Kurz und Bündig - André Glucksmann: Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt

«Grenzenloser Hass geht um in der Welt: mal glühend und schonungslos, mal schleichend und kalt.» Wer Marx und Engels schon im Auftaktsatz paraphrasiert, stellt hohe Ansprüche an sich wie an die Leser. André Glucksmann, der Pariser philosophe-essayiste, will diese mit seiner Streitschrift über die «Rückkehr einer elementaren Gewalt» erfüllen. Vor dreißig Jahren attackierte der Ex-Maoist das sowjetische Gulag-System sowie dessen philosophisch inspirierte Apologeten.

«Grenzenloser Hass geht um in der Welt: mal glühend und schonungslos, mal schleichend und kalt.» Wer Marx und Engels schon im Auftaktsatz paraphrasiert, stellt hohe Ansprüche an sich wie an die Leser. André Glucksmann, der Pariser philosophe-essayiste, will diese mit seiner Streitschrift über die «Rückkehr einer elementaren Gewalt» erfüllen. Vor dreißig Jahren attackierte der Ex-Maoist das sowjetische Gulag-System sowie dessen philosophisch inspirierte Apologeten. Heute macht er mit seiner vehementen Anklage weltweit begangener Menschen­rechtsverletzungen (ob in Ruanda oder in Tschetschenien) von sich reden – ebenso mit seiner Verteidigung einer aggres­siven, mit Präventionsgründen flankierten US-Außenpolitik. Für Glucksmann ist, in der Tradition Hannah Arendts, das Prinzip der Freiheit der zen­trale Wert, der die Humanität auszeichnet. Und der Gegenpol dazu ist der Hass. Der russi­sche Terrorist Netschajew antwortete einst kalt auf die Frage, welche Mitglieder des Hauses Romanow getötet werden sollten: «Alle.» Osama bin Laden figuriert hier als Wiedergänger Netschajews. Denn, so Glucksmann lako­nisch: «Was allein zählt, ist die erwiesene und in die Tat umgesetzte Absicht, Menschen wahllos auszulöschen.» Für Glucksmann ist Hass nihilistisch – und eine anthropo­lo­gi­sche Konstante. Er weist ge­sellschaftspolitische Erklärun­gen genauso zurück wie psy­chologische Entschuldigungen. «Wer vom Hass besessen ist, sieht in sich selbst und um sich herum nur die ansteckende Krankheit, die er zum einzigen und universellen Gesetz erhoben hat.» Er zeigt dies an drei Objekten des Hasses auf: dem Antiamerikanismus, dem Antisemitismus sowie der Re­pression von Frauen. Alle drei Ausprägungen formie­ren sich zu einem Komplex grundstürzender Irritation an der Welt. «‹Hier endet jede Hoffnung›, lautet die dantesk anmutende Botschaft einer Bombe, die alles Leben zerstört», schreibt der Autor. «‹Es gibt kein Warum› ist das ni­hilistische Credo der SS. Hiro­shima stand für die definitive Möglichkeit, eine absolute Wüste nach der anderen zu schaffen, Auschwitz für die geplante und gewollte totale Vernichtung. Die Verbindung dieser beiden Absichten, das Nichts zu erzeugen, brodelt in den schwarzen Löchern des modernen Hasses.» André Glucksmann zieht viele rhetorische Register. Da gibt es den jähen, surrealistisch anmu­tenden Gedankensprung; da gibt es die direkte Leseransprache in der zweiten Person Singular; und immer wieder geschliffene Formulierungen. Was Glucksmanns schwungvolle Analyse allerdings auch kennzeichnet, ist ihre Einseitigkeit. Deutlich wird dies etwa daran, wie er den Stimmungsumschwung einordnet, der die spanischen Wähler nach dem Bombenanschlag in Madrid im März 2004 ergriff. Der Ausgang der Parlamentswahlen zugunsten der sozialistischen Opposition steht in Glucksmanns Augen symbolisch für ein freiheitsverges­senes, verantwortungsscheues Europa, das in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zum Freizeitpark mutiert ist. Man muss diese Einschätzung nicht teilen. Doch dies ändert nur wenig am Gehalt dieses anregenden und daher erhellenden Buches.

 

André Glucksmann
Hass. Die Rückkehr einer elemen­taren Gewalt
Aus dem Französischen von Bernd Wilczek und Ulla Varchmin.
Nagel & Kimche, Zürich 2005. 288 S., 19,90 €

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