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(Illustration: Mario Wagner) Das Geld ist der Gott der bürgerlichen Gesellschaft

Ein Theologe antwortet - Wie lebe ich mit meinen Schulden?

Ökonomie und Literatur – zwei ganz verschiedene Welten? Das harte Geld und die schöne Kunst? Wir haben drei berühmte Schriftsteller zum Schuldenthema befragt – und einen Theologen. Den Auftakt macht der Münchner evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf

„Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern“, beten Christen aller Konfessionen in ihrem wichtigsten Gebet, dem „Vaterunser“. Unterstellt wird dabei: Menschen sind notorisch schuldig. Sie sind, anders und konventionell formuliert, immer schon Sünder, in eitler amor sui fixiert auf sich selbst. Wie können wir dann anderen, „unsern Schuldigern“, ihre Schuld „vergeben“?

Die Suche nach einer Antwort führt in ganz alte Kontroversen der gelehrten Glaubensexperten, in ebenso harte wie subtile Debatten über Begriffe wie Versöhnung, Vergebung, Satisfaktion, Sühne, Entschuldung und auch Entschuldigung. Lebt der Mensch in sündhafter Selbstzentrierung, leidet er unter Entfremdung, der Trennung von seinem wahren Selbst, das primär in heilsamer Ehrfurcht vor seinem göttlichen Schöpfer existiert. Viele christliche Theologen hatten die glückliche Überwindung dieser Entfremdung so mit Tod und Auferstehung Jesu von Nazareth verknüpft, dass seine Passionsbereitschaft oder Selbsthingabe als ein stellvertretendes Opfer gedeutet wurden, mit dem ein zorniger Gott ein für allemal besänftigt oder gnädig gestimmt wurde.

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Vor allem radikale Reformer des 16. Jahrhunderts, etwa Freidenker wie die Sozinianer, und später auch protestantische Neologen, kritische Aufklärer in den Theologischen Fakultäten des späten 17. und 18. Jahrhunderts, hatten diese alten Satisfaktionslehren mit dem Einwand destruiert, dass es notwendig zur Freiheit des Menschen gehöre, sich seine Schuld selbst zuschreiben zu lassen – kein anderer, auch ein idealer Erlöser nicht, könne dem autonomen Ich stellvertretend seine Schuld abnehmen. In der Eigenlogik entschiedener Selbstbestimmung wurde so jede Vorstellung einer externen Kompensation der je eigenen, individuellen Schuld destruiert. Nur Theologengezänk von gestern oder Gelehrtenstreit im Elfenbeinturm weltfremder Philosophen? Nein, die alten Debatten um autonome Selbstzurechung oder externe Entlastung haben in Zeiten der firewalls, Schuldenbremsen und Konsolidierungsphantasmen nichts an analytischer Relevanz eingebüßt.

Das zum „allgemeinen Äquivalent“ hypostasierte Geld ist nun einmal der Gott der bürgerlichen Gesellschaft, ihr goldenes Kalb, das die kleinen Geldfixierten ebenso hektisch umtanzen wie die großen Spekulanten. Je fiktionaler, künstlicher die Tauschgüter auf globalen Finanzmärkten geworden sind, desto evidenter ist nur die alte religiöse Ahnung, dass Kredit und Credo irgendwie zusammengehören, man jedenfalls dem Tauschpartner einen Vertrauensvorschuss entgegenbringen muss, will man Geschäfte machen. Zwar muss man zwischen religiöser Sünde, moralischer Schuld und ökonomischen Schulden prägnant unterscheiden. Aber die Zahlenspiele einer radikal mathematisierten Ökonomie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Schulden nicht in Nichts auflösen, wer auch immer irgendwann einmal zahlen muss. Am besten zahlt man selbst. Denn das Abwälzen auf andere führt nur in den Teufelskreis der schnellen Neuverschuldung.

Anlass der LITERATUREN-SERIE zu den Schulden ist David Graebers bahnbrechendes Buch Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Illustration: LITERATUREN, Foto: picture alliance

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