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Johannes Ifkovits

Opernsängerin Stoyanova - Verdis Requiem – ein blutiges Gebet

Krassimira Stoyanova ist die große Unbekannte der Opernwelt – im Verdi-Jahr zeigt sie ihr ganzes Können

Autoreninfo

Eva Gesine Baur ist Kulturhistorikerin. In diesen Tagen ist ihre Biografie „Chopin oder die Sehnsucht“ (C.H.Beck-Verlag) erschienen.

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Die New Yorker Opernfans werden enttäuscht sein. Wenn sie im März des Verdi-Jahres 2013 im Internet nach Bildern, Plattenaufnahmen und Interviews mit der Frau suchen, die in sechs Aufführungen an der Met als Desdemona in Verdis Otello umjubelt wurde, werden sie nicht viel finden. Wenige CDs bei kleinen Labels, kaum Fotos, fast keine Interviews. Nur ein paar Kritiken, die sich alle ähnlich lesen – ob sie von einer Aufführung in der Londoner Covent Garden Opera, bei den Salzburger Festspielen oder in der Wiener Staatsoper handeln: Sie war die Königin des Abends, diejenige, die alle überstrahlte. Das wurde schon vor zehn, 15 Jahren geschrieben über Krassimira Stoyanova. Aber ihr Gesicht kennt nach wie vor kaum einer. Was macht diese Frau falsch?

Auf dem Flur in der Wiener Staatsoper sieht sie aus, als käme sie von einem Spaziergang auf dem Land. Ausgeruht, ungeschminkt, in stabilen Stiefeln und Wollmantel. Dabei hat Krassimira Stoyanova gerade eine vierstündige Probe hinter sich. Fotografiert werden will sie nicht. In den Augen ihrer jungen Kollegin Annette Dasch macht diese Frau alles richtig. „Ich bewundere große Sängerinnen, denen es gelingt, ganz unauffällig zu leben.“ Stoyanova gehört dazu. Alles Äußerliche der Karriereplanung sei ihr fremd, behauptete die Süddeutsche Zeitung.

Was trieb sie dann an, Opernsängerin zu werden, nicht gerade ein Beruf für Schüchterne? „Der Zufall“, sagt sie. „Eigentlich wollte ich Geigerin werden.“ An der Musikhochschule im bulgarischen Plovdiv hatte sie drei Fächer studiert: Violine, Dirigieren und Gesang. Wie ihr Mann, ein Oboist, begann sie ihre Laufbahn als Orchestermusikerin. Als die beiden erfuhren, dass in Opava, einer tschechischen Kleinstadt, dringend Instrumentalisten gesucht würden, packte sie die Aufbruchsstimmung. Noch dringender suchte man in Opava allerdings jemanden, der die Violetta in Verdis La Traviata singen kann. Stoyanova sagte zu. Der Saal entpuppte sich als Club, in dem es keine Bühne gab und kein Orchester, nur ein Klavier. Dafür einen Ansager wie beim Boxkampf, der mit Geheul den Inhalt des nächsten Aktes ankündigte. Und während sich Violetta zwischen den Tischen ihrem Ende entgegenhustete, zechte das Publikum. „Es war schrecklich“, sagt sie, „aber für mich war es gut.“ Sonst hätte sie vielleicht nicht zu kämpfen gelernt. Gegen Dirigenten, die ihr einreden wollen, Arien von Mozart ohne jedes Vibrato zu singen – „eine Dummheit“. Oder Arien von Puccini in Tempi, die für ihr Empfinden nur für das Guinness-Buch der Rekorde taugen. Vor allem aber gegen Regisseure, die Verdi im Container transportieren wollen. „Ich hasse Inszenierungen, die Verdis Pathos kleinmachen. Ich kann nur mit Pathos leben. Ohne Pathos ist das Leben eine Behörde. Wir sind heute kastriert von großen Emotionen und fürchten sie, obwohl sie uns fehlen.“ Damit verstößt Krassimira Stoyanova gegen alle Gesetze des zeitgemäßen Marketings.

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Das ist ihr bewusst. Ein weiblicher Opernstar darf tätowiert und gepierct sein, darf sich das Haar grün färben und bei der Premierenfeier im Jogginganzug Bier aus der Flasche trinken. Darf auch dazu stehen, in Striptease-Lokale zu gehen wie Anna Netrebko. Nur uncool darf eine Opernsängerin, die heute etwas gelten will, nicht sein. Davon scheint Stoyanova nichts gehört zu haben. Befragt, was ihr an Puccini wichtig sei, schwärmt sie von „seiner Menschlichkeit, seiner Liebe, seinem Glauben an Gott“. Ihre Einspielung mit italienischen Arien heißt „I palpiti d’amor“, Herzklopfen der Liebe, und die ihr wichtigste bringt slawische Opernarien. Slawische Seele – coole Typen wissen da sofort Bescheid. Fügt sich ins Bild, dass Stoyanova Oper als „Gottesgeschenk“ bezeichnet.

Wenn Krassimira Stoyanova über Verdis Werke redet, hört sich das nicht kühler an. „Verdis Requiem“, sagt sie, „ist ein blutiges Gebet.“ Auch Verdis Opern erlebt sie als Rituale. Gewaltige, oft gewaltsame. Sie selbst möchte Teil davon werden. „Ich fühle mich wie jemand, der geopfert werden will.“ Sie macht eine Geste, als reiße sie sich das Gewand vorne auf. „Ich biete mich dar. Ich gebe mich preis. Die physische Macht von Verdis Musik entmachtet mich.“ Das ist hoffnungslos uncool.

Die Kenner aber überzeugt sie durch vollendete Beherrschung der Stimme in jeder noch so extremen Situation. „Alle Kunst hat mit Rechnen und Berechnen zu tun. Am Anfang des Rollenstudiums steht die Analyse des Notentexts.“ Und wie verträgt sich das mit dem Pathos, wie mit der Lust an der Entmachtung? „Wir können doch alle so vieles gleichzeitig. Deshalb sind wir Menschen ideal geeignet für das Leben. Besser als jeder Computer.“

Bei jeder der zwölf Verdi-Partien, die sie gesungen hat, und bei jeder neuen, die sie nun einstudiert, habe sie das Gefühl: „Das ist für mich geschrieben.“ Verdi war ein harter Rechner, der seinem Verleger Betrug nachwies, um Honorare feilschte – und als Komponist ein nüchterner Arbeiter. Zugleich stritt er für Sänger, die leidenschaftlich waren, und verabscheute alle, denen es nur darum ging, Töne „mit großer Kraft hervorzustoßen“. Ziel der Stoyanova: „Bei jeder Rolle mit Hirn und Herz zu erkunden, wo ihr Geheimnis liegt.“ Und wo liegt jenes der Stoyanova? Vielleicht in ihrem Rat an junge Sänger, keinen Druck auszuüben. Was die Stimme und was die Karriere angeht. Damit kommt man nicht in die Charts. Aber Verdi nahe.

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Wolfgang Eck | Fr., 16. November 2018 - 02:16

Mit ihr als Sopranistin kann heute vielleicht noch Anja Harteros mithalten, die die etwas dramatischere Stimme hat, wo Stoyanova eher einen etwas lyrischen Einschlag mitbringt. Beide können Verdi auf höchstem Niveau singen und Emotionen völlig glaubhaft mit hohem Ausdruck darstellen, Harteros vielleicht etwas kühler im Habitus. Die Netrebko kann da im allgemeinen nicht ganz mithalten, sie ist wohl noch immer etwas zu sehr gehypt. Nehmen wir vielleicht mal die kürzliche Aida und Lady Macbeth aus. Aber wenn mich jemand fragte - wer ist dein Lieblingssopran - würde ich ohne mit der Wimper zu zucken sagen : Krassimira Stoyanova. Sie ist solide und großartig zugleich.