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Cicero

Frau Fried fragt sich - ... was das Stöhnen über ständige Erreichbarkeit soll

Ständig stöhnen die Menschen über die Diktatur des Handys. Das dient meist nur dazu, die eigene Unentbehrlichkeit zu demonstrieren. Ein Plädoyer für Smartphone, Vernetzung und ständige Erreichbarkeit

Autoreninfo

Amelie Fried ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Für Cicero schreibt sie über Männer, Frauen und was das Leben sonst noch an Fragen aufwirft

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Ich wünschte, in meiner Jugend hätte es schon Smartphones gegeben. Dann wäre ich an Silvester 1984 nicht auf der falschen Party gelandet, wo ich um Mitternacht mit niemandem anstoßen konnte, weil ich keinen kannte. Sondern auf dieser Wahnsinnsparty, auf der alle meine Freunde waren. Dort hätte ich bestimmt den Mann meines Lebens kennengelernt. Vielleicht wäre ich mit ihm ausgewandert und hätte ein Hotelimperium aufgebaut. Vielleicht wäre ich auch eine berühmte Dokumentarfilmerin geworden – wenn der entscheidende Anruf des Produzenten mich erreicht hätte. Nicht auszudenken, was ich alles verpasst habe, weil es früher keine Handys gab! Ich bin sehr froh, dass ich heute nichts mehr verpasse, auch wenn der Aufbau eines Hotelimperiums nicht mehr zu meinen vorrangigen Zielen gehört.

Das Gestöhne über die Diktatur der ständigen Erreichbarkeit geht mir auf die Nerven. Meistens dient es nur dazu, die eigene Unentbehrlichkeit zu demonstrieren. Diese Wichtigtuer führen sich auf, als wären Handy oder Laptop gefährliche, lebende Organismen, die sie verfolgen und ihnen gegen ihren Willen Nachrichten aufzwingen. Statusgeile Manager brüsten sich neuerdings damit, kein Handy mehr zu haben – dafür beuten sie lieber ihre allzeit erreichbaren Assistentinnen aus. Selbstständige tauchen ohne Vorankündigung in Urlaubsparadiese ohne WLAN ab, sodass ihre Geschäftspartner denken müssen, sie seien tot. Mein Hasssatz lautet: „Klar habe ich ein Handy, aber es ist meistens ausgeschaltet.“ Dann schmeiß es gleich weg, du Blödmann!

Ich finde es super, erreichbar zu sein. Davon lebe ich als Freiberuflerin. Wenn ich meine Ruhe will, lese ich die Mails halt später oder gehe nicht ans Telefon, das ging doch früher auch. Deshalb muss ich nicht öffentlich den Rückzug ins Vor-Fax-Zeitalter propagieren. Die Unerreichbarkeitsapologeten sind wie Raucher, die gerade aufgehört haben: nervtötend militant. Weil die Sucht noch an ihnen nagt.

Ich bin erreichbar, und ich will mich dafür nicht entschuldigen müssen. Smartphone und Laptop dienen mir, nicht ich ihnen. Sie erleichtern mein Leben.

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