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Energiewende - Die CDU sitzt in der Ethik-Falle

Mit äußerstem moralischen Rigorismus hat Merkels einst die Atomwende vollzogen. Seitdem gilt: Wer noch Nuklearbefürworter ist, gilt als unethisch. Doch nun droht sich die Moralkeule gegen die CDU selbst zu richten

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es bei der Energiewende nicht nur um das Abschalten aller deutschen Atomkraftwerke bis zum Jahr 2022. Sondern um viel mehr: Deutschland möchte dem Rest der Welt beweisen, dass sogar eine hochleistungsfähige Industrienation in der Lage sein kann, ihren Energiebedarf ohne sogenannten Atomstrom zu decken.

Dass es sich dabei um eine höhere Aufgabe handelt, wurde mit der Einberufung eines Gremiums deutlich, das von der Bundesregierung zur Legitimierung dieses recht ambitionierten Vorhabens gebraucht wurde: Anstatt die Veranstaltung prosaisch „Energiekommission“ zu nennen, musste es eine „Ethikkommission“ sein. Der tiefere Sinn war nicht besonders schwer zu ergründen, genauso wie das Votum der dafür sorgsam ausgewählten Fachleute – von Theologen über Philosophen bis hin zum Soziologen Ulrich Beck, einem flammenden Kernkraftgegner – von vorneherein feststand.

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Im Ergebnis gilt seither also, dass Nuklearenergie unethisch ist und mithin alle Menschen, die an ihr festhalten wollen, sich auf einer moralischen Tiefebene befinden. Wohlgemerkt: alle Menschen, nicht nur deutsche Atomkraftbefürworter. Denn die ethischen Grundsätze der Kommissionsmitglieder gelten ja nicht nur zwischen Brokdorf in Schleswig-Holstein und dem bayerischen Grundremmingen, sondern sicherlich universell. Also auch in Frankreich, den Vereinigten Staaten und mehr als 30 weiteren Nationen. Die Achse des Bösen ist aus deutscher Sicht keine Linie, sondern ein flächendeckender Teppich der Verwerflichkeit. An diesen moralischen Suprematieanspruch der Bundesregierung sollte gelegentlich erinnert werden, bevor wieder einmal von den verkorksten Details in der deutschen Energiepolitik die Rede ist.

Die Moralkeule sitzt naturgemäß immer dann besonders locker, wenn es darum geht, handfeste wirtschaftliche Privilegien zu verteidigen – das war schon so, bevor die Kanzlerin und ihr damals noch amtierender Umweltminister Norbert Röttgen diesen Schlagstock des guten Gewissens zu einer nunmehr vollumfänglich legitimierten Waffengattung geadelt haben. Dass die Keule sich plötzlich wieder gegen einen selbst wenden kann, ist eine Erfahrung, die derzeit Röttgens Nachfolger Peter Altmaier machen darf. War zwar sicherlich nicht so geplant, gehört aber zu den Risiken, wenn man sich auf diese Spielregeln einlässt. Altmaier und seine Partei, die CDU, fürchten zurecht, dass weiter steigende Strompreise „die Akzeptanz der Menschen für die Energiewende“ unterminieren, wie es immer so schön heißt, um davon abzulenken, dass selbst unmittelbar nach Fukushima keineswegs ein Großteil der Bevölkerung nichts dringender wünschte als einen Totalausstieg Deutschlands aus der Kernenergie.

Lesen Sie die Gründe für Altmaiers eiliges Herumgepfusche auf Seite 2

Diese falsche Behauptung könnte sich bei der Bundestagswahl im September endgültig als politische Irreführung erweisen: Wenn nämlich die Union für die hohen Strompreise verantwortlich gemacht wird und etliche ihrer Wähler aus Protest zuhause bleiben, anstatt ihr Kreuzchen bei der CDU zu machen. Es wird schließlich höchste Zeit, dass auch die „bürgerlichen“ Parteien endlich erfahren, was es für die eigene Stärke bedeutet, wenn man glaubt, seine Inhalte aus dem Parteiprogramm der Grünen übernehmen zu müssen. Die SPD könnte ein Lied davon singen, wenn sie nicht ständig den Songtext wieder vergessen würde.

Jetzt also sitzen ausnahmsweise Angela Merkel und ihre Gefolgsleute in einer Ethik-Falle, die sie sich auch noch selbst gestellt haben. Und hoffen, dass sie nicht zuschnappt, bevor gewählt wird. Deswegen Altmaiers eiliges Herumgepfusche an den Auswüchsen des Erneuerbare-Energien-Gestzes (EEG), die sich inzwischen unter anderem darin manifestieren, dass sinkende Strompreise an den Märkten immer höhere Energiekosten für die Verbraucher nach sich ziehen.

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Aber weil die vermeintliche Partei der sozialen Marktwirtschaft zumindest auf diesem Gebiet tatkräftig daran mitgewirkt hat, sowohl soziale wie auch marktwirtschaftliche Prinzipien zugunsten einer opaken Moralität auszuhebeln, ist ein Befreiungsschlag kaum noch möglich. Zudem sind CDU und CSU in Bayern, Thüringen, Sachsen oder Sachsen-Anhalt längst selbst viel zu tief im wuchernden EEG-Subventionsgestrüpp verfangen, um ohne Blessuren dort wieder herauszufinden.

Georg Nüßlein, der energiepolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, brachte seine Vorbehalte gegen Peter Altmaiers EEG-Reformpläne dieser Tage wunderbar selbstentlarvend auf den Punkt: Sie seien, so sagte er, „brandgefährlich“, weil dazu geeignet, „uns anzuhängen, wir stünden nicht hinter der Energiewende“. Anders gesagt: Die Union stünde als Verlierer da – nicht nur politisch, sondern vor allem moralisch. Für eine Partei, die sich zumindest formal immer noch auf den christlichen Wertekanon beruft, käme das bei Lichte besehen einem Wegfall der Existenzgrundlage gleich.

Der österreichische Soziologe Leopold Rosenmayr hat einst über die Grünen gesagt, deren Geheimnis bestehe darin, „dass sie ein Sprachsystem geschaffen haben, das es ihnen gestattet, Kritik an der Gesellschaft bruchlos zu kombinieren mit der Nutzung ihrer Privilegien“. Bei CDU und CSU besteht da offensichtlich noch ein bisschen Nachholbedarf.

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