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CDU: Politischer Aschermittwoch in Demmin - Murmeltier Merkel

Das Bier, der Hering, die Rede der Kanzlerin. Jedes Jahr wiederholt sich am Aschermittwoch in Demmin eine der wunderlichsten Veranstaltungen der Politik. Vor einem Jahr begab sich Cicero-Chefredakteur Schwennicke auf Exkursion

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Dieser furchtbare Film im Kopf der Chefin, jetzt läuft er wieder ab und spiegelt sich in ihrem Gesicht wie auf einer Leinwand. Der Mund wird ihr trocken. Sie greift nach dem Wasserglas und nimmt einen Schluck.

Sie hatte es ja kommen sehen, hatte so eine Ahnung, hatte dem jungen Mann gesagt, er habe in diesem Bereich nichts zu suchen, der aber hatte sich nicht aufhalten lassen, sie war ihm hinterhergestürzt, konnte aber nur noch zusehen, wie das Schicksal seinen Lauf nahm, und alles im Kreuz von Angela Merkel landete.

„Ich hätte im Erdboden versinken mögen“, sagt Monika Rosemeyer, mehr vor sich hin als zu ihrem Gegenüber über diesen Schreckensmoment.

Monika Rosemeyer ist die Chefin des Hotels Trebeltal in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist die erste Gesprächspartnerin im Rahmen der Exkursion zu jenem Ort, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel dieses Jahr zum 18. Mal ihren Politischen Aschermittwoch begeht, eine der wunderlichsten Veranstaltungen der Politik und zugleich ein Fixpunkt des politischen Kalenders. Ziel der Reise ist am Ende eine Tennis- und Squash-Halle gegenüber dem Hotel Trebeltal, in die uns Frau Rosemeyer später noch begleiten wird. Knapp 600 Kilometer ist Demmin von Passau entfernt, der Stadt an der Donau, in der Franz Josef Strauß den Politischen Aschermittwoch begründet hat. Viel weiter auseinander können politische Orte nicht liegen als Passau und Demmin, nicht nur räumlich gesehen. Passau, Donauperle im feisten Bayern des Überflusses, Demmin, hässliches Entlein mit 18 Prozent Arbeitslosigkeit am Ende des armen Ostens.

[gallery:Merkel, ihre Männer und die Macht]

Einmal im Jahr aber rücken bis zu 2000 Menschen, Kamerateams, Ü‑Wagen, das ganze Berliner Kommentariat an, um sich Angela Merkel anzusehen bei diesem Bierzeltversuch in einer dezent nach Schweiß und Bier riechenden Turnhalle, bei diesem bayerischen Brauchtum tief im Osten, wo der Matjeshering die Schweinshaxe ersetzt. Und alle Jahre wieder hält Merkel eine komplett witzfreie Rede. Demmin ist ein Phrasenabwurfplatz der Kanzlerin, sie sagt das Gleiche wie bei einer herkömmlichen Parteitagsrede, Abtörner wie: „Kritisieren, Schreien, Schimpfen hilft uns nicht weiter“ (2010). Oder Binsen: „Wem ein Arbeitsangebot gemacht wird, der hat auch die Pflicht, ein solches Angebot anzunehmen“ (2011). Merkel Immergleich, nie witzig, aber gerade darum saukomisch, dazu das ewig gleiche Bier.

Seite 2: Stichwort „Bierdusche”

Ein einziges Mal hat sich Merkel von Volker Kauder vertreten lassen. Das war 2005. Und vergangenes Jahr, da ist das Unvorhergesehene passiert. Den Film, den Frau Rosemeyer im Kopf gespeichert hat, kann man sich auf Youtube unter dem Stichwort „Bierdusche“ ansehen. Ein Kellner nähert sich von hinten der Kanzlerin, und als er ihr ein Glas Bier reicht, da neigt er sich vor, und er neigt fatalerweise auch das Tablett in seiner anderen Hand, die fünf Pilsgläser darauf kommen ins Rutschen, fallen und ergießen ihren Inhalt in den Nacken der Kanzlerin.

Die macht nur eine Handbewegung, als scheuchte sie sich eine Fliege vom Hals. Ein unglaubliches Dokument ihrer Beherrschtheit. Noch heute reden sie in Demmin ehrfürchtig davon, wie sie die ganze Veranstaltung mit anderthalb Litern Pils im Kreuz pitschepatschenass absolviert hat, ihre Rede, die Autogramme, das Essen im Hotel Trebeltal im Kreis der Honoratioren. Erst ganz am Schluss hat sie diskret um ein Zimmer bitten lassen, um sich umzuziehen.

Es sind noch vier Wochen hin bis zum großen Tag, nächste Woche kommt das offizielle Vorauskommando, die Herren vom BKA und Herr Götz von der CDU in Schwerin, und dann werden sie wieder bei Frau Rosemeyer sitzen und den Politischen Aschermittwoch mit Angela Merkel am 13. Februar planen. Im Grunde wird es dann wohl wieder so ablaufen wie immer, ein bisschen wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, in dem auf immer und ewig derselbe Radiowecker losgeht.

Aber wie das so ist bei Ereignissen, die sich wiederholen, hoffen alle, dass es beim nächsten Mal doch besonders gut wird. Marc Reinhardt, der CDU-Kreisvorsitzende, ein smarter junger Mann mit Büro im adretten Fachwerkstädtchen Stavenhagen 25 Kilometer weiter, sagt, er blicke diesmal mit besonderer Erwartung dem Aschermittwoch entgegen. Ein Wahljahr, und diese Fülle an Vorlagen vom politischen Gegner: „Da sach ich nur: Steinbrück und Flughafen.“

Marc Reinhardt erzählt, wie wichtig Merkels Passau für das Selbstbewusstsein Demmins sei, das sich im Vergleich zu anderen Gemeinden der Gegend als etwas abgehängt empfindet. „Die reden sich auch in so einen Strudel rein.“ Vor Jahren hat einmal ein britischer Gesundheitsminister, er hieß John Reid, vehement und erfolglos gegen das Rauchverbot in Pubs plädiert, weil das doch die letzte schöne Sache sei, die das Proletariat noch habe.

Seite 3: Hundeausstellungen, Reptilienschaus, Castings – und die CDU

Der Satz von Reid und dem Rauchen kam einem bei Marc Reinhardt in den Sinn, aber auch schon auf der Anreise, auf dem Bahnsteig in Pasewalk, wo die Bockwurst 1,70 Euro kostet und man aufpassen muss, dass man den Fahrplan genau gelesen hat, weil der ICE nur am Wochenende fährt und man dort zwei Stunden festhängt, wenn man auf ihn gesetzt hat. Oder in Neubrandenburg, wo ein junger Mann wie ein Klischee auf Beinen in den gleichen Regionalexpress nach Demmin einsteigt: Ziegenbärtchen am Kinn, Jogginghose am Bein, Billigbierflasche in der Hand, Kampfhund an der Leine. „Dunkeldeutschland, sagen Sie es ruhig“, sagt ein hierher ausgewanderter Schweizer, den wir zufällig in einer Bäckerei in Stavenhagen kennenlernen: „Das hier ist Dunkeldeutschland. “ Aber ihm gefalle es hier, hat er hinzugesetzt, der Mann aus Bern.

Einmal im Jahr geht in Dunkeldeutschland die Sonne auf. Dann verwandelt sich die Tennishalle, in die Monika Rosemeyer jetzt führt, in ein Festzelt. Die Teppichbahnen, die hinten hinter den Grundlinien aufgerollt liegen, werden dann über den Nadelfilz der Plätze gerollt, die Heizung, deren gleichförmiges Dröhnen die Halle erfüllt, wird von jetzt 16 auf dann 20 Grad hochgeregelt.

Die Halle kann viel. Hundeausstellungen hat sie beherbergt, eine Reptilienschau, eine Casting-Meisterschaft, einen skurrilen Angel-Zielwurf-Wettbewerb, das „Trockenangeln“, wie Frau Rosemeyer erläutert. Dann Abiturfeiern, dieses Jahr auch eine große Silvesterparty, und zurzeit kommt wöchentlich ein Tanzkurs vorbei. Hinten in den Squash-Courts, wo es zum Aschermittwoch immer die Matjesheringe gibt, werkelt ein Handwerker an der Lichtanlage.

Zurück von der Halle über den Parkplatz ins Hotel. Es ist ein grauer Nieseltag, bald wird der Regen in Schnee übergehen. Die Umrisse von Demmin sind zu sehen, es liegt etwas unterhalb von Hotel und Halle. Eine Kirche überragt den Ort und all seine Gebäude. Sie ist der andere Stolz von Demmin und sieht aus wie die kleine nordische Schwester des Ulmer Münsters, das den höchsten Kirchturm der Welt hat.

Auf dem Parkplatz steht der Kleintransporter eines Herstellers von Windkraftanlagen. Die Arbeiter dieser Anlagen stellen zurzeit das Gros der Gäste des Hotels. Außer Wind ist nicht viel in Demmin.

Im Hotel hängen an der Wand neben der Bar vier Fotos von Merkel mit der Belegschaft. Frau Rosemeyer erzählt, wie Merkel jedes Mal nach dem Honoratioren-Essen zum Personal und ihr komme, und jedes Mal sage: „Sie sind so fleißig, wollen wir nicht ein Foto machen?“

Seite 4: Unterwegs mit dem Lokalreporter

„Wer lässt sich das schon nehmen?“, sagt Frau Rosemeyer. So was habe ja sonst niemand, sagt sie. „Hier in Demmin sind wir die Einzigen, die so was haben.“ Einmal habe eine Reisegruppe aus Bochum vor den Bildern gestanden und gesagt, das seien doch sicher Fotomontagen. Wenn man sich die Fotos in Ruhe anschaut, fällt auf, dass die umstehenden Damen Merkel immer ähnlicher werden. Auf dem letzten formen manche von ihnen ihre Hände vor dem Leib zur Merkel-Raute.

Zum Abendessen kommt Georg Wagner ins Hotel Trebeltal. Er ist nach der Wende von der Augsburger Allgemeinen zum Nordkurier gegangen. Als Chefreporter des Lokalteils von Demmin hat er jeden, aber auch jeden Aschermittwoch mitgemacht. Er hat miterlebt, wie seinerzeit die Veranstaltung aus Stavenhagen nach Demmin umzog, wie jedes Jahr die Stavenhagener gehofft haben, die Veranstaltung käme zurück, und wie Demmin, das hässliche Entlein, daran festgehalten hat, weil es auch mal Schwan sein will.

In Bayern, sagt Wagner, dem man die Melodie seines liebreizenden Allgäu-Schwäbischs bis heute anhört, dieses leise rollende R, diese fast singende Modulation, in Bayern, da gehöre das einfach dazu: ein Bierzelt, eine Maß – „und dann wird politisiert“.

Hier aber gebe es „diese Tradition nicht so“. Was ihm als Reporter bei Abendveranstaltungen in seiner neuen Heimat auffiel: „Da gab’s nie was zum Trinken!“ Als seine Zeitung einen Abend-Talk extra in einer Gastwirtschaft organisierte, da richtete Gastgeber Georg Wagner einen Appell an den Saal: „Trinkt’s halt was!“ Vergeblich.

Wagner schaut sich Merkel seit Jahren genau an in der Tennishalle. Ein „absolutes Heimspiel“ sei das für sie. Seinen Eindrücken nach genießt sie es, „weil es eine Gelegenheit ist, wo sie ein bisschen Kraft tankt“.

Von der Veranstaltung lebt Wagner zwei Tage, drei Tage lang: Er schreibt den Vorbericht, dann eine aktuelle Geschichte vom Nachmittag selbst, am Folgetag noch eine Sonderseite mit vielen Fotos, die Wagner geschossen hat. Erfahrung und Routine sind gut, aber die Gleichförmigkeit hält auch ihre Herausforderungen bereit für den Berichterstatter. Es sei schwierig, sich jedesmal einen neuen Dreh einfallen zu lassen. Einmal hat er seine Geschichte aus der Perspektive einer Ordnerin erzählt, vergangenes Jahr ist er mit der Lichterfestkönigin in den Text eingestiegen, die Merkel auf der Bühne begrüßen darf. „Ein klein wenig blass wirkt sie, etwas nervös vor einem der größten Auftritte in ihrer Königinnen-Karriere“, berichtete er 2012. Jedes Jahr bat er um ein Interview mit Merkel. Jedes Jahr hat er eine Absage bekommen. Er wird es wieder versuchen.

Eine Frage, Herr Wagner, eine wichtige Frage an Sie als Dauerzeuge: Haben Sie in all den Jahren an einer einzigen Stelle mal gelacht bei einer der Merkel-Reden?

Nö, sagt Wagner nach längerem Nachdenken. Er könne sich jedenfalls an kein Mal erinnern. Er sei aber auch sehr beschäftigt: Fotografieren, Interviews führen, da könne er nicht richtig zuhören, weil es auf die Rede selbst für seine Berichterstattung nicht so ankomme. Dann denkt er nochmal kurz nach und sagt: „Wobei ich nicht das Gefühl habe, viel zu versäumen.“

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