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Angelina Jolie - Zeiten der Präventionshysterie?

Angelina Jolie hat sich die Brüste abnehmen lassen. Aus Angst vor Krebs. Kumuliert hier übertriebene Risikominimierung mit einem Gesundheitswesen, das von Aktionismus geprägt ist?

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Jetzt ist die Empörung wieder groß über die verrückten Amerikaner, diese Sicherheitsfanatiker. Da drüben nehmen sie sich die Brüste ab, um sich vor Krankheiten zu schützen. Wie hysterisch ist das denn?

Und dann auch noch Angelina Jolie, dieses Fabelwesen: Sexbombe und Übermutter in einem, einst Lesbe, verletztlich, abgemagert, tätowiert, jetzt Ehefrau von Brad Pitt, Weltenretterin, Hollywoodikone, vor Gesundheit strotzender Vorzeigeyogi. Für jeden ist etwas dabei, niemand, der sich nicht in einem der vielen Ichs von Angelina Jolie wiederfinden könnte.

Und jetzt ließ sich Jolie die Brüste entfernen. Das Symbol ihrer Weiblichkeit, ihrer Mütterlichkeit, ihres Sex-Appeals.  Aus Angst vor Krebs, dieser Krankheit, die Urängste auslöst. Jeder hat schon einen bekannten, verehrten oder gar geliebten Menschen an sie verloren.

Jolie erklärt sich mit Prozentzahlen in ihrem öffentlichen Geständnis, das die New York Times an diesem 14. Mai 2013 veröffentlichte. Sie schreibt von Wahrscheinlichkeiten, von Herausforderungen des Lebens. Und sie ruft dazu auf, aktiv zu werden. Sich zu wehren, bevor das Schicksal zuschlägt. In Jolies Fall sind das Mutationen in den Brustkrebsgenen BRCA1 und BRCA2, die Brust und auch Eierstöcke betreffen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten im Laufe ihres Lebens mit diesen genetischen Vorboten an Brustkrebs erkranken, liegt bei 87 Prozent, die Gefahr für Eierstockkrebs bei 30 bis 50 Prozent. Konsequenterweise müsste sich Jolie nun auch noch die Eierstöcke herausnehmen lassen, kommentiert der Schweizer Onkologe Franco Cavalli. Davon aber schreibt Jolie nichts.

Dafür intime Einblicke in die Prozedur der Mastektomie, wie diese Art der Brust-OP im Fachjargon heißt, die vor zwei Wochen abgeschlossen wurde. Über Monate dauerte der Prozess, bei dem der 37-Jährigen beide Brüste entfernt und Implantate eingesetzt wurden. Jetzt berichtet sie davon, um das Thema auf die Agenda zu heben – erfolgreich. Angelina Jolies Brüste verfangen, das ganze Netz spricht davon, die Geschichte wird an den Zeitungskiosken zum Verkaufsschlager.

Markus Nöthen, Leiter des Instituts für Humangenetik der Universität Bonn, bescheinigt Jolie im Gespräch mit Cicero Online „einen großen Schritt, der die körperliche Integrität berührt“. Ein aktives Herangehen an einen – noch – gesunden Körper, erfordere Mut. Aber ist dies auch ein Zeichen für eine präventionshysterische Zeit? Kumuliert hier die Mischung aus einem zunehmend privatisierten Gesundheitswesen, das von Aktionismus und übertriebenen Angeboten der Ärzteschaft getrieben wird, mit einer Gesellschaft, die krampfhaft Risiken zu vermeiden versucht? Steuern wir auf eine Welt zu, in der wir uns alle Brüste, Leberflecken und Prostata amputieren lassen, sobald sie nicht mehr gebraucht werden? In der wir permanent in der Angst leben, einen Risikofaktor übersehen zu haben, immer befürchten müssen, nicht genug getan zu haben?

Nöthen wiegelt ab: Die Menschheit lerne, mit der Kenntnis von Risiken umzugehen. „Es ist doch bewundernswert, wie adaptiv der Mensch ist“, so der Humangenetiker. „Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden einen Menschen aus dem 19. Jahrhundert auf eine Straßenkreuzung von heute beamen. Er wäre völlig verängstigt, obwohl er sich genetisch nicht von einem heutigen Menschen unterscheidet.“ Nöthen ist sich sicher, dass die Menschen es mit der Zeit schaffen, auch mit dem neuen Wissen um genetische Risiken umzugehen. Für die Medizin sei es wichtig, den Patienten sinnvolle Konsequenzen zu vermitteln. Ein Angebot zum Screening auf erblichen Darmkrebs zum Beispiel sei für die gesamte Bevölkerung noch in den kommenden zehn Jahren vorstellbar.

Sich vorsorglich für eine Mastektomie zu entscheiden, erfordert Kraft, Zuversicht, Mut und ein liebendes Umfeld. Darüber zu sprechen auch. Dass Angelina Jolie neue Brüste hat, wäre vermutlich in der Welt der rote Teppiche, der Blitzlichtgewitter und grellen Scheinwerfer Hollywoods nicht lange unbemerkt geblieben. So hat Angelina Jolie den Schritt aus der Deckung gewagt. Präventiv sozusagen.

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