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(picture alliance) Angela Merkel auf dem Parteitag: „Jetzt ran an’n Speck.“

98 Prozent - Ohne Profil auch keine Reibung

Merkel ist die CDU und die CDU ist Merkel. Das hat sich wieder auf dem Parteitag in Hannover gezeigt. Wie die Kanzlerin Stimmungen aufspürt

So ein Parteitag legt ja vieles an personellem Potenzial offen, was sich sonst in den Niederungen der Wahlkreise verbirgt. Zumal, wenn auch noch die Wahl von Parteipräsidium und Bundesvorstand ansteht.

Da sprach der Kinderarzt, der sich um das psychische und physische Wohlergehen der Jüngsten sorgt. Da rührte der 24-jährige Younes Ouaqasse für sein Leib- und Magenthema Chancen und Integration die Werbetrommel. Otto Wulff, seit 60 Jahren Mitglied, verteidigte den Stolz auf sein „geliebtes deutsches Vaterland“ und die ehemalige Lehrerin Regina Görner erklärte ihre CDU-Mitgliedschaft seit den 80er Jahren damit, dass diese große Partei die Sorgen „so vieler Menschengruppen ernst nimmt“. Weitere Themen waren Vereinbarkeit von Kindern und Beruf, die Energiewende, eine flächendeckende Verteilung des Gesundheitssystems und der Kampf gegen die „sogenannten Wutbürger“, wie es ein Redner ausdrückte.

Angela Merkel lauschte den Ausführungen ihrer „lieben Freundinnen und Freunde“ mal mehr, mal weniger wach. Diese hatten sie gerade mit einem Rekordergebnis von fast 98 Prozent wieder zur Parteivorsitzenden gewählt. Ganz untypisch hatte die Kanzlerin einen Moment um Fassung gerungen –„Ich bin echt platt und bewegt“ – um die allzu rührige Szene daraufhin gleich rüde zu übergehen: „Und jetzt geht es zusammen mit denen, die mich gewählt haben, ran an’n Speck.“

Der Speck ließ nicht lange auf sich warten. Er kam im Gewand der Debatte um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften im Steuerrecht. Alles, was mit Ehe und Familie einhergeht, wird für die CDU heute zum heiklen Thema. Weil sich gerade hier gesellschaftlicher Wandel manifestiert, einhergehend mit allerhand Glaube und Ideologie.

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So ging es denn bei der Debatte um existentielle Fragen der Christdemokraten. Jan Arnold warnte davor, Familien mit Kindern und Eheleuten steuerliche Privilegien abzuerkennen. Davon hänge nichts weniger als die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ab. Ähnlich hoch hängte die Antragsentscheidung Steffen Flath, der fabulierte, Gott habe sich schon etwas dabei gedacht, Mann und Frau zu schaffen. Mit dieser Aussage zog er die Wut der Twitter-Gemeinde auf sich, die scheinbar geschlossen für den Antrag zur Gleichstellung gestimmt hätte.

Befürworter der Gleichstellung wie Jan-Marco Luczak verteidigten die Idee als folgerichtig: Aus gleichen Pflichten müssten auch gleiche Rechte folgen. Auch in eingetragenen Lebenspartnerschaften würden konservative Werte gelebt, die Christdemokraten gutheißen. Und Stefan Kaufmann fügte hinzu, die CDU müsse als Volkspartei schließlich auch unterschiedliche Lebensentwürfe aushalten.

Am Ende stimmte der Parteitag doch für den von der Kanzlerin favorisierten Antrag gegen die steuerliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Man begibt sich damit ans rettende Ufer des Bundesverfassungsgerichts: Denn im kommenden Jahr entscheiden die Karlsruher Richter, ob das Ehegattensplitting auch für Lesben und Schwule gelten muss.

Merkels Erfolgskonzept, Stimmungen zu erspüren und mit ihnen zu arbeiten, ging am Tag ihrer Wiederwahl einmal mehr auf. Nur so ist sie in der Lage, diese große Partei im Zaum zu halten. Der Trick ist, sich mit keinem Thema so sehr gemein zu machen wie das etwa Ursula von der Leyen mit der Familienpolitik tut. Bei Merkel weiß man nie genau, was man bekommt. Sie kann jede ihrer Entscheidungen rational begründen und wirkt so unvorhersehbar. So besteht zwar die Gefahr der Frustration, weil Profillosigkeit droht. Das politische Überleben einer Volkspartei ist aber anders nicht möglich.

Zumindest die Twitter-Gemeinde ist nach dem Parteitag verbrämt und zwitschert von „vertanen Chancen“ und Homophobie in der CDU. Mit einer starken Merkel kann es sich die CDU wohl leisten, in dieser Netz-Szene auf Stimmen zu verzichten. Und wenn dem nicht mehr so ist, findet Angela Merkel vielleicht sogar über den Zwitscherkanal den richtigen Tonfall. Zuzutrauen wäre es ihr.

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