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() Guido Westerwelle - damals und heute
Mensch, Guido

Als er acht war, ließen sich die Eltern scheiden, zusammen mit drei Brüdern lebte er beim Vater. Auf der Realschule dann das Coming-out: Spurensuche in Westerwelles Jugend.

Lesen Sie auch: Guido Westerwelle: "Noch eine letzte Flasche Saint-Émilion Grand Cru" Das vielleicht früheste Auditorium von Guido Westerwelle war die Marienstraße in Königswinter bei Bonn. Dort wohnten seine Eltern, die Rechtsanwälte Heinz und Erika Westerwelle, in einem schmucken Haus am Hang, vor einer Koppel für die Pferde des Vaters. Jeweils einen Sohn aus früheren Beziehungen bringen die beiden mit in die Ehe. Guido wird 1961 geboren, zwei Jahre später sein Bruder Kai. Am heute greisen Nachbarn schult ein damals gerade mal schreibfähiger Guido die rethorische Cleverness, die der deutschen Politik in Wortgefechten mit Joschka Fischer später wahre Sternstunden bescheren wird: „In Grund und Boden gequasselt“ habe der altkluge Knirps ihn, erinnert sich der Nachbar amüsiert, mit einem „oberlehrerhaften“ Ton. Guido ist acht, als die Ehe der Eltern zerbricht. Das alte Haus wird verkauft, schließlich abgerissen. Die Mutter bezieht nebenan einen grün gestrichenen Bungalow, den sie bis heute alleine bewohnt. Nach der Scheidung verlässt sie die Kanzlei ihres Mannes und eröffnet zusammen mit einem Sozius ein eigenes Büro, das bis heute ihren Namen trägt, obwohl Erika Westerwelle die Tage längst auf dem nahen Golfplatz verbringt. Vater Heinz und seine Söhne, die ihm folgten, zuerst nur Guido, später auch die anderen, beziehen auf der Heerstraße in der Bonner Altstadt ein elegantes Stadthaus. Im Erdgeschoss die Kanzlei des „Dr.Dr.Westerwelle“, damals eine stadtbekannte Wortgewalt am nahen Bonner Landgericht, darüber das Reich der Brüder: chaotische Männerwirtschaft, gesteuert von der mittlerweile verstorbenen „Tante Tini“, einer Patentante, die sich zeitweilig der Kinder annimmt. „Villa Kunterbunt“ nennt Werner Hümmrich das Haus. Der rundliche Sparkassenfilialleiter mit gestärktem Hemd und Schlipsnadel war Guidos bester Freund. Die Scheidung der Eltern schlägt Guido damals auf den Magen, bis er dick wird, und auf die Noten, bis er nach dem ersten Halbjahr vom Gymnasium auf die Freiherr-vom-Stein-Realschule wechselt. In der Straßenbahn zur Schule lernt er „Hümmi“ kennen, eine Freundschaft beginnt, die Guido Westerwelle bis heute pflegt. Westerwelle hatte – und hat noch immer – einen kleinen Kreis eingeschworener Vasallen, mit deren Hege er schon in der Schulzeit beginnt: im Wohnzimmer der Heerstraße. Guido hat Spaß daran, Gastgeber zu sein, Vater Heinz, wenn er sich blicken lässt, ist „hart, aber herzlich“, bemüht die Kumpelrolle und bietet den Schulfreunden schnell das „Du“ an. Da sitzt die Clique dann nachmittags, während Guido Geschichten erzählt oder Kassetten vorspielt, mit Hits, die er aus dem Radio aufnimmt. Die Jungs sind unkritische Bewunderer und ein dankbares Publikum, der dicke Guido blüht auf. Kai, der kleine Bruder, kommt manchmal dazu, isst ein paar Chips, verkrümelt sich wieder. Verblüffend ähnlich sind sich die Brüder bis heute, sagt Hümmrich: in der Mimik, im Aussehen. Kai studiert genau wie Guido Jura, hat einen ähnlichen Hang zur Selbstdarstellung und ist, wie er später feststellen wird, ebenfalls homosexuell. Heute ist Kai Westerwelle Partner in der Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Taylor Wessing. Stefan und Henrik, die älteren Halbbrüder, sind still und unauffällig, selten da und ziehen sich zurück, wenn Guido mit seinen Freunden anrückt. Auch heute gehen sie eigene Wege: Stefan ist Kaufmann, Henrik Polizist. An den Wochenenden packt Vater Heinz, sooft es geht, die jüngeren Söhne und ihre Freunde in den alten Ford Escort und fährt in den Hunsrück. Er ist Pferdenarr, besitzt dort eine Zucht mit Ställen und ein Wochenendhaus in einer alten Wassermühle. Das lauschige Fachwerkhaus mit Schieferdach und grünen Fensterläden liegt abgeschieden in einem sonnigen Tal mitten im Wald, umgeben von Birken und dichtem Nadelholz. Trotz des Ofens sei es dort oft saukalt gewesen, erinnert sich Hümmrich, und Strom gibt es bis heute nicht, auch wenn ein Schild am Haus – Juristenhumor wohl – noch immer vor einer „lebensgefährlichen Selbstschussanlage“ warnt. „Phänomenal“ seien die Wochenenden gewesen: Vor Vater Heinz durfte die ganze Clique inklusive Guido rauchen, und sobald man angekommen war, wurde gekocht, „gebrutschelt“, wie Guido das nannte: Freitagabend gab es Spaghetti Bolognese, samstags wurde gegrillt, am Feuerplatz vor dem Bach, die Reihenfolge hatte Tradition. Tagsüber gingen die Freunde in die kleine Sauna im Schuppen oder gingen spazieren und besuchten die Pferde, weniger zum Reiten und mehr zum Gucken. Nein, ein toller Reiter sei Guido eher nicht, erzählt der Bauer mit den kräftigen Händen, der Heinz Westerwelles Ställe verwaltet. Doch er interessiere sich für die Tiere, immerhin. Er sieht hier bei den Westerwelles nach dem Rechten, seitdem der alte Heinz kurz nach seiner Pensionierung ein Pflegefall wurde. Über ein Jahr hat Heinz Westerwelle ganz im Hunsrück gelebt, dann musste er sich von seiner Mühle zurückziehen, wird nun in seiner neuen Wohnung in der Bonner Innenstadt betreut. Ein Jammer, sagt der Mann, auch weil die Zucht so gut lief. Der ganze Stolz des „Dr. Westerwelle“ sei der hochprämierte Rheinländer-Hengst Lugato von Lanciano gewesen, heute im Besitz des Landesgestüts in Warendorf. Wenigstens tauche Guido hier immer wieder auf, mittlerweile in Staatskarosse. Das alte Mühlenhaus, sagt der Bauer, will Guido jetzt nach BKA-Sicherheitsvorschriften zu seinem eigenen Refugium ausbauen lassen. Vielleicht macht Westerwelle sich die Mühe, weil das Haus im Hunsrück, genau wie die „Villa Kunterbunt“, ein Ort war, an dem er beides hatte: das Publikum, das er zur Entfaltung braucht, und Freunde, die keinen Sturkopf hinter der aalglatten Oberfläche sahen und keine kühle Distanz vermuteten, wo sich doch nur Guido verbarg, der erkannt und gehört werden wollte. Dass diese Kombination rar ist, muss Guido schon auf der Realschule gespürt haben. Sein damaliger Mathematiklehrer Eberhard Brennecke, Typ Schülerversteher, raucht in tiefen Zügen seine dritte Zigarette und erinnert sich: Oft musste er zwischen entnervten Lehrern und Westerwelle vermitteln. Guido hatte im Kollegium den Ruf eines vorlauten Widerborsts, Brennecke selbst mochte den pfiffigen Kerl: „Guido hat sich gerne in den Vordergrund gespielt“, sagt er, „aber dafür ist er auch als Anwalt der Schwachen aufgetreten.“ Das hat dem Lehrer imponiert. Westerwelle war allerdings auch immer schon Anwalt in eigener Sache. Zur Mittleren Reife hat er sich schulisch freigeboxt: Er und eine Handvoll Freunde, darunter auch Hümmrich, schafften den Sprung aufs renommierte Bonner Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Neue Bühne, neues Spiel, und kein leichtes. Einer der alten Gymnasiasten aus Guidos Jahrgang rollt noch heute genervt die Augen, wenn er an Westerwelles Ankunft denkt. Mit hochrotem Kopf, erinnert er sich, stand Guido damals am ersten Tag in der Aula, seine Getreuen um sich geschart, und schwor sie ein, „agitierte“ sie, war nervig und blieb es, findet er. Ulrich Schmidt-Marwede, auch ein Jahrgangsgenosse, sieht das ähnlich: „Guido“, sagt er, „hat bei uns nicht reingepasst.“ Den Ton, erklärt er, gaben damals die arroganten, satten Kinder der Bonner Diplomaten und Professoren an. Coole Schöngeister in Army Parkas, die Laotse und Hesse lasen, Sonderstunden zum Tode Maos forderten, in den Ferien nach Cannes trampten, ihr Graspfeifchen rauchten und „eigentlich auf die Schule, die Politik und die Zukunft pfiffen“, sagt Schmidt-Marwede. Und auf Ex-Realschüler sowieso. Westerwelles Welt klingt anders. Was ihn und seine Freunde so umgetrieben habe? „Freizeitgestaltung lag ganz hoch im Kurs“, sagt Werner Hümmrich. In den Freistunden ging die Clique in den Teeladen in der Kaiserpassage und diskutierte Politik: Genschers Außenpolitik, die Innenpolitik von Strauß, den Nato-Doppelbeschluss oder die Innere Ordnung. Und am Wochenende, da ging man auch schon mal ins katholische Jugendheim St.Sebastian: „Cola trinken und Fete machen!“ Alkohol war nicht so wichtig, Kiffer fanden sie doof, und die „Motorrad-Abhäng-Clique“ war nicht ihr Ding, sagt Hümmrich. Guido war der Typ mit dem feinsäuberlich gepackten Pilotenkoffer. Ein Aufsteiger, Reinrufer, Aufzeiger, ein Besserwisser. Einer, der um seine Bühne kämpfte. „Unser Jahrgang war die echte FDP-Avantgarde“, sagt ein Mitschüler von einst, „denn wir mussten uns den ganzen Scheiß von ihm schon damals anhören.“ Über die „Leistungsschiene“ sei Westerwelle mit seiner Clique in den Jahrgang gegrätscht, erzählt Schmidt-Marwede, mit der „Wucht eines Rugby-Stoßtrupps“. Um jeden Millimeter im Terrain habe Guido gefeilscht, diskutiert, gerungen. Um die Noten, aber sehr schnell auch um die Deutungshoheit in der Schule. Eine effiziente Waffe war dabei die Schülerzeitung Ventil. Das Blatt lag brach, als Westerwelle kam, seine Freunde und er päppelten es wieder hoch. „Ein Kanal, um sich eine Stimme zu verschaffen“, sagt Hümmrich stolz. Die Redaktion hatte ihren Sitz in der „Villa Kunterbunt“, und Guido war ganz vorne dabei, ab 1980 als Chefredakteur. Mit seinen Artikeln prangert er bei Schulkonzerten abwesende Lehrer an, debattiert den Begriff der deutschen Nation, rezensiert Ballettstücke und entpuppt sich früh als waschechter Liberaler: Vorstöße des Schülerparlaments, „ruhestörende Elemente“ auszuschließen, seien absurd, schreibt er: „Wenn einer Schülerinstitution nur mit SA-Methoden die Funktionsfähigkeit erhalten bleiben kann, so ist sie es nicht wert, weiter zu bestehen.“ Aus dieser Zeit stammt auch seine Polemik gegen die Todesstrafe (siehe Kasten rechts). Und der öffentliche Schüler Guido erlebt, was bis heute den Politiker definiert: Er scheidet die Geister, er polarisiert wie sonst kaum einer. Er wird verehrt und respektiert oder aber gehasst. So sehr, dass ein „Schwarzbuch Westerwelle“ durch die Schule geisterte, gesammelte Westerwelle-Schmähungen in gebundener Form, erinnert sich Helmut Lennarz. Guidos ehemaliger Jahrgangstufenleiter, volles, schlohweißes Haar, markiges Rauchergesicht, stopft sich schmunzelnd die Pfeife. Klar, Guido sei aufgefallen, vor allem durch sein Mundwerk. Er sei nie frech gewesen, im Gegenteil eher höflich und zuvorkommend. Das habe ihm schulisch oft den Kopf gerettet, denn seine Noten, auch die im Abitur, waren „bestenfalls durchschnittlich“. Eine Karriere als Spitzenpolitiker habe ihm deshalb im Kollegium niemand zugetraut. Guidos Problem waren die übereilten Urteile, sagt Lennarz: „Nicht lange gedacht, aber schnell was gerufen.“ Und mit vielen Lehrern habe einfach „die Chemie nicht gestimmt“. Da ist es wieder, das Paradoxon. Man stellt sich Westerwelle fluchend vor, wenn er so etwas liest. Die verflixte Chemie. Die ist ein Geheimnis, alles andere nicht. Denn Westerwelle ist auch: der Anti-Sozialist, Anti-Gleichmacher, Anti-Öko, Anti-alles-Linksintellektuelle, damit per se nicht mehrheitsfähig. Sehr wohl aber fähig, sich Achtung zu verschaffen. Sein damaliger Schulkamerad Udo Meinders war der Anti-Westerwelle: ein Punk mit blau gefärbten Haaren, Kiffer, Schulschwänzer, Sitzenbleiber, einer von den harten Jungs. Aber den Westerwelle mochte er gerne. „Ernsthaft“ sei Guido gewesen, „ein Vertreter des reinen Geistes“, und man konnte sich famos, sachlich, wild und erwachsen mit ihm streiten. Dafür bekam Guido den Respekt der Punks. Was er ebenfalls erntete, war das Wohlgefallen der Damen, erzählt Hümmrich, erzählt auch Lehrer Lennarz. Mit „Hümmi“ sprach Guido offen über seine Homosexualität. Klarheit, sagt der, habe sein Kumpel erst gegen Ende der Schulzeit bekommen. Möglicherweise, glaubt Werner Hümmrich heute, hat eine von Westerwelles damaligen Freundinnen den sexuellen Selbstfindungsprozess beschleunigt: Sie erzählte Guido, sie erwarte ein Kind von ihm. Das habe sich dann als Lüge herausgestellt, aber so wurde Westerwelle mit der Frage konfrontiert, ob er sich überhaupt ein Leben mit einer Frau vorstellen könne. Selbst wenn die Antwort ein „Ja“ gewesen wäre, für Romanzen jedweder Art hätte Guido in den kommenden Jahren kaum Zeit gehabt, erzählen Hartmut und Liane Knüppel. Die beiden gehören heute zu Guidos engstem Freundes- und Beraterkreis, „eine Art Ersatzfamilie“, sagen sie. Anfang der Achtziger baut das Paar die Jungen Liberalen als ideologiefreie Gegenbewegung zu den abtrünnigen Jungdemokraten auf. Im Herbst 1980 steht der frisch gebackene Abiturient Westerwelle vor ihrer Tür, und er fragt, ob er mitmachen könne. „Heilfroh“ waren die beiden über den engagierten Grünschnabel, der alle Knochenjobs widerspruchslos schulterte: Vom administrativen Kleinkram bis zum Kreisvorsitz in Bonn – immer rief Guido: „Hier!“ Als 1981 ein Pressesprecher für die BundesJuLis gesucht wird, ist der verbale Kampfsportler Westerwelle die logische Besetzung. Mit seinem Aufstieg in der FDP gewinnt er die Bundesrepublik als Gegenüber. Mit neuen Feinden und neuen Freunden. Mit einem Traumstart ins Superwahljahr ist Westerwelle nun aus dem Schatten der Fünfprozenthürde gestiegen. Wenn alles gut läuft, gewinnt er die ganze Welt als Publikum. Mensch Guido, vielleicht stimmt ja die Chemie. Fotos: Picture Alliance

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