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Im Dienste der Nation: Schröder über seinen Freund Putin

Ex-Kanzler Schröder pflegt engste Beziehungen zu seinem Freund Wladimir Putin. Lesen Sie im zweiten Teil, wie der Insider Schröder die gegenwärtigen deutsch-russischen Beziehungen beurteilt, warum er für einen russischen Energiekonzern tätig ist und was er über die Finanzkrise denkt.

In Ihrer Amtszeit haben Sie ein enges persönliches Verhältnis zu Wladimir Putin entwickelt. Hat diese persönliche Beziehung auch die Richtlinien Ihrer Außenpolitik mit geprägt? In keiner Weise, denn wir haben immer auseinanderhalten können, was die persönliche Beziehung angeht und was die Interessen unseres jeweiligen Landes betrifft. Soweit das deckungsgleich zu bringen war, war das natürlich gut und richtig, soweit nicht, ist diese freundschaftliche Ebene deswegen vorteilhaft, weil sie das Austragen einer Kontroverse auch erleichtert. Man weiß, der andere vertritt Interessen wie ich auch, und die sind unabhängig von der persönlichen Ebene zu sehen. Im Grunde ist es so, dass ich mit Wladimir Putin eine Kontinuität bundesrepublikanischer Russlandpolitik verantwortet habe. Diese Kontinuität ist ja dadurch gekennzeichnet, dass die Deutschen in der alten Republik ebenso wie in der wiedervereinigten Republik sehr genau wissen, dass die Europäische Union und Russland ein wirklich vernünftiges Verhältnis zueinander brauchen. Und das haben deutsche Bundeskanzler ja auch immer praktiziert. Bei Adenauer ging es um die Rückführung der Kriegsgefangenen. Bei Willy Brandt um die Entspannungspolitik, die dann von Helmut Schmidt fortgeführt worden ist. Kohl war wirklich von der Notwendigkeit einer strategischen Beziehung zwischen Deutschland und Russland überzeugt und hat sie ja auch praktiziert. Für mich war es dann sehr interessant zu sehen, wie meine Nachfolgerin mit dem Thema umgeht. Interessant deswegen, weil am Anfang der Eindruck entstand, dass sie diese Kontinuität nicht würde fortsetzen wollen und können. Heute bin ich froh, dass meine Skepsis widerlegt ist. Gemeinsame Sicherheitspolitik hat die enge Bindung zwischen Amerika und der Bundesrepublik über fünf Jahrzehnte hinweg geprägt. Aber die Bedrohungslage hat sich geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei, Terrorismus, Piraterie, potenzielle militärische Konflikte im Nahen Osten, auf dem indischen Subkontinent, im Fernen Osten bestimmen heute die sicherheitspolitische Agenda. Welche Rolle spielt Deutschland in diesem völlig neuen Szenario? Ich denke, dass – auch was die neuen Bedrohungen angeht – das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika sich zunächst einmal nicht unbedingt wandeln muss, denn das ist ja nicht nur gegründet auf gemeinsamen sicherheitspolitischen Interessen, sondern es ist auch gegründet auf Wertvorstellungen, die in unser beider Verfassungen kodifiziert sind. Bei allen Veränderungen im sicherheitspolitischen Feld muss sich dieses freundschaftliche Verhältnis, das wie gesagt auf mehr gegründet ist als auf gemeinsame Sicherheitsinteressen, nicht ändern. Hinzu kommen gemeinsame ökonomische Interessen. Welche Rolle spielt Deutschland in den anderen, also in den neuen Bedrohungsbereichen? Ich finde, eine angemessene. Wir verhalten uns als eine mittlere Macht, die wir sind – nicht mehr und nicht weniger. Und wir haben zu verstehen, dass Deutschland in diesen Konflikten als mittlere Macht keine eigene Rolle spielen kann, sondern dass wir nur Einfluss nehmen können als wichtiger, vielleicht wichtigster Teil in der Europäischen Union. Und deswegen glaube ich, dass gerade diese sicherheitspolitische Begründung für die Stärkung und Stabilisierung der Union gelegentlich in der öffentlichen Diskussion etwas zu kurz kommt. Für die Sozialdemokratie war die Wehrpflicht immer ein Garant dafür, dass die Armee keinen Staat im Staat bildet. Wenn wir nun aber eine Berufsarmee bekommen – was wohl passieren wird –, sehen Sie da eine Gefahr, dass sich hier der berühmte militärisch-industrielle Komplex entwickelt, der in Amerika tonangebend ist? Ich sehe diese Gefahr nicht. Wir haben eine eigene Rüstungsindustrie, die, wie wir wissen, auch exportiert, weil sie offenkundig sehr gut ist. Kritiker werfen Ihrer Regierung vor, ein bisschen zu viel exportiert zu haben. Ich muss diesen Vorwurf zurückweisen, wir haben das mit Augenmaß gemacht, aber wir hatten natürlich auch die ökonomischen Interessen auf der einen Seite und die Wünsche von Partnerländern auf der anderen Seite zu sehen. Erstens spricht nichts dagegen, wenn man eine Armee hat, dass sie auch aus dem eigenen Land heraus mit dem notwendigen Equipment versorgt wird. Und schon gar nicht spricht etwas dagegen, das Gleiche dann auch den Nato-Verbündeten zukommen zu lassen. Insofern war das, was wir getan haben, verantwortbar in jeder Linie. Zweitens glaube ich nicht, dass wir Angst vor einer Berufsarmee und der oft beschworenen Gefahr eines Staates im Staat haben müssen. Im Gegenteil, ich glaube, dass dieses Land inzwischen in einer Weise demokratisch gefestigt ist, dass auch die Existenz einer Berufsarmee das nicht gefährden würde. Ihnen ist auch vorgeworfen worden, nach Ihrer Kanzlerschaft für einen russischen Energiekonzern tätig geworden zu sein. Hat Sie dieser Vorwurf persönlich belastet? Gestört, aber nicht wirklich belastet. Ich habe mir immer vorgestellt, wie wohl meine Arbeit bewertet worden wäre, wenn der Hauptaktionär der Pipeline-Gesellschaft nicht die Gasprom gewesen wäre, sondern zum Beispiel ein amerikanisches Unternehmen. Dann hätte man mir vermutlich Lorbeerkränze geflochten. Abgesehen davon ist es keine Arbeit für ein russisches Unternehmen, sondern für ein europäisch-russisches Joint Venture, an dem Unternehmen auch aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden beteiligt sind. Ich hätte allerdings auch für ein russisches Unternehmen eine solche Arbeit getan, wenn das im Interesse Europas und Deutschlands gewesen wäre. Ich habe keinerlei Ängste, was die Zusammenarbeit mit diesem Land angeht. Was ich merkwürdig an dieser Diskussion fand, war, dass plötzlich nicht mehr galt, was man sonst von Politikern erwartet, nämlich dass sie vorher einen ordentlichen Beruf haben und nach ihrem Rückzug ins Privatleben auch. Steckte hinter den Vorwürfen nicht auch eine Haltung, die sich noch nicht ganz vom Kalten Krieg verabschiedet hatte? Einmal das, und außerdem fällt schon auf, dass derlei Diskussionen immer dann auftauchen, wenn es um einen Sozialdemokraten geht – viel seltener, wenn es um Konservative geht. Das ist bemerkenswert. Kürzlich las ich in der Zeit, dass ein konservativer Ministerpräsident doch recht daran täte, wenn er seine Kenntnisse, die er erworben hat, in die Dienste eines Unternehmens stellt. Spielen die Menschenrechte in Spitzengesprächen zwischen Politikern verschiedener Systeme noch wirklich eine Rolle? Diese Frage wurde mir öfter sehr konkret gestellt, zumal, was mein Verhältnis zu China angeht. Als ich ins Amt kam, wusste ich ja schon, wie diese Diskussionen vonstatten gehen. Es sind Rituale, und sie laufen folgendermaßen ab: Man sagt den mitreisenden Journalisten: Ich werde natürlich auch auf die Frage der Menschenrechte zu sprechen kommen. Man tut das dann auch, und der Gesprächspartner sagt gewöhnlich, ich höre und sehe das natürlich völlig anders. Dann geht man zurück und meldet den mitreisenden Journalisten Vollzug. Und dann schreiben die, die Frage der Menschenrechte ist auch angesprochen worden. Das sind Rituale, die nichts verändern. Deshalb hatte ich beschlossen, diese nicht weiterzuführen. Stattdessen hatten wir begonnen, einen Rechtsstaatsdialog mit China einzuleiten. Dieser umfasste eine Reihe wichtiger Fragen, wie zum Beispiel die Rechtsbindung der Verwaltung, die rechtsstaatliche Ordnung der Marktwirtschaft, den rechtlichen Rahmen unternehmerischen Handelns und Fragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das hat funktioniert. Dieser Rechtsstaatsdialog, den wir auf verschiedenen Ebenen haben führen können, ist doch sehr viel vernünftiger und erfolgreicher als die Begleitmusik bei gelegentlichen Besuchen, beim Hin und Her von Staatsmännern und Staatsfrauen. Hinter uns liegt die größte finanzpolitische Krise seit 1949. Während Ihrer Regierungszeit gab es intransparente Finanzprodukte, gab es die Hedgefonds und andere dubiose Geschäftsideen des internationalen Bankenwesens ja auch schon. Was haben Sie dagegen unternommen? Wir haben seinerzeit versucht, die Frage der Transparenz und der Regulierung in die Diskussion der G 7/G 8 zu bringen. Wir sind damals nicht gerade ausgelacht, aber doch zurückgewiesen worden – von den Amerikanern sehr massiv, vor allen Dingen auch von den Briten. Da war kein Weiterkommen in dieser Frage. Die Briten hatten ihre City und die Amerikaner die Wall Street. Aber vielleicht hat es einer wirklich so spektakulären Erscheinung wie der Finanzkrise – ausgelöst durch die Pleite von Lehman Brothers – bedurft, um in diese Diskussion wirklich Bewegung zu bringen, um auch die Verfechter eines unregulierten Finanzmarkts zum Nachdenken zu bewegen. Und das hat ja geklappt. Ich finde, dass die G 20 in der Finanzkrise ordentliche Arbeit geleistet haben. Das betrifft insbesondere auch die deutsche Seite während der Zeit der großen Koalition, gar keine Frage. Der Gipfel von Seoul war sicher kein glanzvoller Gipfel, aber wenn sie sich wirklich auf Basel III geeinigt haben und das auch umsetzen, dann ist das schon mal was. Da geht es ja um die Eigenkapitalanforderung an die Banken. Dieses Thema ist viel wichtiger als die ganze Debatte über die Bankerboni. Und es ist deswegen so wichtig, weil damit der Umfang der künftigen Kreditvergabe zusammenhängt. Man kann zwar kritisieren, dass sie in der Frage der neuen Finanz­architektur noch keine Ergebnisse haben, sondern nur einen Formelkompromiss darüber, wie man die Ungleichgewichte in den Bilanzen der Staaten ausgleichen könnte. Aber so ist das eben mit den Gipfeltreffen – durchwachsen. Also, ich bin nicht besonders enttäuscht. Es muss doch für einen Sozialdemokraten kein mentales Urerlebnis gewesen sein zu erfahren, dass das Kapital in der Tat „um den Globus jagt“ und sich dabei verläuft. Ich war von dem Auslöser der Krise überrascht. Ich hätte nicht geglaubt, dass die damalige amerikanische Regierung Lehman Brothers bankrottgehen lassen wird. War das ein Fehler? Das war sicher ein historischer Fehler, gar keine Frage. Und man kann das natürlich als eine der Fehlentwicklungen des Kapitalismus beklagen, aber das hilft einem ja nicht weiter. Macht Ihnen das enorme Wachstumstempo der Chinesen mitsamt ihrer rigiden Währungspolitik, die rein national orientiert zu sein scheint, keine Sorgen? Wenn man sich die Entwicklung anschaut und China ein bisschen kennt, muss man sagen, dass sie sehr verantwortlich mit diesen Fragen umgehen. Die Chinesen haben zum Beispiel erheblich dazu beigetragen, dass die Krise nicht weitaus dramatischere Auswirkungen hatte, indem sie auf der einen Seite darauf verzichtet haben, ihre amerikanischen Staatspapiere auf den Markt zu werfen, denn das hätte fatale Folgen gehabt. Auf der anderen Seite hat das chinesische Konjunkturprogramm in Höhe von 400 Milliarden Euro zu einer Stabilisierung des chinesischen Marktes geführt, und es war damit einer der wesentlichen Gründe, warum es in Deutschland durch die Exporte so schnell wieder aufwärtsgehen konnte. Wir erleben derzeit eine innenpolitische Situation, die eine merkwürdige und bisher unbekannte Asymmetrie aufweist. Wir haben Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit ist – gemessen an den Befürchtungen – niedrig, aber gleichzeitig ist die Bevölkerung unmutig und verdrossen über Politiker. Wie ist das zu erklären? Ich wundere mich über diese Tatsache auch. Normalerweise ist es ja so, dass sich eine wirtschaftlich gute Situation, wie wir sie jetzt haben, für die Regierung in Zustimmung auszahlt. Hier ist es nicht der Fall, und als guter Sozialdemokrat hoffe ich natürlich, dass das so bleibt. Mit der Folge, dass dann im Jahr 2013 eine politische Veränderung stattfindet. Zweitens: Das hat sicher auch mit den Auseinandersetzungen in der Regierungskoalition im ersten Jahr zu tun. Verglichen damit war ja die rot-grüne Koalition eine wirklich friedvolle Veranstaltung. Dann würde ich mir drittens erlauben, die Feststellung der fünf Wirtschaftsweisen zu zitieren, die in ihrem neuen Gutachten erklärt haben, die Verbesserung des ökonomischen Umfelds sei zurückzuführen auf Maßnahmen der rot-grünen und der großen Koalition. Das Gespräch führte Michael Naumann

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