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(screenshot / Schwab TV Commercial) Spitzname: Chuck

Charles Schwab - Möchtegern-Robin Hood der Wall Street

Der US-Milliardär und Finanzdienstleister Charles Schwab treibt im Libor-Skandal die Großbanken vor sich her. Der Bankier stilisiert sich zum Robin Hood der Bankenwelt

 

Charles Schwab redet gern. Der weißhaarige Mann, Spitzname Chuck, sitzt auf seinem Sofa, trägt eine Brille mit schwarzem Rand, Hemd und Krawatte und redet: über Inflation, den Dollar oder die enorme US-Staatsverschuldung. „Conversations with Chuck“ heißt das Videoformat auf der Website des Finanzdienstleisters „Charles Schwab“.

Die Unterhaltungen mit Chuck haben nur einen Haken. Es sind eher Monologe. Dabei würde man ihn so gern zu dem Thema befragen, das seit einiger Zeit die Bankenwelt in Atem hält und Rechtsanwälte und Aufsichtsbehörden weltweit elektrisiert: der sogenannte Libor-Skandal. Und wer, wenn nicht der heute 75‑jährige Namensgeber und Aufsichtsratsvorsitzende der Firma könnte dazu besser Stellung nehmen? War es doch sein Unternehmen, das als eines der ersten im Juni Klage auf Schadenersatz eingereicht und damit dem Establishment der Finanzwelt den Kampf angesagt hat.

Das Kürzel Libor steht für „London Inter Bank Offered Rate“. Es ist der täglich ermittelte Durchschnittszins, zu dem sich die Banken untereinander Geld leihen würden. Die 18 nach Marktaktivität wichtigsten Banken geben an jedem Börsentag um 11 Uhr eine Schätzung ab, zu welchem Zinssatz sie sich ohne Sicherheiten Geld bei einer anderen Bank leihen könnten. Für die eigentliche Berechnung werden nur die mittleren 50 Prozent der Angaben berücksichtigt. Obwohl es sich lediglich um eine hypothetische Selbstauskunft der Banken handelt, wird der Libor nicht umsonst als „die wichtigste Zahl der Welt“ bezeichnet, weil auf diesem Zinssatz Finanzprodukte im Wert von 800 Billionen Dollar basieren. Das ist das Zehnfache des weltweit erwirtschafteten Bruttosozialprodukts.

Bereits Ende 2007 gab es bei der New Yorker Notenbank erste Erkenntnisse über zu niedrige, manipulierte Libor‑Zinsen. Über die britischen und amerikanischen Finanzaufsichtsbehörden kam der Skandal ins Rollen, in dem bislang allerdings nur die britische Barclays-Bank Manipulationen eingeräumt hat. Die Folgen: eine Strafzahlung in Höhe von 450 Millionen Dollar sowie die Rücktritte des Vorstandsvorsitzenden Bob Diamond und des Verwaltungsratschefs Marcus Agius.

Ein Ende des Skandals ist aber noch gar nicht abzusehen. Die am Libor-Fixing beteiligten Großbanken fürchten sich vor allem vor langwierigen Zivilprozessen, wie sie Charles Schwab und einige andere bereits angestrengt haben. Schwabs Klagebegründung: Die Manipulationen des Libor-Zinssatzes hätten seine Rendite und die seiner Kunden geschmälert. Im Gegenzug hätten die beteiligten Banken „Milliarden unberechtigter Gewinne“ eingefahren. Zu den von Charles Schwab verklagten Geldhäusern gehören auch die Deutsche Bank und die sich in Auflösung befindende WestLB, wodurch eventuell Schadenersatz und Bußgelder vom deutschen Steuerzahler übernommen werden müssten.

Seite 2: Einer der reichsten Self-Made-Männer der USA

Der fünffache Familienvater Schwab schmückt sich gerne mit dem Image des Saubermanns und Demokratisierers der Branche. Schwab, der 2003 kurz als möglicher Finanzminister der Bush-Regierung im Gespräch war, ist in den USA durchaus angesehen, weil er exemplarisch den amerikanischen Traum verkörpert: Der aus einfachen Verhältnissen stammende Kalifornier steht in der aktuellen Forbes-Liste der reichsten Amerikaner auf Platz 101 mit einem geschätzten Vermögen von rund 3,5 Milliarden Dollar. Gepaart mit dem Label: „Self-made.“ Ein Ritterschlag. Das Unternehmen „Charles Schwab“ betreut heute rund acht Millionen Konten und eine Summe von circa 1,65 Billionen Dollar.

Besonderen Respekt erhält Schwab dafür, dass er es in seiner Karriere inklusive MBA‑Abschluss an der amerikanischen Elite‑Universität Stanford trotz ausgeprägter Lern- und Leseschwäche so weit gebracht hat. Das Lesen bereitet ihm bis heute Probleme. Eine von ihm und seiner Frau Helen gegründete Stiftung kümmert sich daher um Kinder mit Lernschwächen.

Ist der mehrfache Milliardär also eine Art Robin Hood? „Um Himmels willen, nein“, sagt Karen Petrou, geschäftsführende Partnerin bei Federal Financial Analytics, „Charles Schwab ist nun wirklich kein kleines Unternehmen. Sie haben nur das gemacht, was sie tun mussten: die Rechte ihrer Anleger schützen.“ Dafür bekomme das Unternehmen schließlich seine Maklergebühren. Ohnehin hat das Saubermann-Image der Bank und ihres Gründers im vergangenen Jahr empfindliche Kratzer erhalten, als das Unternehmen von der US‑Finanzaufsicht SEC zu einer Geldstrafe von 119 Millionen Dollar verurteilt wurde, weil es einen seiner Fonds als sichere Anlage angepriesen hatte, der voller hochriskanter Wert­papiere steckte.

Auch der restliche Lebensstil Schwabs bietet nur bedingt Robin-Hood-Potenzial: Seit Jahrzehnten zählt der leidenschaftliche Golfer zu den großzügigen Wahlkampfspendern der Republikaner und fordert die Privatisierung der Sozialversicherungskonten und weitere Steuersenkungen, weswegen er im laufenden Präsidentschaftswahlkampf voll auf Herausforderer Mitt Romney setzt. Das Wahlergebnis erfährt Schwab Anfang November. Wie lange der Feldzug gegen die Banken dauern wird, ist dagegen nicht abzusehen: „Das wird kompliziert und kann Jahre dauern“, schätzt Petrou. Beides auf jeden Fall spannende Themen für weitere „Conversations with Chuck“.

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