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Kulturschwindel - Die Finanzwirtschaft macht weiter wie bisher

Libor-Skandal? Deutsche Bank-Skandale? Die Verantwortlichen schwingen das große Wort – und schlagen sich in die Büsche

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Was für ein Wort: Verantwortung! Ein großes Wort, ein majestätisches Wort. Das Wort der Finanz-Majestäten: „Wir tragen die Verantwortung!“ Ein Wort, das noch den exorbitantesten Gehältern die Weihe solider Verantwortungsethik verlieh. Lächerlich dagegen die Gesinnungsethiker mit ihrem quengeligen Banker-Bashing.

Was für ein Wort: Leistung! Ein Riesenwort, ein Wort für Manager-Giganten, die ergeben alle Lasten der Weltwirtschaft schultern, und zwar Tag wie Nacht, „Masters of the Universe“, die sie nun mal sind. Auch gegen diesen Wahn ist auf dem weiten Feld der Kritik am Casino-Kapitalismus offenbar nichts zu bestellen.

Doch seit dem Crash der Lehman Brothers 2008 sind die beiden pompösen Begriffe nicht mehr so recht im Schwange. Prahlhans hat sich in die Büsche geschlagen.

Und schon kursiert auf den Vorstandsetagen ein neues Wort: Kulturwandel! Es suggeriert: Wir bessern uns jetzt. Und dient der Resozialisierung von Crash-Tätern wie Ackermann, Fitschen oder Jain, um nur einmal die Verantwortungs- und Leistungsträger der Deutschen Bank zu nennen.
Das neue Mantra Kulturwandel auf den Lippen, auch „neue Kultur“ genannt, tingeln die Boni-Banker von Symposium zu Podium zu Finanztagung. Eine neue Zeit bricht an. Alles wird gut, wenn nicht sogar noch besser.

Gern wäre der Finanzausschuss des Bundestags kürzlich in den Genuss dieser Kulturrevolution gekommen. Die Parlamentarier luden Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain zum Gespräch über die im Sommer aufgedeckte Manipulation des Libor-Bankzinssatzes, die dem Geldinstitut ja alles andere als fremd sein sollte. Doch der Verantwortungsträger leistete der Vorladung keine Folge; ebenso wenig Leistungsträger und Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen. Stattdessen erschien Stephan Leithner, zuständig für Personal, Rechtsfragen und Europa, nicht zuständig allerdings für Deutschland.

Die Libor-Vorwürfe betreffen das Investmentbanking der Deutschen Bank, für das jahrelang Jain als Chef der Abteilung Global Markets direktverantwortlich war – und mit deren Spekulationen er sein Anrecht auf horrende Boni geltend machte. Aus der Schweiz meldete sich unverzüglich Josef Ackermann zu Wort, Ex-Chef der Deutschen Bank, und kritisierte seinen Nachfolger: „Ich finde, dass der Chef hier auf die Bühne gehört.“ Und: „Ich habe mich immer diesen Aufgaben gestellt.“

Ach ja? War Mahner Ackermann nicht der Vorgesetzte von Jain in jener gar nicht allzu fernen Zeit, als die Libor-Manipulationen liefen? Ist nicht Ackermann verantwortlich für die Irrungen und Wirrungen der Deutschen Bank in den vergangenen zehn Jahren – sowie generell für deren Skandale?

Unter dem Schweizer entwickelte sich das ehedem so stolze, konservative Institut rheinischer Geldkultur zu einer der größten Spekulantenbanken überhaupt. Ackermanns Monstrum steckte tief im Sumpf der US-Subprime-Krise, die sich nach 2008 zur Weltfinanzkrise auswuchs. Wo immer gezockt wurde, wo immer gezockt wird, war die Deutsche Bank dabei, ist die Deutsche Bank dabei.

nächste Seite: Ackermann gehört zur Rede gestellt

Ja, der Chef gehört in Berlin auf die Bühne: kein anderer als Ackermann. Denn kein anderer hat in der jüngeren Geschichte die Macht der Deutschen Bank so sehr verkörpert wie der Miliz­oberst aus Mels im Kanton St. Gallen. Vor dessen Ära 2002 bis 2012 amtierte der Vorstand der Bank noch als kollegiales Gremium mit einem Sprecher, einem Primus inter pares. Doch Ackermann reklamierte die ganze Macht für sich.

Auch die ganze Verantwortung?

Wenn der Chef vor den Finanzausschuss des Bundestags gehört, dann sollte Ackermann schleunigst den Flieger nach Berlin besteigen. Er gehört noch vor Anshu Jain zur Rede gestellt. Wenigstens das.

Doch zur Rede gestellt werden die Verantwortlichen für den Endlosskandal der globalen Finanzwirtschaft derzeit lediglich von Journalisten, und zwar zur wortreichen Beschönigung. Man hofiert die Geldmächtigen wieder in den deutschen Redaktionen. Kaum ein Verlagssymposium zu Wirtschaftsfragen kommt noch ohne die Ehrenmänner der Geldkaste aus. Sie adeln erneut das Zeitungsgeschäft.

Derweil fordern besorgte Strafrechtler immer ungeduldiger Konsequenzen für die Täter aus der Finanzwirtschaft. Auf einer Tagung der Bucerius Law School erklärte der Wirtschafts- und Strafrechtsprofessor Thomas Rönnau: „Es wäre fatal, würde in der Gesellschaft der Eindruck entstehen, die Finanzwirtschaft könne weitermachen wie bisher.“

Es entsteht nicht nur der Eindruck – es ist so.

Der prominente Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate sagt auch, weshalb: „Überwiegend zurückhaltende Staatsanwaltschaften und eine zahnlose Strafrechtswissenschaft haben ihren Anteil daran.“

Kulturwandel? Offenbar nichts als eine weitere Worthülse auf dem rhetorischen Müllberg. Sie liegt dort gleich neben der Verantwortung, nicht weit von der Leistung, und rottet vor sich hin.

Kulturwandel, Kulturschwindel. 

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