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(picture alliance) Deutschland hat zu viele Doktoren und zu wenige Ritter

Schavan verliert Doktortitel - Wider den Promotionswahn

Der Entzug von Annette Schavans Doktortitel zeigt mal wieder: In Deutschland herrscht ein unsinniger Promotionsdruck. Es werden zu viele Abschlussarbeiten produziert, die ihr Druckerpapier nicht wert sind. Was helfen könnte? Weniger Doktoren und mehr Ritter. Ein Archivbeitrag

Annette Schavan verliert endgültig ihren Doktortitel, hat das Düsseldorfer Verwaltungsgericht entschieden. Die Richter wiesen die Klage der früheren Bundesbildungsministerin gegen ihre einstige Hochschule ab.

Aber was trieb Schavan, was Karl-Theodor zu Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin dazu, bei ihrer Dissertation zu schummeln?

Die Gründe liegen in dem regelrechten Promotionswahn, der im deutschen Wissenschaftsbetrieb herrscht. Der Doktortitel ist der Leutnant der Reserve von heute. In einem Land, das den Adel abgeschafft hat und in dem keiner mehr zum Ritter geschlagen wird, gelten die beiden Buchstaben Dr. nicht als bloßer akademischer Ausweis, sondern als Nobilitierung.

Insbesondere in bürgerlichen Kreisen und in den bürgerlichen Parteien ist ein Aufstieg ohne Promotion nach wie vor kaum denkbar; man schaue sich nur einmal die Liste der christ- und freidemokratischen Bundestagsabgeordneten an. Die Queen ernennt jedes Jahr ein paar neue Knights, der französische Präsident bestimmt regelmäßig neue Ritter, Offiziere und Kommandeure der Ehrenlegion. Die armen Deutschen dagegen haben sich nach der Monarchie und Hitler auf ihre Humboldtschen Wurzeln besonnen: Bildung ist der Schlüssel zu Aufstieg und Karriere, im Allgemeinen wie im Konkreten, und deshalb muss der deutsche Spießbürger promoviert sein.

Auswuchern des Promotionsbetriebes


Wer erinnert sich nicht an Helmut Kohls berühmt-berüchtigten Auftritt, als er einen, ihm offensichtlich unangenehmen, Journalisten auf dessen Frage hin anblaffte: „Ich bin nicht der Herr Kohl, ich bin der Herr Doktor Kohl“? Der Doktortitel gilt als das Entreebillet in die (vermeintlich) gute bildungsbürgerliche Gesellschaft.

Die Folge ist ein regelrechtes Auswuchern des Promotionsbetriebes. Deutsche Studenten werden, von wenigen technischen Studiengängen abgesehen, nicht etwa auf den Berufseinstieg vorbereitet, sondern auf die Promotion. Die universitäre Laufbahn ist mit dem Erreichen des ersten Hochschulabschlusses – Magister oder Diplom beziehungsweise seit der Bologna-Reform Bachelor und Master – beileibe nicht zu Ende; vielmehr fängt sie für viele dann erst richtig an, was eigentlich idiotisch ist, denn die „Luft“ ist bei den meisten nach dem Studienabschluss ohnehin raus.

Eine normale Dissertation nimmt heutzutage in der Regel mindestens drei Jahre in Anspruch, hinzu kommt die zähe und langwierige Phase der Begutachtung, und dann erst wird der Doktortitel erteilt. Bis man ihn aber seinem Namen voranstellen (und in den Personalausweis eintragen lassen) kann, vergeht nochmals einige Zeit: denn solange eine Dissertation nicht veröffentlicht ist, darf der Doktortitel nicht geführt werden. Und die Veröffentlichung verschlingt wiederum eine Menge Nerven – und Geld.

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Eine unangenehme Wahrheit: durch das Promovieren werden gerade heute Hochschulabsolventen künstlich für einige Jahre aus dem an Akademikern vor allem für Geisteswissenschaftler völlig übersättigten Arbeitsmarkt rausgedrückt und an den Unis zwischengeparkt. Wer diesen bequemen Weg nicht eingeschlagen hat, weiß, wie schwierig es ist, als Nichtpromovierter in vielen Branchen eine Stelle zu finden. Der fehlende Titel wird dabei nur vorgeschoben, denn an Qualifikation sind Promovierte den Nichtpromovierten keineswegs per se überlegen; es gibt schlicht und ergreifend nicht genügend Jobs, und da nimmt man eben die Promotion als künstliches Selektionskriterium.

Nur, brauchen wir wirklich diese Flut an Doktorarbeiten? Jeder Akademiker, der ehrlich ist, wird zugeben, dass ihn der Großteil der Dissertationen in seiner Fachrichtung kalt lässt, zudem wird unendlich viel Ausschuss produziert, der dann, je nach Vertrauensverhältnis zwischen Doktorand und Gutachter, mit mal besserer, mal schlechterer Endnote durchgewunken wird.

Wo summa cum laude drauf steht, ist deshalb noch lange nicht summa cum laude drin. Auch darauf werfen die Plagiatsskandale um unsere Politiker ein Licht: eine Dissertation muss nicht zwingend plagiiert sein, um schlecht zu sein. Viele, viel zu viele Abschlussarbeiten, insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften, sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Redundanzen und ein oft sagenhaft schlechter Stil sind die Regel, nicht die Ausnahme. Nicht jeder Promovend ist automatisch ein guter Schreiber.

Verfilztes Geflecht von Loyalitäten, Abhängigkeiten und Gefälligkeiten


Trotzdem wird munter weiterpromoviert. Neben den Elternhäusern, die von ihren studierenden Kindern oftmals geradewegs apodiktisch das Erwerben des Doktorgrades einfordern, sind es die Universitäten selbst, die an diesem Promotionsunsinn die Schuld tragen. Beim Promovieren geht es, wie in vielem, vor allem um Macht. Jeder Professor träumt davon, eine eigene Schule zu gründen. Dazu braucht er Jüngerinnen und Jünger, die er sich im Rahmen des Promotionsverfahrens heranzieht, mit allen Schikanen, die dazu gehören.

Das Promotionswesen ist ein verfilztes Geflecht von Loyalitäten, Abhängigkeiten und Gefälligkeiten. Sicher geht es vielen um neue Erkenntnisse und echte wissenschaftliche Leistung. Aber vielen geht es eben auch nur ums schlichte Fortkommen, ums Aufsteigen, ums Speichellecken. Der gesellschaftliche Margendruck in und außerhalb der Universität führt zur Zweckentfremdung des alten Prinzips der „Bildung in Einsamkeit und Freiheit“: Es zählt eben nicht der Weg, sondern nur das Ergebnis, reduziert auf seinen nackten, formellen Ausdruck: den Doktorgrad.

Genau das ist es, was nicht nur zahllose Unbegabte in die Promotionsschleife treibt, sondern viele, gestern wie heute, auf halb- oder illegale Abwege beim Erstellen ihrer Doktorarbeit führt. Und das ist es auch, was viele, die intellektuell durchaus das Zeug zum Promovieren hätten, von diesem Weg fernhält und sie ihr Glück im richtigen Leben versuchen lässt. Und das spielt sich eben – die Universitäten werden es nicht gerne hören – auf dem Arbeitsmarkt ab, nicht in der Bibliothek.

Dieser Artikel erschien zuerst am 16. Oktober 2012. Er wurde aktualisiert am 20. März 2014

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