im Zentrum eines Museumskrachs

Als sie vor 45 Jahren anfingen, zeitgenössische Kunst von Richter, Kiefer, Penck und Baselitz zu kaufen, da hätten die Leute noch gelacht: schöne Wohnung, wenn da nicht die hässlichen Bilder wären. „Heute haben die alle die gleichen Bilder an der Wand“, amüsiert sich Ulla Pietzsch.

Inzwischen hat das Ehepaar die beträchtlich im Wert gestiegene Gegenwartskunst wieder verkauft, um das Geld ganz in Surrealisten wie Tanguy, Dalí und Miró zu investieren. „Fernando Botero war so beleidigt, dass wir sein Bild verkauft haben, der hat uns danach gar nicht mehr beachtet.“

Ihre bedeutende Sammlung mit Werken von Max Ernst, Paul Delvaux, Magritte, Dalí und vielen anderen soll einmal in einem öffentlichen Museum stehen. „Wir wollen kein eigenes Museum“, sagt Heiner Pietzsch. „Kleine Museen haben keine Haltbarkeit.“

Vor zwölf Jahren beteiligte sich das Ehepaar Pietzsch zum ersten Mal mit Leihgaben an einer Ausstellung im Dresdner Schloss. Doch seine Geburtsstadt schien dem heute 82‑jährigen Heiner Pietzsch nicht als der beste Ort, um die Sammlung dauerhaft unterzubringen. „Dresden ist eine Barockstadt, eine Stadt der Musik, nicht des Surrealismus.“

Ihre Wahl fiel schließlich auf die Neue Nationalgalerie in Berlin, der sie vor zwei Jahren die Schenkung von 100 Werken aus ihrer Sammlung anboten. Seitdem tobt ein Streit, wie es ihn vielleicht nur in der Bundeshauptstadt geben kann. Die deutschen Feuilletons laufen Sturm gegen das Vorhaben, die Alten Meister vom Kulturforum am Potsdamer Platz ins Bode-Museum umzupflanzen und das Kulturforum mit Gemäldegalerie und Neuer Nationalgalerie zu einem Stützpunkt der Kunst des 20. Jahrhunderts auszubauen. Die Kritiker argwöhnen, dass ein Großteil der renommierten Werke des 13. bis 18. Jahrhunderts erst einmal im Depot verschwindet, bis ein Neubau auf der Museumsinsel zur Verfügung steht.

So fanden sich die großzügigen Spender auf einmal im Zentrum eines großen Berliner Museumskrachs. „Berlin fehlt ein Museum für die Kunst der Moderne“, sagt Heiner Pietzsch, „und durch unsere Schenkung ist ein Stein ins Wasser geworfen worden.“ Einzige Bedingung für die Schenkung: Die Stadt soll sich verpflichten, die Bilder nicht nur zu verwalten, sondern sie auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Kirchner, Dix und Grosz stehen in der Nationalgalerie im Keller. Das sollen unsere Bilder nicht“, sagt Heiner Pietzsch. Die Stadt könne sich die Werke ja frei aussuchen.

Und die Ehre? Und der Ruhm? In amerikanischen Museen wird inzwischen jeder Klappstuhl nach Sponsoren benannt. „Das wollen wir auf keinen Fall“, wiegelt Ulla Pietzsch entsetzt ab, und ihr Mann ergänzt: „In 20 Jahren weiß doch keiner mehr, wer Ulla und Heiner Pietzsch waren. Aber die Leute sollen sagen: Mensch, in Berlin gibt’s ein tolles Museum des 20. Jahrhunderts.“

Und doch: Ist so eine Sammlung nicht auch ein Lebenswerk? Zurück ins Bode-Museum. Noch heute stehen hier die Holzbüsten von Willibald Imhoff und seiner Frau Anna. Der Nürnberger Kaufmann war im 16. Jahrhundert einer der ersten bürgerlichen Privatsammler. Er verfügte, dass die Erben seine bedeutende Kunstsammlung nicht teilen dürften. Doch daraus wurde nichts: Bereits kurz nach dem Tod des Sammlers verscherbelten die Nachkommen den Kunstschatz. Was kommt nach mir? Das ist bis heute eine der Sorgen, die Sammler bei der Bestellung ihres Lebenswerks umtreibt. „Alle wollen in den Himmel“, sagt Heiner Pietzsch, „aber sterben will keiner.“

Auch Reinhold Würth spricht über den Tod, als er an einem Septembermorgen im überfüllten Gobelinsaal des Bode-Museums steht. „Nach der Sterbetabelle wäre ich in zwei Jahren und drei Monaten tot“, sagt der 77‑Jährige und erklärt, dass ihm die schönen Künste immer eine Kraftquelle gewesen seien. Gerade haben er und seine Frau Carmen den James-Simon-Preis verliehen bekommen. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, hat in seiner Laudatio die Stiftungstätigkeit des Ehepaars gelobt und von einem „Museumsimperium Würth“ gesprochen.

Das ist nicht übertrieben: Mit seiner Sammlung aus mehr als 14 000 Kunstwerken gehört der schwäbische Schrauben-Unternehmer zu den reichsten Sammlern Europas. Die Unternehmenszentrale in Künzelsau war 1985 weltweit der erste Firmenbau, in dem eine Kunstgalerie mit dem Verwaltungstrakt verbunden wurde. Hier probten schon Christo und Jeanne-Claude, bevor sie in Berlin den Reichstag verhüllten. Sogar der wilde Alfred Hrdlicka stellte seine Werke aus. Der Bildhauer sei zwar „kommunistisch bis ins Innerste“, urteilte Konzernlenker Würth damals, „aber auch er war aufs Geld aus“. Hrdlicka gab das Kompliment an den Sammler zurück, wie es sich für einen Künstler gehört: „Ich mag Herrn Würth, weil er die Kunst nicht nur anschaut, sondern auch kauft.“ 

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