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(picture alliance) Frankreich setzt auf Atomenergie und Polen klebt an der Kohle

Energiewende - Vom ewigen Traum eines erneuerbaren Europa

Europäisch koordiniert, wäre die Energiewende schneller und günstiger zu erreichen. Doch die große Idee will bis heute nicht zünden, denn verschiedene Interessen der Mitgliedsstaaten verhindern eine europäische Lösung

Der deutsche Architekt und Geopolitiker Herman Sörgel plante zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen riesigen Staudamm in der Straße von Gibraltar. „Atlantropa“ hieß Sörgels Idee. Das Mittelmeer wird teilweise trockengelegt. Wasserkraft liefert elektrische Energie für Europa.

Bis heute wirkt das monumentale Projekt recht weltfremd und brachial. Man stelle sich vor am Strand von Rimini fehlt das Meer. Doch die Vision Sörgels bleibt virulent. Warum die Energiefrage nicht im großen Maßstab erneuerbar und europäisch denken?

[gallery:Die Kosten der Energiewende]

Wie Europas Vollversorgung mit grüner Energie heute aussehen könnte, hat der Physiker Gregor Czisch vor Jahren durchgerechnet. Ein Hochleistungsstromnetz „Super Grid“ durchzieht den Kontinent. Es verbindet die günstigsten Standorte für Wind-, Geothermie, und Solarkraftanlagen mit den Orten, an denen ihre Energie gebraucht wird, mit den Großstädten, Ballungsgebieten und Industriezentren. Czischs Ansatz: nationale Grenzen ignorieren und Kosten minimieren. In seinem Szenario zahlt der Verbraucher sogar absehbar weniger als für Kohle-, Gas- und Atomstrom. Europa ist den Fluch der „dreckigen“ Energie los.

Zwar leben Czischs Ideen heute im Wüstenstrom Projekt Desertec fort. Doch der große Wurf, der ihm vorschwebt, bleibt Gedankenspiel, faszinierende Science Fiction. Studien bestätigen zwar regelmäßig: eine europäisch koordinierte Energiewende wäre effizienter, effektiver, billiger und schneller zu haben. Doch der Funke will nicht auf die politischen Entscheidungsträger überspringen. Selbst nüchtern über das schnellstmögliche Ökostrom-Europa  nachzudenken ,endet regelmäßig im Sumpf wirtschaftlicher und nationaler Interessen, verheddert sich im Geflecht energiepolitischer Ideologien.

Theoretisch könnte sich die EU einfach an ihre Wurzeln erinnern. Die Energiefrage schweißte die Europäer erst zusammen, nicht nur in der Montan-Union (1952), in der es auch um einen zollfreien Zugang zu Kohle ging. Mit dem EURATOM-Vertrag von 1950 bekannten sich die beteiligten Länder  - darunter Deutschland - zum „Wohlstand ihrer Völker“ zum Aufbau einer „mächtigen Kernindustrie“. Gemeinsam trommelte man für die Atomenergie, diese  „unentbehrliche Hilfsquelle für den friedlichen Fortschritt“. Nach Tschernobyl, Fukushima und dem Desaster im Endlager Asse gilt der EURATOM-Vertrag heute noch.

Die ehemalige EU-Kommissarin Michaele Schreyer (Grüne) setzt an diesen energiepolitischen Fundamenten Europas an. Sie fordert den EURATOM-Vertrag durch eine Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien (ERENE) zu ersetzen. Das Ziel: Hundert Prozent Ökostrom in der EU bis 2050. „Europa ist reich“, fasst Schreyer zusammen. „Wir haben Wasser, Sonne, Wind, Wellenkraft und Geothermie.“

Wie nebenbei könnte der ökologische Umbau auch noch Licht in die Düsternis der Eurokrise bringen. Das Ökostrompotenzial etwa Griechenlands wird noch lange nicht ausgeschöpft. Es sind auch die Kosten für Kohle, Gas und Öl, die Defizite in die Leistungsbilanzen von Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich reißen. Die von den Grünen seit Jahren propagierte Vision, den Neubau der Eurozone mit der ökologischen Wende zusammenzudenken („Green New Deal“) blitzte kurz auf konservativer Seite auf, als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Griechen empfahl, Sonnenstrom nach Deutschland zu exportieren.

Seite 2: Wie nationale Egoismen eine europäische Lösung verhindern

Nationale Egoismen in der Energiefrage

Nun geistern Träume eines erneuerbaren Europa seit Jahrzehnten durch die Debatte. Die realen Verhältnisse ernüchtern. In wichtigen Ländern regiert unbeirrt der Glaube an eine fossile Energiezukunft.

Frankreich etwa setzt weiter auf seine staatliche Atomindustrie. Voller Befremden verfolgen französische Medien die deutsche Idee, das ganze Land mit Windmühlen zu pflastern. Man stelle sich Ähnliches in der Provence vor. Wie verrückt.

Wie ein Junkie hängt Polen an seiner Kohlekraft. Dafür blockiert man schon mal strenge EU-Vorgaben zum Klimaschutz. Wenn schon CO2-frei, dann mit Atomkraft, so die Devise in Warschau. Verwundert nimmt man zehntausende Briefe aus Deutschland zur Kenntnis - Proteste gegen den ersten polnischen Atommeiler an der Ostsee.

National eingefärbt bleibt auch die Vision einer grünen Zukunft. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) nennt die deutsche Energiewende „unsere Mondlandung“. Wenn in Berlin ein Koalitionsgipfel zur Energiefrage tagt, feilschen Bund und Länder um jeden Cent Solar-Subvention. Man will die Profite der Wende bei sich behalten, bei deutschen Handwerkern, in der deutschen „Green Economy“.

Dass Bauern im sonnenarmen Schleswig-Holstein ihre Felder mit chinesischen Solarmodulen zustellen, macht europäisch betrachtet schon gar keinen Sinn mehr. Doch das erneuerbare Europa will einfach nicht in den Blick geraten.  Ziemlich hilflos wirkt EU-Energiekommissar Günther Oettinger, wenn er aus Brüssel an die deutschen Ministerpräsidenten twittert:  „Europa einbeziehen. Dann sind die Kosten der Energiewende niedriger als beim Alleingang.“

Absurd wird eine – nicht ohne Stolz - propagierte „Energiewende made in Germany“ schließlich, wenn marode tschechische Atommeiler, holländische Stromnetze und österreichische Pumpspeicherkraftwerke sie erst ermöglichen und absichern sollen.

Ökostrom-Förderung: Berlin blockiert die Europäisierung

Vom längst beschlossenen europäischen Energiebinnenmarkt her gedacht, ist es letztlich irrelevant, wo der Ökostrom produziert wird. Man hat es absehbar mit einem großen EU-Energiemix zu tun, in dem der Strom keine Grenzen kennt. Um den europaweiten Anteil der Erneuerbaren zu steigern, gäbe es viele Optionen. Im Zentrum steht ein gemeinsam geplantes und finanziertes europäisches Stromnetz für das erneuerbare Europa der Zukunft, das die vorhandenen Potenziale ausschöpft.

Doch der Weg dorthin ist politisch brisant. Voraussetzung für eine europäisch optimierte Infrastruktur wäre ein einheitliches Förderschema für die Erneuerbaren in der EU. Damit würden Ökostrom-Anlagen dort in Betrieb genommen, wo die Energieausbeute am höchsten ist, wo es sich am meisten lohnt. Und das ist nicht unbedingt in Deutschland.

Wann immer die EU-Kommission laut über ein solches Förderungsregime nachdenkt, bekommt sie zwar den Applaus der großen Energiekonzerne, der Energiehändler und Netzbetreiber, die langfristig möglichst kosteneffizient investieren wollen. Doch aus grünen Kreisen schlägt ihr tiefes Misstrauen entgegen. Sie fürchten, dass unter dem Deckmantel der EU-Harmonisierung die hohe und erfolgreiche Förderung in Deutschland eingestampft werden soll.

Seite 3: Dezentraler vs. zentraler Energieversorgung

In einer grünen Kampagne ist Oettinger schon mal als „trojanisches Pferd“ der Atom- und Kohlekonzerne unterwegs, die letztlich nur den Aufstieg der Erneuerbaren Energieanbieter verhindert wollen. Der frühere Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nannte mögliche Harmonisierungspläne eine „Kampfansage der EU-Kommission an die deutsche Energiepolitik“ und sicherte der deutschen Solarlobby zu, sie nach Kräften zu blockieren.  Speziell die deutsche Solarbranche muss eine Förderungspraxis fürchten, die auf die europaweit besten Standorte und die effektivsten Technologien setzt.

Behindert werden europäische Planspiele auch durch unterschiedliche Energieideologien. Mit einer dezentralen Stromversorgung verbinden sich emanzipatorische Visionen. Der Bürger befreit sich mit seinem Solardach aus dem Würgegriff der Großkonzerne, er wird vom Konsument zum Produzent. Deutsche Kommunen feiern ihre „Energieautonomie“. Großprojekte wie Desertec oder riesige Windparks in der Nordsee erscheinen da wie der Versuch, neue Monopole, neue Abhängigkeit, neue Konzernmacht zu schaffen. Doch zumindest der Konflikt, „Zentrale vs. Dezentrale Versorgung“ hat an Schärfe verloren. Die meisten Experten sind sich einig, die Jahrhundertaufgabe Energiewende braucht beides: den Windpark auf dem Meer und das Solarpanel auf dem Hausdach.

Severin Fischer, Experte für Energiepolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hält es aktuell dringend notwendig, eine engere Koordination der nationalen Energiemixe auf die Agenda zu setzen. Fischer zufolge drohen einige Länder ihre nationalen Ökoenergie-Ziele zu verfehlen, die man in der EU bis 2020 vereinbart hat. Staaten wie Portugal oder Spanien haben in der Krise die Förderung massiv gekürzt. „Die Vorstellungen über den weiteren energiepolitischen Transformationsprozess in der EU driften zunehmend auseinander“, warnt Fischer.

Wie ERENE-Initiatorin Schreyer hält Fischer es für eine Option, dass sich eine „Koalition der Vorreiter“ zusammentut und eine gemeinsame, grenzüberschreitende Förderung der Erneuerbaren in Angriff nimmt. Vielleicht greift ja Angela Merkel - einst als Klimakanzlerin gefeiert – die Vision des erneuerbaren Europa auf. Sie könnte die Deutschen dafür gewinnen, auch Ökostrom bei den europäischen Nachbarn zu fördern, und die Nachbarn von der Alternativlosigkeit der grünen Wende überzeugen. Was wäre für die Europäer in der Krise verbindender als eine gemeinsame Mondlandung? 

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