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Asylkompromiss - Die grüne Führungsriege ist blamiert

Der neue heimliche Parteivorsitzende der Grünen heißt Winfried Kretschmann: Er hat mit seinem Ja zum Asylkompromiss jene gesellschaftliche Verantwortung gezeigt, der sich die Partei- und Fraktionsspitze verweigert. Eine Gegenrede

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Selten hat sich eine Partei so blamiert, wie in diesen Tagen die Grünen. Führungslos taumelte die Partei in der Debatte um die Reform des Asylrechts. Peinlich präsentierte sich die Parteiführung, nachdem sie vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann im Bundesrat vorgeführt wurde. Hilflos versucht sie nun die Scherben, die die innerparteiliche Fehde hinterlassen hat, wieder zusammenzukehren.

Um den Asylkompromiss, der am Freitag im Bundesrat mit den Stimmen des grün-rot-regierten Landes Baden-Württemberg verabschiedet wurde, geht es dabei mittlerweile nicht mehr. Es geht um die Frage, wer in dieser Partei eigentlich das Sagen hat. Und es geht darum, wann die Grünen endlich kapieren, dass sie aufgrund ihrer Stärke in den Ländern eben keine Oppositionspartei mehr sind, die es sich immer und überall leisten kann, die reine Lehre hochzuhalten, wie Petra Sorge in ihrem Kommentar am Freitag behauptete.

Winfried Kretschmann jedenfalls ist nicht Opposition. Er ist Ministerpräsident in einem großen und bevölkerungsreichen Bundesland. Er repräsentiert nicht nur knapp 10 Prozent der Wähler, sondern fast 30 Prozent. Er muss nicht nur gegenüber den grünen Funktionären und den grünen Wählern Rechenschaft ablegen, sondern gleichzeitig gegenüber allen Einwohnern seines Landes sowie gegenüber Kommunalpolitikern und Bürgermeistern.

Wer Macht hat, der hat auch Verantwortung


In dem föderativen und auf Konsens ausgelegten Entscheidungsgeflecht zwischen Bundestag und Bundesrat sind die Grünen auch darüber hinaus keine Oppositionspartei mehr. Im Bundesrat verfügen CDU, CSU und SPD nur über 31 von 69 Stimmen und damit über keine Mehrheit. Die Grünen hingegen haben über ihre Regierungsbeteiligungen in sieben Ländern Einfluss auf insgesamt 34 Stimmen. Sie können, wenn auch das rot-rot-regierte Brandenburg (vier Stimmen) mitmacht, im Bundesrat Entscheidungen blockieren oder sie können den Bundesrat dazu zwingen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Bei allen zustimmungspflichtigen Gesetzen – und das sind in Deutschland immer noch mehr als die Hälfte – sitzen die Grünen also mit am Tisch der Macht. Auch wenn es nur ein kleines bisschen Macht ist, die sich allein aus der Tatsache herleitet, dass Enthaltungen im Bundesrat wie Nein-Stimmen wirken. Und wer Macht hat, der hat auch Verantwortung. Mit Fundamentalopposition wird man dieser Verantwortung nicht gerecht.

Womit wir wieder beim Asylkompromiss wären und den Tränen, die die Ex-Parteivorsitzende Claudia Roth ob des „rabenschwarzen Tages“ für die Flüchtlinge und die Grünen vergoss.

Winfried Kretschmann hat im Bundesrat dargelegt, was es für ihn heißt, sich der Verantwortung zu stellen. Er hat von den Verbesserungen für die Flüchtlinge gesprochen, die das neue Gesetz aus seiner Sicht bringt. Verbesserungen, für die die Grünen viele Jahren lang gekämpft haben und die sie auch in den sieben rot-grünen Regierungsjahren zwischen 1998 und 2005 nicht durchsetzen konnten. Aber der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat gleichzeitig auf die Kommunen seines Landes verwiesen, die große Mühe haben, den derzeitigen Ansturm an Flüchtlingen zu bewältigen und jetzt vor allem finanziell entlastet werden sollen. Und drittens hat Kretschmann über den gesellschaftlichen Zusammenhalt gesprochen, den es zu bewahren gelte.

Wer hat bei den Grünen eigentlich das Sagen?


Dass gesellschaftlicher Zusammenhalt gerade auch in der Asyldebatte ein Wert ist, dem sich politisches Handeln verpflichtet fühlt, vor allem dann, wenn sich die Zahl der Schutzsuchenden innerhalb weniger Monate verdoppelt, diese Erkenntnis hat Winfried Kretschmann seinen Parteifreunden offenbar voraus und nicht jeder, der zu dieser Erkenntnis kommt, ist ein Ausländerfeind.

Natürlich kann man auch zu einer anderen Abwägung kommen als Winfried Kretschmann. Natürlich kann man zu der Einschätzung kommen, der Kompromiss reiche nicht, er sei ein fauler. Aber dann muss eine Partei andere Wege aufzeigen, wie sie ihrer Verantwortung gerecht werden will. Die Forderung nach einer nationalen Flüchtlingskonferenz ist dies sicher nicht. Sie ist vielmehr ein Ausdruck großer Rat- und Hilflosigkeit. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses hätte das Dilemma der Grünen im Übrigen nicht gelöst, denn anders als im Bundesrat sind sie dort nicht das Zünglein an der Waage. Im Vermittlungsausschuss regiert Schwarz-Rot, die Grünen hingegen verfügen nur über drei der 32 Sitze, die Linken über einen.

Winfried Kretschmann hat sich also auch deshalb für ein „Ja“ im Bundesrat entschieden, weil der Kompromiss ausverhandelt war. Viele andere grüne Landespolitiker, die in Regierungsverantwortung stehen, haben dies offenbar ähnlich gesehen. Sie sind nun offenbar froh und erleichtert, dass ihr Ministerpräsident mutig vorangeschritten ist.

Womit wir zweitens bei der Frage wären, wer hat bei den Grünen eigentlich das Sagen? Vier Politiker teilen sich bei den Grünen traditionell die Führung. Zwei an der Spitze der Partei, zwei an der Spitze der Fraktion. Derzeit heißen diese: Cem Özdemir, Simone Peter, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter. Das Parallelogramm der Macht ist zwischen diesen sorgsam austariert, mit der Folge, dass keiner sich wirklich profilieren kann. Die Zeiten eines Joschka Fischer, der als Außenminister und heimlicher Parteivorsitzender nach dem Motto agierte, ist doch egal, wer unter mir Partei und Fraktion führt, sollten ein für alle Mal vorbei sein.

Dumm nur, wenn die grüne Bundespartei und die grüne Bundestagsfraktion keine politische Macht haben und die grünen Landespolitiker via Bundesrat zumindest ein bisschen. Dann kann es passieren, dass ein einziges „Ja“ im Bundesrat eine ganze Parteiführung bloßstellt. Dass die Vier anschließend auch noch lautstark gejammert haben, statt sich demütig in die Niederlage zu fügen, macht diese Bloßstellung noch peinlicher.

Der Stuttgarter Winfried Kretschmann hat es den Berlinern gezeigt, spätestens seit vergangenem Freitag haben die Grünen wieder einen heimlichen Parteivorsitzenden.

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