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(picture alliance) Kultur für alle, aber ohne Geld? Prof. Dr. Armin Klein fordert 2012 eine Kulturdebatte

Ausblick 2012 - „Deutschland droht ein Kulturinfarkt“

Einen Ausblick in das Kulturjahr 2012 gibt der Ludwigsburger Autor, Professor und Kulturwissenschaftler Dr. Armin Klein. Im Interview mit CICERO ONLINE spricht er über eine Kultur, die an den Bürgern vorbeigefördert wird und darüber, warum wir dringend kulturell umdenken müssen

Herr Klein, die öffentlichen Haushalte müssen mit immer weniger Geld auskommen, auch Kultureinrichtungen leiden unter der Krise der öffentlichen Finanzen. Um die Bedingungen der Schuldenbremse erfüllen zu können, müssen Bund, Länder und Kommunen in den kommenden Jahren weiter sparen. Kommt im kommenden Jahr der Kahlschlag für die Kultur?

Nein. Die Aufregung in der Kulturlobby ist groß, aber klappern gehört einfach zum Geschäft. Es wird zwar weniger Geld geben, auch die Kultur wird die Finanzkrise spüren. Die kulturellen Einrichtungen bekommen meistens den gleichen Etat wie im Vorjahr, nur leider steigen die Personalkosten jedes Jahr zwei bis drei Prozent. Weil bei den Festangestellten nicht gespart werden kann, werden die Etats woanders zusammengestrichen. Die Folge ist, Museen können keine Ausstellung mehr machen, Theater ihre freien Bühnenbilder nicht mehr bezahlen. Von dieser gefährlichen Ausdünnung kriegt der Bürger gar nichts mit. Aber es ist völlig übertrieben, von einem Kahlschlag zu sprechen. In den letzten Jahren wurde in Deutschland kein Theater geschlossen. Wenn, dann haben einige Häuser fusioniert.  Die zentrale Frage ist doch eine andere: Brauchen wir das derzeitige Angebot, so wie es ist und vom Staat subventioniert wird, noch?

Und? Brauchen wir?

Wir müssen endlich darüber diskutieren, ob man das Geld nicht sinnvoller einsetzten kann. Das Problem ist, Theater, Museen und Konzerthäuser in Deutschland bieten von allem zu viel und immer wieder das Gleiche an. Wobei gleichzeitig die Zahl der Theaterzuschauer dramatisch zurückgeht. Jedes Jahr für Jahr verlieren wir dort um die 500.000 Besucher. Ich würde lieber innovative, neue Kultur fördern. Vielleicht müssen wir auch gar nicht mehr Geld ausgeben als bisher, sondern das vorhandene Geld nur anders ausgeben. Das ist für mich der entscheidende Punkt.

Blickt die Politik zu sehr auf die etablierte Kultur?

Es gibt die Einrichtungen, die im Fördersystem drin sind, also die Staatstheater, die großen Museen, die Musikschulen. Diese Staatskultur bekommt sehr viel Geld, aber wenn innovative Projekte dazukommen, ist kein öffentliches Geld mehr vorhanden. Wo zum Beispiel haben Jugendlichen ihren Platz in der Kultur? Die Gameskultur findet in unseren kulturpolitischen Diskussionen überhaupt nicht statt. Wo kommen denn Migranten in unserem Kulturbetrieb noch vor? Wo gibt es denn türkische Theater oder arabische Museen in Deutschland, die die Zuwandererkultur widerspiegeln. Wir brauchen eine grundsätzliche kulturpolitische Debatte in der Gesellschaft. Was wollen wir warum fördern? Das Problem ist, jede Kritik am jetzigen System der Förderung wird als Angriff auf die Kultur insgesamt gewertet, sofort wird der Untergang des Kulturstaates heraufbeschworen. Nur wenn wir uns dieser Fragen nicht stellen, kommt es schon bald zum Kulturinfarkt.

Können wir nicht stolz sein auf unsere kulturellen Traditionen?

Ja, aber in der Diskussion wird immer sofort die große Keule herausgeholt. Neulich war in der FAZ zu lesen, dass der ICE in Weimar nur noch halb so oft hält wie früher. Daraufhin schreibt der stellvertretende Direktor der Musikhochschule, das sei ein Angriff auf den Kulturstaat Deutschland. Da fasst man sich doch an den Kopf! In der alten Bundesrepublik Deutschland gab es für 60 Millionen Einwohner 80 Theater, dann kam die DDR dazu, mit 17 Millionen Einwohnern und noch einmal 80 Theater. Wenn doch für 60 Millionen Menschen 80 Theater ausreichend sind, dann wären doch für 17 Millionen Ostdeutsche, sagen wir, auch 30 Theater in Ordnung. Aber in dem Moment, wo sie diese Diskussion beginnen, heißt es sofort, das ist Angriff auf den Kulturstaat.

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Sie sagen, dass die Kultur die Gesellschaft nicht zusammenhält, sondern eher spaltet, wie ist das zu verstehen?

Das liegt daran, dass die selbst ernannten Kulturwächter in Deutschland in gute Kultur und schlechte unterscheiden. In jene, die gefördert wird und die Massenkultur, wo viele Leute gerne hingehen. Es wird gesagt, im Musicaltheater oder im Kino haben die Leute zwar ihren Spaß, aber sie verdummen. Ich sage, lasst die Leute doch einfach wählen. Es gibt viele Angebote, die im öffentlichen Bewusstsein als Kultur gar nicht vorkommen. Das ist die Kultur der Jugend, das ist der ganze Bereich der digitalen Kultur, die Kultur von Migranten. Alle diese Dinge werden von den meisten Menschen nur in Spurenelementen wahrgenommen, dabei wird unsere Gesellschaft auch von diesen Kulturen reich beschenkt.

Ist Amerika ihr Vorbild in Sachen Kultur?

Ein Kernproblem in Deutschland ist, dass wir Kultur immer angebotsorientiert fördern. Es dominiert die Vorstellung, dass es einen kulturellen Kanon gibt, mit dem alle Deutschen angeblich glücklich werden können. Und diesen Kanon soll der Staat organisieren und finanzieren. In den USA ist das ganz anders. Dort regiert der Markt. Dort setzt sich das durch, was nachgefragt und interessant ist. Dort darf Kultur Spaß machen. Der Staat hält sich weitgehend raus. Ich will keine amerikanischen Verhältnisse, aber wir sollten den Kulturvergleich mit Amerika nicht scheuen und auch dort schauen, wie funktioniert es eigentlich.

Was können wir von den USA lernen?

Wir sollen nicht alle Gepflogenheiten der Amerikaner übernehmen, da läuft genug schief. Aber von deren kultureller Offenheit können wir etwas lernen. Warum soll Kultur quälend sein oder wehtun? Warum setzten wir bei der Kultur nicht mehr auf Nachfrage, auf das, was die Menschen interessiert. Das klassische Bildungsbürgertum, was das Theater stützt, macht sich seit zehn Jahren rar. Darauf müssen die Einrichtungen, aber auch die Kulturpolitik endlich reagieren!

In vielem anderen europäischen Ländern wird diese Debatte im Übrigen längst geführt. Die Franzosen haben viel Geld in neue Institutionen gegeben. In den Niederlanden oder der Schweiz haben die Kulturschaffenden gesagt: Wir müssen anders fördern, zum Beispiel zeitlich befristet. Es macht ja auch Sinn, ein Angebot etwas für 5 Jahre zu fördern und anschließend danach zu fragen, ob das Angebot noch genutzt wird oder nichts mehr bringt?

Ein niederländischer Kollege sagte einmal zu mir: „Ihr habt in Deutschland keine Kultur des Aufhörens. Wenn ihr irgendetwas mal angefangen habt, dann fördert ihr das ewig“. Ob das noch Sinn macht oder nicht, spielt keine große Rolle.

Halten Sie solch grundlegende Veränderungen bei der Kulturförderung in Deutschland überhaupt für durchsetzbar?

Wenn Sie sich vor Augen führen, was letztes Jahr alles passiert ist, dann wird klar, dass dies möglich ist. Deutschland hat die Wehrpflicht abgeschafft und steigt aus der Atomkraft aus. Wir schließen Schulen, weil wir nicht mehr genug Kinder haben. Nur in der Kultur muss alles so weitergehen wie bisher. Keiner will wirklich Museen oder Theater abschaffen. Darum geht es gar nicht, sondern darum, dass wir uns in der Kultur mit frischem Wind neuorientieren.

Das Interview führte Linda Rustemeier

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