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Öko-Sturzflug - Der Fehler der Grünen: Zu viel Trittin, zu wenig KGE

Die Grünen wurden schon zur dritten Volkspartei ausgerufen, nun droht ihnen ein einstelliges Ergebnis. Die Ökopartei hat sich zu sehr von ihrem Umweltthema entfernt – und das hängt auch mit dem Spitzenduo von Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin zusammen

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Michael Lühmann, geboren 1980 in Leipzig, Politikwissenschaftler und Historiker, lebt und arbeitet in Göttingen. Zuletzt ist von ihm das Buch "Der Osten im Westen – oder: Wie viel DDR steckt in Angela Merkel, Matthias Platzeck und Wolfgang Thierse?" e

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Als die Grünen bei der Bundestagswahl 2009 mit historischen 10,7 Prozent durchs Ziel gingen, war die Freude dennoch getrübt. Von einer satten Niederlage sprachen Kommentatoren. Trotz Zugewinnen mussten sich die Grünen auf Platz fünf von fünf im bundesrepublikanischen Parteiensystem einsortieren. Was folgte, war ein beispielloser Höhenflug. Eine brennende Ölplattform, Waldbrände um Tschernobyl, das allgegenwärtige Krisengefühl – die Ökopartei wurde zum Sehnsuchtsort mancher Projektionen, die mit den Kernschmelzen von Fukushima dann den düsteren Hintergrundsound lieferte.

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Die Verbindung von umweltpolitischer Wiederbesinnung der Partei, aktueller Bedrohungen und einem schon länger anhaltenden ökologischen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung verwandelte die einstige Nischenpartei zur Volkspartei im Wartestand. Und nun, wenige Wochen vor der Wahl, sieht Forsa die Grünen bei mageren neun Prozent. Auch wenn Manfred Güllners Institut bei den Grünen immer wieder Ausschläge misst, die kein anderes Institut zu bestätigen vermag: Der Trend zeigt deutlich nach unten. Zwar schnitt die Partei bisher in den meisten Bundesländern in Umfragen besser ab als im Bund, woraus sich bei manchem die Hoffnung begründete, auch im Bund wäre noch mehr drin. Aber nun rauschen die Grünen nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern ab.

Krisengewöhnung und Merkel-Sedativ

Nun ist es für die Grünen alles andere als eine neue Erfahrung, dass ihre Partei und ihre Themen in einem Zweikampf zwischen CDU-Kanzlerin und SPD-Herausforderer zerrieben werden. Auch eine gewisse Krisengewöhnung verbunden mit dem transportierten Gefühl, Deutschland ginge es wirtschaftlich gut, macht den Grünen zu schaffen. Denn die Ökologie profitierte schon immer von wirtschaftlichen Krisenwahrnehmungen. Die Grünen waren immer dann stark, wenn Beschleunigungs- und Modernisierungserfahrungen die Zeitgenossen überforderten.

Schon die frühökologische Lebensreform am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war ein Kind von Krise und Beschleunigung. Gleiches gilt für die jungen Grünen Ende der siebziger Jahre, aber gerade auch für die Träume von der eigenen Volksparteiwerdung in der vergangenen Wahlperiode. Die Partei hätte hier leicht mit einer eigenen Erzählung einer ökologischen Zukunft ansetzen können. Sie wäre die Alternative zu Merkels Nicht-Wahlkampf gewesen.

Warum noch über Ökologie reden?

Doch die Grünen, allen voran der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin, reden statt über die Ökologie lieber über Steuern und Umverteilung. Und das, obwohl über Energiewende, Klimawandel und einem Öko-Boom die Umweltfrage endlich zu einem harten Politikfeld geworden ist. Das muss im Blick zurück einigermaßen verwundern. Schließlich war es die Wiederfindung der Partei als Ökopartei, die die Grünen nach 2005 aus der Post-Fischer-Depression riss. Es war der neu ausgerufene radikale Realismus in der Umweltpolitik, der die ermattete und ziellose Partei wieder mit sich vereinte. Die Grünen erkannten, dass es nicht reichen würde, sich auf ökologische Kompetenzzuschreibungen zu verlassen. Der Fachpolitiker Reinhart Loske warnte seine Leute eindringlich davor, die Anstrengungen bei diesem Thema ruhen zu lassen.

Unter den Losungen „Umwelt macht den Unterschied“  und „Wir sind das Original“ wurden die Grünen wieder das, was sie unter Fischer am Ende kaum noch waren: die deutsche Umweltpartei. Und parallel zur ökologisch-programmatischen Neuausrichtung, die eine Position der Eigenständigkeit begründen konnte, kam der Erfolg wieder, der in einem grünen Höhenflug rauschhafte Züge annahm. Zu rauschhaft. Wenngleich Partei wie Beobachtern klar war, dass nicht dauerhaft ein Viertel der Stimmen zu halten ist, dachte man nun wieder größer. Zu groß.

Obwohl man den Begriff „Volkspartei“ ablehnte, verhielt man sich in den vergangenen Monaten wie eine. Statt die eigene Umweltkompetenz ins Zentrum zu rücken, haben die Grünen alle möglichen Themenfelder für sich beansprucht. Zuletzt haben sie Fragen nach Steuergerechtigkeit und Umverteilung für sich entdeckt. Angesichts der gesellschaftlichen Spaltungstendenzen mag das nicht einmal ein falsches Ziel sein. Aber der Aufstieg der Linken zeigt, dass der Wähler in Fragen sozialer Gerechtigkeit dann doch eher das Original bevorzugt.

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Das wiederum hätte man in der wahlkampfstrategischen Abteilung wissen müssen. Hatte man schon bei der Bundestagswahl 2005 aufgrund der Dominanz der sozialen Frage keinen Blumentopf gewinnen können, so sind die Grünen auch 2009 zwischen den linken Umverteilungsapologeten und den liberalen Umverteilungsfeinden zerrieben worden. Da hilft auch die Feststellung nicht, dass etwa 2005 für viele Grünen-Wähler die Frage der sozialen Gerechtigkeit besonders wichtig war. Denn hier lagen die Grünenwähler in etwa im Durchschnitt der gesamten Wahlbevölkerung. Nur in der Umweltpolitik ragen die Grünen wie der Riese aus einem Meer von Zwergen.

Jürgen Trittin führt lieber einen linken Wahlkampf

Ein Blick auf die recht erfolgreiche Landtagswahl in Niedersachsen bestätigt dies fulminant. Bei der Frage nach Parteikompetenzen liegen die Grünen als Umweltpartei mit 59 Prozent uneinholbar vor allen anderen. An zweiter Stelle steht die Familienpolitik. Erst danach folgt die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die nur sieben Prozent für eine grüne Parteienkompetenz halten. Man kann gegenüber solchen Zahlen skeptisch sein. Aber dass bei der Basis die Steuerfrage als wichtigstes Thema durchfiel und dafür lieber ein anderer Begriff von Wachstum eingefordert wurde, zeigt die Differenz zwischen Wahlkampfstrategie und eigener Anhängerschaft.

Und Katrin Göring-Eckardt ist von der Basis nicht allein wegen ihrer inzwischen zuerkannten sozialpolitischen Kompetenzen gewählt worden. Die ostdeutsche Protestantin, intern auch KGE genannt, ist vor allem ein Auftrag an die Partei, die Wertkonservativen nicht zu vergessen. Sie ist die strategisch kluge Brücke ins bürgerliche Lager. In dieses Lager ist man in den urbanen Räumen der Republik – auch in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein – längst eingebrochen. Die Betonung der Umweltfrage hat die Grünen erfolgreich ins bürgerliche Lager zurückgebracht.

Denn, auch hieran sei erinnert, die Ökologie kam wesentlich  aus bürgerlich-konservativen Kreisen zu den Gründungsgrünen. Von Teilen der Neuen Linken, die in den späten siebziger Jahren zu den Grünen kamen, kann man das nicht sagen. Sie haben sich erst der Ökologie angenommen, als ihre eigene Ideologie nicht mehr auffindbar war. Das gilt besonders für die Überreste der Generation Joschka Fischer und deren Frontmann Jürgen Trittin. Der Fraktionschef zieht es offenbar vor, einen linken Mobilisierungswahlkampf zu führen anstatt das bürgerliche Lager anzugreifen. Es dürfte Trittins letztes Gefecht werden.

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