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Wirtschaftsexpertin: - „Die Öko-Energien sind der Sündenbock“

Sigmar Gabriel beschuldigt die Erneuerbaren Energien einseitig für zu hohe Strompreise, kritisiert die Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert. Aus ihrer Sicht verfehlt die Energiewende-Reform ihr wesentliches Ziel

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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[[{"fid":"60816","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":600,"width":400,"style":"width: 106px; height: 160px; margin: 5px 10px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Claudia Kemfert leitet seit die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Zuletzt erschien ihr Buch „Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole“ (Murmann Verlag)

 

 

Frau Kemfert, Sigmar Gabriel will die Förderung sowohl für Wind- als auch für Solarkraftanlagen kürzen. Umweltverbände sind entsetzt. Sie auch?
Durchaus. Gabriel will eine Ausbaubremse erneuerbarer Energien, um angeblich den Strompreis zu senken. Vor allem für Windenergie an Land und für Biomasse sollen die Vergütungssätze deutlich gesenkt werden. Zudem soll der Ausbaupfad gedeckelt werden.

Was hätte der Energieminister denn machen sollen?
Anstelle einseitig die Öko-Energien als Sündenbock für unverhältnismäßige Strompreissteigerungen zu stigmatisieren, die Förderung für Erneuerbare zu verringern und den Ausbau zu drosseln, wäre ein Gesamtpaket notwendig gewesen: die Industrieausnahmen vermindern, den Strompreis an der Börse stabilisieren, Investitionsanreize für Gas- und Speichertechnologien schaffen. Alte, überflüssige Kohlekraftwerke sollten dauerhaft abgeschaltet werden. Damit hätte Gabriel wirklich den Strompreis senken können.

Die Organisation Campact fürchtet allerdings, dass nicht nur die Kohlekraft eine Renaissance erfährt, sondern vielleicht auch bald eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke gefordert wird.
Ohne eine Wiederbelebung des europäischen Emissionsrechtehandels und damit eine deutliche Steigerung des CO2-Preises wird es sicherlich eine Renaissance der Kohle geben. Sie gibt es ja heute schon: Wir haben so viele Braunkohlekraftwerke am Netz wie lange nicht. Sie schaffen enorme Überkapazitäten – und führen zu einem massiven Preisverfall an der Börse. Das wiederum macht den Betrieb von Gas oder auch Pumpspeicherkraftwerken unwirtschaftlich. Dabei bräuchte man die dringend für die Energiewende.

Droht also eine Rückkehr zur Atomkraft?
Das mag man eigentlich nicht glauben. Ein solches Szenario wäre aus meiner Sicht – wenn überhaupt – nur in Bayern denkbar. Ich hoffe nicht, dass man so etwas ernsthaft verfolgen sollte. Das wäre der totale Irrweg.
 
Bislang wurden Bürger, die sich eine Solaranlage aufs Dach montieren, bevorzugt. Künftig sollen auch sie an der Ökostrom-Umlage beteiligt werden. Droht damit nicht ein massiver Rückschritt bei der energetischen Gebäudesanierung?
Bürger mit einer Solaranlage auf dem Dach sollen nach jetzigen Plänen nicht an der Eigenstrom-Umlage beteiligt werden, wenn sie unter die Bagatellgrenze fallen. Man überlegt, dass ein gewisser Anteil der Umlage auch von Anbietern erneuerbarer Energien gezahlt werden soll. Sinnvoller wäre es, Unternehmen zu beteiligen, die den Industriestrom aus konventionellen Anlagen selbst erzeugen und bislang keine EEG-Kosten tragen. Hersteller von Erneuerbaren sollten dagegen keine Umlage bezahlen.
Man sollte die energetische Gebäudesanierung überhaupt viel mehr fördern – etwa durch Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau oder steuerliche Vergünstigungen. Das schafft auch Arbeitsplätze.

Wie sollte die Ökostrom-Umlage sonst ausgestaltet werden?
Die EEG-Umlage hat sich bewährt. Schon jetzt sinken die Erzeugungskosten für erneuerbare Energien. Trotzdem sollte man die Ausnahmen für energieintensive Industrien endlich auf ein vernünftiges Maß vermindern – allerdings nur für Unternehmen, die wirklich energieintensiv sind und im internationalen Wettbewerb stehen. Im Gegenzug sollte man die Umlage an Gegenmaßnahmen koppeln, wie die Verbesserung der Energieeffizienz. Außerdem muss der Börsenpreis stabilisiert werden: Würde nämlich der niedrigere Börsenpreis für die Erneuerbaren an die Verbraucher weitergegeben, könnte der Strompreis schon heute stabil bleiben, wenn nicht sogar sinken. Dazu könnte man überschüssige Stromkapazitäten aus dem Markt nehmen und den CO2-Preis deutlich erhöhen.

Es gibt aber auch Protest von der Industrie. Sie klagt über immer noch über enorme Stromkosten; viele Unternehmen würden Investitionen verschieben oder eher im Ausland tätigen, heißt es in einer Stellungnahme von acht Industrieverbänden. Hat Gabriel doch alles richtig gemacht, weil er gleich viel Kritik von beiden Seiten erhält?
Die Verbände BDI und BDEW sowie der CDU Wirtschaftsrat haben sich sehr positiv über Gabriels EEG-Reform geäußert. Tatsächlich wandern die wenigsten Firmen wegen der Stromkosten ab: Die machen durchschnittlich weniger als fünf Prozent der Gesamtkosten eines Unternehmens aus. Zudem ist der Industriestrompreis so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Diese Wehklagen und Drohungen dienen in erster Linie dazu, eigene Interessen durchzusetzen. Man will auch weiterhin von den massiven Ausnahmeregelungen profitieren.
 
Wie kann Deutschland noch das Ziel erreichen, den Anteil an Ökostrom von derzeit 25 Prozent auf 45 Prozent im Jahr 2025 zu steigern?
Ich glaube nicht, dass man dies mit den derzeit beschlossenen Maßnahmen noch wird erreichen können. Notwendig ist, dass Investoren wieder Vertrauen zurückgewinnen und nicht durch massive Vergütungssatzsenkungen oder Ausbaubremsen abgeschreckt werden. Bürger und Unternehmen sind bereit, in die Energiewende zu investieren. Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

Müsste eine Energiewende nicht eigentlich europäisch geregelt werden? Gibt es da überhaupt Fortschritte?
Es sind in der Tat europäische Regelungen notwendig. Aber hier gibt es nur Rückschritte. Die Europäische Kommission hat sich jüngst lediglich auf unverbindliche Ziele zur Minderung von Treibhausgasen festgelegt. Die Kommission überschätzt systematisch die Kosten erneuerbarer Energien. Zugleich unterschätzt sie die Kosten für Atomenergie und so genannte CO2-freie Kohlekraftwerke. Dabei bräuchten wir dringend konkrete Ausbauziele für erneuerbare Energien in Europa.
 
Frankreich zum Beispiel lacht über unsere Versuche: Ein hochrangiger Politikberater nannte die Energiewende bei Cicero Online „absurd“
Frankreichs Energiepolitik ist absurd. Wenn Frankreich auch weiterhin einen derart hohen Anteil Atomstrom aufrecht erhalten will, wird es richtig teuer. Der Neubau von AKW ist sehr kostspielig, wie man gerade in England ablesen kann: Dort will man Atomkraft über eine Umlage nach deutschem EEG-Vorbild für Atomstrom finanzieren! Schon zu Beginn soll sie 11 Cent pro Kilowattstunde betragen – und über einen Zeitraum von 35 Jahren laufen. Da sind Kosten der Sicherheit und Endlagerung nicht einmal einberechnet. Dagegen sinken die Kosten erneuerbarer Energien immer weiter.
Übrigens ist es immer richtig, auf konsequentes Energiesparen zu setzen: Das senkt die Stromkosten und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland ist mit der Energiewende auf dem richtigen Weg – wenn es nicht durch zu viel Hü und Hott kostbares Vertrauen der Investoren verspielt. Denn die Investitionen in die Energiewende schaffen wirtschaftliche Chancen, die man nutzen sollte.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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