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Demografie - Jugend? Welche Jugend?

Die heutige Jugend wächst in eine Verantwortung hinein, wie sie keine Generation vor ihr zu tragen hatte. Ihr gebürt vor allem eines: Anerkennung

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich so leicht: Der Jugend gehört die Zukunft. Aber wessen Zukunft? Und welcher Jugend überhaupt? Eindeutig ist nur, dass rein demographisch die Jugend in eine Verantwortung hineinwächst, wie sie keine Generation vor ihr zu tragen hatte. Diejenigen, die heute jugendlich sind, müssen später nicht nur für sich selbst und ihre Nachkommen Geld verdienen, sondern für ein bis zwei Rentner gleich mit. Es wird deshalb höchste Zeit, diesen jungen Leuten einen festen Damm Richtung Zukunft zu bauen – im ureigenen Interesse der jetzt Berufstätigen.

Das sollte schon damit beginnen, möglichst unvoreingenommenen auf das zu schauen, was Jugend genannt wird. Denn hier ist der Blick seit Jahrhunderten mehr als getrübt. Er war stets verzerrt; mal ins Negative, mal ins Positive.

Vor gut 200 Jahren wurde „die Jugend“ soziologisch erstmals überhaupt als Gruppe wahrgenommen, als eine ausgesprochen schwierige. „Jugend ist Trunkenheit ohne Wein“, dichtete Goethe im West-Östlichen Divan. Als dieser Zyklus erschien, war der Meister schon siebzig – an Jahren also dem Nachwuchs so fern, wie man damals nur sein konnte. Doch sein Bild auf die jungen Leute als einer im Grunde unzurechnungsfähigen Bande war prägend für ein Jahrhundert.

Später allerdings verkehrte es ich ins Gegenteil. Im regelrechten Jugendrausch begann das 20. Jahrhundert. Wandervögel, Körperkult – die Jugend wurde zum Mythos, zum gefährlich verkitschten Volksvorbild. Die Möglichkeit, die Jüngsten besonders leicht für eigene Ideale formen zu können, war von politischen Propagandisten links wie rechts erkannt worden. Erst als das nicht mehr gelang – in der Demokratie – stellten sich die Generationen wieder gegeneinander auf, grenzten sich zumindest voneinander ab.

Adoleszenz nennen Entwicklungspsychologen die Zeit der Erwachsenwerdung. Doch Beginn und Ende dieser Lebensspanne zu benennen gelang in der Wissenschaft selten. Das nach dem Zweiten Weltkrieg  übernommene Wort „Teenager“ beweist den Mangel allein an deutschem Vokabular. Für viele Eltern der Nachkriegsgeneration war es synonym für Aufstandproben und Nichtverstehen. Doch Teen, also von 13 bis 19 Jahre, trifft es nicht wirklich und traf es auch nie.

Juristen haben die lange Brücke zwischen Kindheit und Erwachsensein im Strafrecht fest begrenzt. Wegen Jugend eingeschränkt strafmündig sind dort Menschen vom vollendeten 14. bis zum 21. Lebensjahr. Doch wir brauchen uns nur umschauen, um fließende Grenzen unten wie oben zu sehen. Kriminelle Kinder gibt es ebenso wie spätpubertäre Erwachsene.

Wie ist heute das Bild der Jugend? Es geht wohl eher frei nach Goethe: Trunkenheit mit Alkopops und Gras. So jedenfalls stellen es Medien besonders gern dar. Allein der Blick in die Presse des letzten Monats zeigt, dass Minderheitenphänomene den Gesamteindruck bestimmen: Komasäufer, Haschisch-Schüler, Pornoschauer, Essgestörte und durch Facebook viele von ihnen ohne echte Freundschaften. Der „Spiegel“ titele vor zwei Wochen über den Stress an Schulen: „Plattgepaukt“ ist der Artikel überschrieben und beginnt mit einem Pädagogen, der um die vermeintliche Jugend weiß: „Rainer Schmidt kennt sie alle: die Verzweifelten, die Verbissenen, die Verlorenen.“ Das sind also „alle“?

Die Jugend wird seit Jahrzehnten als problematische Gruppe beschrieben. Die Politik scheint keinen Zugang zu finden. Ratlos und kopfschüttelnd standen alle Altparteien vor dem Phänomen der Piraten, die scheinbar aus dem Nichts Jugendliche erfolgreich anzusprechen und zu interessieren schien für politische Themen. Diese neue Partei mag falsch geschichtet und so schlecht strukturiert sein, dass ihr Erfolg nur wie einem Strohfeuer glich. Aber die Bereitschaft junger Menschen, sich dort zu sammeln, hat Politikern in allen im Bundestag vertretenen Parteien gezeigt: Wir müssen mehr bieten für die Jugend. Nur wie?

„Eigenständige Jugendpolitik“ ist dazu der parteiübergreifende Schlüsselbegriff geworden. Er findet sich sowohl im schwarz-gelben Koalitionsvertrag der Bundesregierung wie auch etwa im rot-grünen der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Dahinter steht der Versuch, die Lebensphase Jugend als eigenes Politikfeld zu sehen.

Vor zwei Jahren wurde dafür auf Bundesebene ein unabhängiges „Zentrum Eigenständige Jugendpolitik“ gegründet, das bei der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe angesiedelt ist, einem gemeinnützigen Verein. Hier soll diskutiert werden, wie eigenständige Jugendpolitik in Deutschland gestaltet und umgesetzt werden kann. Weil es als Querschnittsaufgabe gesehen wird, sind Vertreter aus möglichst vielen auch nicht politischen Lebensbereichen angesprochen worden – von den Schulen, der Wirtschaft, den Städten und Gemeinden, den Jugendverbänden, den Kirchen und auch den Medien. In einem Beirat aus ein paar Dutzend ehrenamtlichen Mitgliedern sollen neben mir und weiteren Journalisten alle überlegen, wie Jugendliche in Deutschland gesamtstaatlich besser eingebunden werden können.

Niemand hat dort einen Generalplan. Ziel ist es erst einmal, 2014 eine „Allianz für Jugend“ zu gründen – ein Bündnis für die Belange und Interessen der Jugend, damit die eine Lobby bekommt. Dort sollen alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen mitwirken, vor allem Jugendliche selbst.

Die nämlich werden Verantwortung übernehmen müssen für ein alterndes Land. Trotz steigender Zuwanderung ist die sogenannte Alterspyramide keine mehr. Der Bevölkerungsaufbau wird bald eher aussehen wie eine Mumie mit dickem Bauch auf schmalen Beinen. Diese Beine werden die Jugendlichen von heute sein. Sie müssen schon in zwei Jahrzehnten das meiste Gewicht tragen, und es ist absehbar, dass das zu einem echten Generationenkonflikt wird. Damit daraus kein Dauerkampf wird, braucht Jugend mehr als nur Verständnis. Ihr gebührt vor allem eines und zwar im doppelten Wortsinn: Anerkennung.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es irrtümlicherweise, die Strafmündigkeit fange mit dem 13. Lebensjahr an. Tatsächlich beginnt sie mit dem vollendeten 14. Lebensjahr.

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