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Verfehlte Sozialpolitik - Das Elterngeld ist nutzlos und unfair

Familienministerin Manuela Schwesig will das Elterngeld ausdehnen. Ein Irrsinn: Diese teure Transferleistung dient vor allem dem gehobenen Mittelstand. Gebracht hat es gar nichts. Ein Plädoyer für eine andere Sozialpolitik

Autoreninfo

Gunnar Hinck ist Politologe und Autor in Berlin. Von ihm erschien „Wir waren wie Maschinen“ über die Linke der siebziger Jahre

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Ein Staat gibt jährlich 4,7 Milliarden Euro für eine Transferleistung aus. Die ursprünglichen Ziele werden, wie sich im Lauf der Jahre herausstellt, kaum erreicht. Positive Effekte sind kaum messbar. Was macht der Staat? Er stellt nicht etwa die Leistung grundsätzlich auf den Prüfstand, sondern legt noch weiteres Geld drauf, um die Fehlentwicklungen zu dämpfen und endlich das zu erreichen, was man eigentlich ursprünglich bezweckte.

Die bisweilen merkwürdige Logik der Sozialpolitik ist derzeit beim Elterngeld zu besichtigen. Noch in diesem Jahr soll die Leistung zu einem „Elterngeld plus“ ausgedehnt werden, weil, so sagt Familienministerin Manuela Schwesig, viele Mütter „früher wieder in ihren alten Beruf einsteigen“ wollen. Wer bereits wieder in Teilzeit arbeitet, soll bis zu 28 Monate ein reduziertes Elterngeld ausgezahlt bekommen. Schwesigs Argument irritiert. Schon das alte Elterngeld sollte genau das bezwecken: Eltern – de facto immer noch meist den Müttern – den raschen beruflichen (Wieder)einstieg zu erleichtern.

Mütter pausieren länger


Was ist geschehen? War das Elterngeld nicht von vornherein dazu gedacht, die berühmte Vereinbarkeit von Kind und Beruf zu ermöglichen? Heute aber nehmen Mütter im Durchschnitt fast die maximale, einem Elternteil zustehende Auszeit von 12 Monaten – sicherlich nicht immer, weil sie ohnehin vorhatten, ein Jahr lang zu pausieren, sondern weil es möglich ist und es einem ja zusteht. Frauen, die eigentlich gern nach einem halben Jahr wieder einsteigen wollen, überlegen es sich nun zweimal, ob sie auf das Geld vom Staat freiwillig verzichten.

Heute sind in der Bürowelt trotzig formulierte Autoreply-Mails dieser Art gängig: „Ich bin derzeit in Elternzeit und komme im April 2015 wieder.“ Ich bin dann mal weg!

So heißt es in der Elterngeld-Studie der letzten Bundesregierung etwas verdruckst: „Im ersten Lebensjahr des Kindes sind die Erwerbsanreize für Eltern [...] gesunken. Dies ist vor allem für Mütter mit hohem eigenem Erwerbseinkommen vor der Geburt und/oder hohem Haushaltseinkommen und hoher Qualifikation der Fall, die zuvor aufgrund der Einkommensgrenzen keinen Anspruch auf das Erziehungsgeld hatten.“

Privilegiensicherung und Elite-Denken


In der Tat: Man muss es sich leisten können, ein Jahr auszusteigen. Eine Studienrätin kann problemlos ein Jahr lang von gut zwei Dritteln ihres letzten Gehalts leben. Die Kassiererin im Supermarkt schon weniger. Hier zeigt sich der problematische Kern der staatlichen Leistung. Letztlich haben sich mit dem Elterngeld privilegierte und wirkungsmächtige Schichten ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Gesetz geschaffen. Als das Elterngeld vor fast zehn Jahren entwickelt wurde, formte sich eine bemerkenswerte Allianz aus wirtschaftsnahen Interessen („der Standort Deutschland ist in Gefahr, wenn wir nicht genug Humankapital aufziehen“), feministischen Motiven (Aufwertung von berufstätigen Frauen, die Kinder kriegen) und einem Elite-Denken, das damals interessanterweise besonders von linksliberalen Medien wie der Wochenzeitung „Die Zeit“ geprägt wurde.

Damals hieß es notorisch, dass 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos blieben. Die Zahl erwies sich bald als zu hoch gegriffen. Das Akademikerinnen-Argument aber blieb. Heute, nach der Einführung des Elterngeldes, belohnt der Staat die Geburt von Clara und Jonathan bedeutend mehr als die Geburt von Chantal und Jason, was in einem bemerkenswerten Widerspruch zum politischen Konsens steht, dass man kein Kind zurücklassen dürfe und die ungleiche Herkunft möglichst ausgleichen müsse. Heute gibt es im Buchladen Ratgeber für „Elternzeitreisen“, am besten einmal um die Welt – allein schon deren Existenz müsste die weniger Privilegierten dieser Gesellschaft auf die Barrikaden treiben.

Verlierer sind die Geringverdiener


Die Bevorzugung von Akademikern – bis zu 1800 Euro werden monatlich gezahlt – wurde mit den sogenannten Opportunitätskosten begründet. Eine Gutverdienerin hat demnach mehr zu verlieren, wenn sie ein Kind bekommt, denn ihr Einkommensausfall wäre größer als der einer Supermarktkassiererin. Sie scheue dann eher vor einer Familiengründung zurück.

Zwei Punkte haben die damaligen Wegbereiter des Elterngelds allerdings nicht beachtet: Akademiker verfügen meistens über mehr private Ressourcen, um die Einkommensausfälle und die Lasten, die kleine Kinder mit sich bringen, zu kompensieren. Ihre in der Regel schon pensionierten Eltern (Akademiker bekommen relativ spät Kinder) können schnell einspringen, wenn Betreuung nötig ist. Diskrete Geldgeschenke der Eltern ermöglichen die nötigen Anschaffungen. Und weil insgesamt mehr Geld in der Kasse ist, kann zur Not Betreuung eingekauft werden.

Junge Eltern aus ärmeren Schichten sind da schlechter dran. Außerdem stehen Akademikern mehr Möglichkeiten offen, um Glück und Erfüllung zu finden – Kinder sind nur eine Option unter vielen. Wenn gut ausgebildete Frauen im Schnitt weniger Kinder bekommen, dann liegt das weniger an „den Verhältnissen“, sondern ist meistens das Ergebnis einer bewussten Lebensentscheidung.

Mehr Kinder werden durch das Elterngeld nicht geboren: Die Geburtenrate in Deutschland sinkt sogar weiter. Folglich ist das Geburten-Argument vom Familienministerium längst diskret entsorgt worden. Am Anfang wurden noch minimale Quartals-Zuwächse gefeiert und mit dem Elterngeld in Zusammenhang gebracht.

Vätermonate bestätigen Rollenmuster


Als Flop hat sich das Väter-Argument entpuppt. Regelmäßig bejubeln Medien und Familienpolitiker den wachsenden Anteil von Vätern, die in Elternzeit gehen. Ob allerdings eine Väterbeteiligung von knapp 30 Prozent bei einer durchschnittlichen Elternzeit-Dauer von 3,2 Monaten den „neuen Vätern“ zum Durchbruch verhelfen wird, ist fraglich.

Und die durchschnittliche Elternzeit der Väter ist zuletzt wieder gesunken. Drei Viertel begnügen sich mit ganzen zwei Monaten. Bezeichnenderweise ist auch im linksliberal-feministischen Milieu stets von den „zwei Vätermonaten“ die Rede, womit Rollenmuster eher bestätigt als aufgebrochen werden. Dabei lässt das Gesetz den Eltern allen Spielraum: Man kann die 14 Monate beliebig untereinander aufteilen, solange beide mindestens jeweils zwei Monate nehmen.

Der ausbleibende Nutzen und die zweifelhaften Folgen des Elterngelds rufen nach einer radikalen Reform. Hier ein Vorschlag: Das Elterngeld wird auf 1000 Euro gedeckelt. Dafür können Eltern ohne Abzüge arbeiten. Geld fließt nur bis zu einem Familieneinkommen von 100.000 Euro (heute liegt die Grenze bei sage und schreibe 500.000 Euro). Die 14 Monate gibt es nur, wenn sich die Eltern die Zeit hälftig aufteilen – damit könnten die Elterngeld-Lobbyisten unter Beweis stellen, dass es ihnen nicht um die profane Verteidigung von Privilegien geht, sondern tatsächlich um das gleichberechtige Kümmern um die Kinder.

Politik betreibt Besitzstandswahrung


Aber sehr wahrscheinlich wird am Elterngeld nicht gerüttelt werden. Welcher Politiker will schon den Wählern liebgewonnene Besitzstände nehmen?

Während sich die Klientel also weiter an den Geldzahlungen erfreuen kann, bleiben die eigentlichen, tieferliegenden Probleme junger Eltern und der Druck, unter dem sie stehen, bestehen: Etwa, warum Väter bis heute insgeheim belächelt werden, wenn sie sich „hauptberuflich“ um die Kinder kümmern. Oder warum die Mittelschicht in der Rushhour des Lebens zwischen 25 und 40 Jahren alles perfekt und gleichzeitig aufbauen will (Beziehung, Heim, Beruf, Kinder), während gleichzeitig wegen befristeter Verträge und des Konkurrenzdrucks die beruflichen Perspektiven ungewisser denn je sind. Ob eine Vereinbarkeit von Kind und 50-Wochenstunden-Karriere-Jobs überhaupt möglich ist. Und was eigentlich mit den einkommensschwachen Eltern ist, die eindeutig die Verlierer der Familienpolitik der letzten Jahre sind. Über diese Fragen nachzudenken, wäre ergiebiger als jede Erweiterung des Elterngeldes.

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