Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Ex-Redenschreiber - „Willy Brandt hätte von Rot-Rot-Grün abgeraten“

Willy Brandt würde sich heute wohl gegen ein Bündnis mit der Linkspartei aussprechen, ist sich sein früherer Redenschreiber Klaus Harpprecht sicher. Denn die Nachfolgepartei der SED hätte der frühere Bundeskanzler kaum für koalitionsfähig gehalten. Im Cicero-Online-Interview erinnert sich Harpprecht an seine erste Begegnung mit Brandt

Autoreninfo

Studierte Politikwissenschaft, Medienrecht und Werbepsychologie in München und Bologna.

So erreichen Sie Katharina Dippold:

Klaus Harpprecht, Journalist und Cicero-Autor, war langjähriger Wegbegleiter Willy Brandts. Von 1972 bis 1974 war er Redenschreiber und Berater des ersten SPD-Bundeskanzlers

 

[[{"fid":"60284","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":399,"width":600,"style":"width: 183px; height: 121px; margin: 5px 10px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]

Herr Harpprecht, Sie sind wegen Willy Brandt in die SPD eingetreten. Was hat Sie an ihm so beeindruckt?
Da kam vieles zusammen. Zum einen faszinierten mich seine komplexe Persönlichkeit und seine umfassende Bildung. Er war auch ein äußerst begabter Schreiber. Zum anderen interessierten mich seine Erfahrungen als Immigrant, besonders den Mut, sich als 18-Jähriger illegal nach Skandinavien aufzumachen und sich dort einzuleben. Das gelang ihm erstaunlich schnell. Nach nur einem Jahr in Oslo schrieb er bereits auf norwegisch.

Wann sind Sie ihm zum ersten Mal begegnet?
Das muss im Herbst 1952 in Bonn gewesen sein. Ich war damals als junger Korrespondent der Wochenzeitung Christ und Welt bei einem privaten Abendessen eingeladen. Unter den Gästen war auch Brandt. Damals war ich ja noch kein SPD-Mitglied, der einzige in der Runde. Aber gerade das hatte Brandt an mir interessiert. Wir haben uns lange über Adenauers  Westpolitik unterhalten. Er war bei dem Thema  deutlich zugänglicher als der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher, der der Annäherung an den Westen bekanntermaßen sehr ablehnend gegenüberstand.  Das traf sich mit meinen Ansichten, woraus sich dann eine langjährige Freundschaft entwickeln sollte. Außerdem lebten wir zu dem Zeitpunkt beide alleine in Bonn; er als Strohwitwer, da seine Familie in Berlin geblieben war und ich war damals noch Junggeselle. Also trafen wir uns oft zum Abendessen.

Können Sie die Persönlichkeit Willy Brandts schildern? Was machte sein Charisma aus?
Es ging etwas sehr Kraftvolles von ihm aus; die Menschen spürten seine Führungsqualitäten, auch wenn er fast immer sehr bescheiden auftrat. Hinter der zurückhaltenden, bisweilen auch etwas knarzigen, norddeutschen Art verbarg sich eine immense Herzlichkeit. Ich denke, die Menschen spürten, dass dieser Mann mit ihnen fühlte. Zu diesem Eindruck trug auch bei, dass er 1947 inmitten der größten Not nach Deutschland zurückgekehrt ist. Diesen Akt der Solidarität haben ihm die Menschen hoch angerechnet.

Bei der Bundestagswahl 1972 lag die Wahlbeteiligung bei 91,1%. Die SPD hatte ein spektakuläres Ergebnis von 45, 8 % eingefahren. Welche Hoffnungen weckte Willy Brandt und konnte er sie überhaupt erfüllen?
Das war bislang das einzige Mal, dass die SPD zur stärksten Partei wurde. Das Ergebnis verdankt sich einer zentralen Einsicht von Brandt, die später in der Sozialdemokratie leider wieder vergessen wurde und die sie auch heute nicht ausreichend beherzigt: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Brandt hatte es geschafft, aus der sozialliberalen Koalition und ihrer mentalen Verwandtschaft  die sogenannte `Neue Mitte´ zu formen. Damit hat er junge, aufgeschlossene Wähler erreicht, bei denen sich die SPD bis dato schwertat. Insbesondere die Ostpolitik erhitzte die Gemüter. Brandt aber hat die Menschen davon überzeugt, dass eine aktive Annäherung langfristig den Frieden sichern kann. Dabei ging er sehr geschickt vor, da er die Westbindung Adenauers nicht länger infrage stellte. Ich habe ihm damals gesagt:  Wir werden der CDU den Adenauer unterm Hintern wegklauen. Und das ist uns schließlich auch gelungen.

 

Sie waren sein Redenschreiber und Berater. Wie war es, sich in einen solch komplexen Charakter hineinzuversetzen? Was braucht es überhaupt, um gute Reden für eine andere Person schreiben zu können?
Als ich diese Funktion übernahm, kannte ich Brandt bereits seit über zwei Jahrzehnten. Ich war also nicht ganz unvorbereitet. Dieses gute persönliche Verhältnis hat mir extrem geholfen. Immerhin muss man die Sprache des anderen vollkommen übernehmen können und nicht auf seinen eigenen Stil achten.

Im kollektiven Gedächtnis ist vor allem eine Geste hängen geblieben: Der Kniefall in Warschau. Waren Sie dabei? Wie haben Sie diese Situation erlebt?
Nein, bei den Terminen in Osteuropa war ich nicht dabei. Das fiel nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Außerdem kam ich erst kurz darauf ins Kanzleramt. Den Kniefall halte ich aber für ein ganz zentrales Element, der Brandts persönliche Überzeugung und seine Politik in einer bewegenden Symbolhandlung demonstrierte. Meine Frau, die Ausschwitz und Bergen-Belsen überlebte, schrieb ihm damals einen Brief, in dem stand, dass sie nun ihren deutschen Pass wieder ohne Scham vorzeigen könne.

1974 ist er in Folge der Guillaume-Affäre zurückgetreten. Sie selbst wollten ihn damals vom Rücktritt abhalten. Wieso?
Das stimmt. Dieser Rücktritt war schlichtweg formal nicht notwendig. Bei der Affäre mit dem ostdeutschen Spion handelte es sich eindeutig um Verfehlungen der  Sicherheitsdienste. Wenn jemand zurücktreten sollte, hätte es Hans-Dietrich Genscher als Innenminister sein müssen. Außerdem hatte sich Brandt für die zweite Amtszeit vorgenommen, die Europapolitik weiter voranzutreiben. Das hätte ich als passionierter Europäer sehr begrüßt, wenngleich selbstverständlich auch sein Nachfolger Helmut Schmidt diesem Politikbereich große Aufmerksamkeit widmete.

Das Problem war doch auch, dass Brandt schon bald nach seiner Wiederwahl kraftlos und amtsmüde wirkte. Immer wieder wurden ihm Depressionen nachgesagt. Seine Ehefrau Brigitte Seebacher bestreitet das heute jedoch. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?
Dass er zu depressiven Verstimmungen neigte, daran besteht für mich kein Zweifel. Er war depressiv, wie es schöpferische Menschen nun einmal sind. Er hatte die Sensibilität eines Künstlers.

Heutzutage ist ein Politikertypus erfolgreich, der möglichst wenig aneckt und sich weitgehend unauffällig verhält. Wäre ein charakterstarker Politiker wie Brandt mit offensichtlichen menschlichen Schwächen heute überhaupt noch denkbar?
Ich habe große Zweifel, ob eine Persönlichkeit wie Willy Brandt heutzutage den Schritt in die Politik überhaupt gewagt hätte. Die Profillosigkeit, für die die heutige politische Klasse typisch ist, hätte ihn abgeschreckt. Denn wann etwa kommt es im Bundestag einmal zu einer leidenschaftlichen Debatte, wann erlauben sich die Minister einmal zuzugeben, dass Politik auch mit Emotionen zu tun hat?

Aber stellen charismatische Politiker nicht auch eine besondere Gefahr dar, weil sie Erwartungen wecken, die sie im alltäglichen Politikbetrieb gar nicht erfüllen können?
Das ist wohl wahr, aber das war zu allen Zeiten so. Auch Brandt konnte nicht alle Hoffnungen erfüllen, die in ihn gesetzt wurden. Aber das ist doch auch vollkommen unmöglich. In dieser Hinsicht muss meiner Meinung nach ein Umdenken stattfinden. Wenn Politiker etwas versprechen, das sie nicht einhalten können, sollte das nicht grundsätzlich als bewusster Täuschungsversuch gewertet werden. Vielleicht haben sich die Gegebenheiten realiter tatsächlich anders dargestellt als ursprünglich gedacht. Man muss in der Politik auch irren dürfen, das ist nun einmal eine urmenschliche Eigenschaft.

Willy Brandts Politik war geprägt von einem visionären Geist. Gestern ist eine Frau zum dritten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt worden, die das krasse Gegenteil ist: Angela Merkels Politikstil ist nüchtern und pragmatisch. Kann Politik heute auf Visionen verzichten?
Ich glaube nicht. Schauen Sie nur einmal auf den gegenwärtigen Stillstand in der Europapolitik. Da bedarf es doch dringend einer Vision, wie das europäische Projekt vorangetrieben werden kann. Dafür aber sind nicht nur geistige Kraft und politische Phantasie nötig, sondern auch eine große innere Dynamik. Davon ist in Deutschland derzeit nur wenig zu spüren. Im Koalitionsprogramm findet man dazu allenfalls laue Abhandlungen in schwer verständlichem Beamtendeutsch.

Aber offenbarte gerade die Euro-Krise nicht auch eine neue Dimension an Komplexität innerhalb der Politik, die wenn überhaupt, nur noch von Technokraten verwaltet werden kann?
Keineswegs. Das eigentliche Problem liegt weniger in der Sache selbst, sondern in der Hilflosigkeit der Verantwortlichen. Aber die Politik ist keineswegs so machtlos, wie sie uns derzeit glauben machen will. Sie wäre durchaus in der Lage, das Finanzwesen stärker zu reglementieren und unter Kontrolle zu bringen. Die Politik muss die Linie vorgeben, nicht die Wirtschaft – und vor allem nicht die Großbanken, deren Chefs nichts gelernt zu haben scheinen, sondern arrogant eine neue Krise riskieren.

Das Motto von Willy Brandt lautete: „Mehr Demokratie wagen“ – Wandelt Sigmar Gabriel mit dem geglückten Mitgliederentscheid nun eigentlich auf Brandts Spuren?
Dieser Mitgliederentscheid war eine mutige und schlaue Strategie. Damit konnte sich die SPD eine Machtposition verschaffen, die ihr nach dem Wahlergebnis eigentlich nicht zustand. Indem sie die Mitglieder in den Entscheidungsprozess miteingebunden hat, konnte sie ihre Verhandlungsposition nachhaltig stärken. In dieser Hinsicht war das eine sehr demokratische Entscheidung.  Das könnte durchaus in Brandts Sinne gewesen sein. Doch das sind letztlich alles Spekulationen. Ich persönlich habe gewisse Vorbehalte. Immerhin impliziert dieses Vorgehen, dass die Stimme eines Parteimitglieds mehr zählt als die der übrigen Wählerschaft, die mit ihrer Stimmabgabe bei der Bundestagswahl  ja bereits eindeutig votiert hatte.

Was würde Willy Brandt seiner SPD wohl heute raten?
Auch das vermag ich nicht mit Sicherheit zu prognostizieren. Von einem Bündnis mit der Linkspartei hätte er wohl dringend abgeraten. Denn dass er die Nachfolgepartei der SED tatsächlich für koalitionsfähig halten könnte, möchte ich stark bezweifeln. Über seine Annäherung an die DDR und die Sowjet-Staaten wird allzu oft vergessen, dass Brandt Antikommunist war und ein strikt antitotalitärer Geist. Dieser Spielerei hätte er sich also gar nicht erst hingegeben, da er genau wusste, dass es sich dabei um keine reale Option handelt. Denn wie ich bereits erwähnt habe: Die Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Hier versammelt sich die bürgerliche Mehrheit. Von linken Experimenten hat die Gesellschaft ein für alle Mal genug. Rot-Rot-Grün ist eine Illusion.

Das heißt: Er hätte der Neuauflage der Großen Koalition zugestimmt?
Eindeutig ja. Dieser Notwendigkeit hätte er sich gebeugt. Dabei hätte er selbstverständlich versucht, das Optimale für seine Partei herauszuholen, wie er es ja auch selbst in der ersten Großen Koalition getan hat. In der zweiten Version von 2005 ist das weniger gut gelungen. Die Erfolge wurden in erster Linie der Union zugeschrieben. Ich hoffe deswegen inständig, dass es dieses Mal besser gelingen wird.

Herr Harpprecht, vielen Dank für das Gespräch.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.