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(picture alliance) Blogger und Autor Sascha Lobo fände es doof, wenn Leute seine Texte unerlaubt im Netz verbreiten

Sascha Lobo - „Die Angst vorm Netz ist nicht völlig unberechtigt“

Der Blogger und Internetpilot Sascha Lobo kann die Angst der Kreativindustrie vor dem Internet nachvollziehen. Im CICERO-ONLINE-Interview spricht er über die Drohungen des CDU-Politikers Ansgar Heveling, über das Urheberrecht und seinen Begriff von Transparenz

Herr Lobo, der CDU-Politiker Ansgar Heveling drohte, dass das Web 2.0 bald Geschichte sein und bis dahin „viel digitales Blut“ fließen werde. Wie viel Blut wären Sie in diesem Kampf bereit zu vergießen?
Mein Blut ist analog, nur das Herzblut enthält einen digitalen Anteil. Vergießen möchte ich davon gar nichts, vielmehr ist Herrn Hevelings Metaphorik völlig verunglückt. Ich halte den Text für ein Symptom, und zwar für ein Symptom des wachsenden Unbehagens auf Seiten der Branche, die mit Inhalten Geld verdient. Dass ein solcher Text existiert, hat wenig mit der Diskussion zu tun und viel mehr mit der Abwesenheit einer Diskussion zwischen den Parteien. Das liegt auch daran, dass auf der einen Seite eher Verbände, professionelle Lobbyisten, Politiker stehen – und auf der anderen Seite eine höchst diffuse „Netzgemeinde“, die es zwar gibt, die aber nach völlig anderen Regeln funktioniert, als zum Beispiel Herr Heveling das glaubt. [gallery:Die Piratenpartei. Ein Landgang auf Bewährung]

Zugleich schreiben Sie in einer Kolumne, dass Hervelings Prophezeiung „nicht so lächerlich ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint“. Warum?
Der US-Rechtsprofessor Tim Wu hat darauf hingewiesen, dass Informationsstrukturen – er nennt sie „Information Empires“ – bisher stets eine offene, freie, hochexpansive Phase hatten und schließlich in Mono- und Oligopole überführt wurden. Und oft war die Vermarktung der Inhalte der entscheidende Punkt, etwa beim Radio. Würde man also die Geschichte linear verlängern, was man als Gedankenexperiment vielleicht ausnahmsweise tun darf, dürfte das Internet bald so durchreguliert sein wie die meisten anderen Medienformen. Aber völlig abgesehen davon würde ich Ansgar Heveling nicht als lächerlich abtun, weil er eine Haltung aufgeschrieben hat, die wesentlich stärker verbreitet ist, als man das in einer sozialen Informationsblase aus Followern und Friends wahrnimmt. Diese Haltung gründet sich auf ein Gefühl, deshalb ist es schwer, rein faktenbasiert dagegenzuhalten.

Von welchem Gefühl sprechen Sie?
Es sieht etwa so aus: das Netz nimmt uns etwas Wesentliches weg, und die Netzleute lachen auch noch darüber und denken sich Ideologien aus, warum sie eigentlich Recht haben. Dieses Gefühl muss man meiner Meinung nach ernst nehmen, dahinter steckt eine Angst, die nicht völlig unberechtigt ist. Denn ja: es gibt Dinge, es gibt Prozesse, es gibt Geschäftsmodelle, auch in der Kultur, die untergehen werden. Und ja, davor darf man Angst haben. Man darf bloß nicht ohne Rücksicht auf Verluste alles unternehmen, um diese schwindenden Güter zu erhalten.

Was haben die Kritiker der Netzgemeinde falsch verstanden?
Viel lässt sich auf das Wort „Netzgemeinde“ zurückführen. Die gibt es, und es gibt sie doch nicht. Im Zeitalter der digitalen Beziehungen existiert eine seltsame, vorher kaum gekannte Organisationsform. Man kann zur Netzgemeinde gehören, indem man es einfach behauptet. Oder indem es andere Leute behaupten. Der Begriff „Netzgemeinde“ hat viel von der Anonymous-Bewegung, zu der man gehört, wenn man ihre Kommunikationsformen und -regeln verwendet, ganz ohne Autorisierung. Daraus ergibt sich eine Diffusität der Netzgemeinde, jede Ansprache droht zu einem Ruf in den Wald zu werden, wer warum wie antwortet, ist völlig unklar. Solche Organisationsformen existieren im Grunde genommen erst seit dem Netz. Clay Shirky hat darüber das clevere Buch „Here comes everybody“ geschrieben.

Seite 2: Lobo findet illegale Weiterverbreitung doof

Die Internet-Hardliner befürchten im Wesentlichen, dass die „Netzgemeinde“ das Urheberrecht – und damit die Idee des geistigen Eigentums – aushebeln wolle.
Nach meiner Einschätzung sind diese Leute in der Minderheit, wenn man nur die Volljährigen zählt. Ich mag die Idee des Urheberrechts sehr – es handelt sich auch um einen rechtlichen Schutzraum der Kultur gegen den reinen, unregulierten Markt – aber es bedarf dringend einer Anpassung an die digitalen Realitäten. Das alte Urheberrecht wird im Internet nur unter Verletzung des halben Grundgesetzes aufrecht zu erhalten sein. Und das geht nicht. Alternativen müssen her. Ich halte es für absolut essenziell, dass sich Kultur – wenn es der Kulturschaffende möchte – auch in verkaufbaren Produkten manifestiert. Das ist allerdings meine persönliche Einschätzung.

Sie sind selbst Autor im Internet. Fühlen Sie sich in Ihren Urheberrechten beschnitten?
Fühlen, schmühlen. Meine Bücher verkaufen sich gut. Auf Papier. Ebooks sind in Deutschland aus vielen, teilweise schmerzhaften Gründen noch nicht angekommen. Allerdings bin ich in zwei Luxuspositionen gleichzeitig: zum einen muss ich nicht zwingend von meinen Büchern leben. Zum anderen ist das Problem unerlaubter Verbreitung bei Büchern in Deutschland noch nicht so groß, weil es natürlich ein digitales Problem ist. Leute, die meinen letzten Roman „Strohfeuer“ unerlaubterweise digital weiterverteilen würden, würde ich doof finden, ohne gleich zu randalieren. Ich glaube an das Recht eines Künstlers, über einen bestimmten Zeitraum festlegen zu dürfen, zu welchen Bedingungen sein Werk verwendet und verbreitet wird.

Was machen die Piraten beim Urheberrecht aus Ihrer Sicht besser?
Sie diskutieren mit mehr Fachkenntnis darüber, in erster Linie. Es gab auf dem Parteitag in Offenbach einen modernisierten Urheberrechtsentwurf, der interessant ist. In einigen Punkten allerdings inkonsistent, wie ich finde, etwa der völligen Legalisierung von Tauschbörsen, weil diese angeblich keinerlei nachgewiesenen Effekt auf Verkaufszahlen hätten. Da kenne ich nur wenige Statistiken, die nicht auf die ein oder andere Art lobbyverschmiert sind.

Als Sie einen Werbevertrag für Vodafone unterzeichneten, wurde Ihnen vorgeworfen, sich verkauft zu haben. Gelegentlich wird auch Ihre Tätigkeit als Werbetexter und Unternehmensberater kritisiert. Nervt Sie das manchmal?
Nicht mehr. Kritik gehört im Internet dazu. Wer sich exponiert und dabei ansprechbar ist, fordert gewissermaßen zum Kommentar auf. Und da das im Netz eine Idee heftiger passiert als in der Kohlenstoffwelt, sind Vorwürfe, Beschimpfungen, Beleidigungen recht normal geworden für mich. Am Anfang war es nicht leicht zu differenzieren, was substanziell ist und was mitläuferisch passiert. Inzwischen kann ich das gut einschätzen und bin fest davon überzeugt, dass alle, die Freundliches schreiben und loben, stets selbstlos die Wahrheit sagen und alle Kritiker bloß einen schlechten Tag haben, neidisch sind oder finden, dass rein stilistisch Iro und Schnurrbart nicht zusammengehen.

Seite 3: Wie Lobo von wirren Anrufen genervt wurde

Sie haben oft gesagt, dass die Menschen sich nicht mehr in Gruppen zwängen oder vereinnahmen lassen wollen. Womit können sich da die traditionellen Parteien noch retten?
Indem sie Instrumente anbieten, die die Vereinnahmung weniger schmerzhaft erscheinen lassen, wie etwa Liquid Feedback oder ähnliche Plattformen. Die Möglichkeit eines erhöhten, digitalen Informationsflusses bedeutet auch, dass Informationen, zum Beispiel über die politischen Haltungen der Mitglieder, häufiger abgefragt und umgesetzt werden sollten.

Was heißt für Sie Transparenz?
Vollständige gesamtgesellschaftliche Transparenz, mit dem Schlagwort Post-Privacy bezeichnet, lehne ich ab. Trotzdem muss man sich damit intensiv beschäftigen, denn bestimmte private Informationen können kaum mehr geheim gehalten werden. Post-Privacy ist da nur die Flucht nach vorn. Für die Apparate zwischen Politik, Wirtschaft und Medien allerdings halte ich Transparenz für extrem wichtig. Es geht aber explizit nicht um die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses, sondern um die Umkehrung der Entscheidung, ob Informationen aus Apparaten und Administration veröffentlicht werden oder nicht: public by default, also nur dann nicht-öffentlich, wenn es einen guten Grund dafür gibt.

Für Sie ist Transparenz ja zugleich Lebens- wie Geschäftsmodell. Sie haben alle Informationen von sich ins Netz gestellt – Adresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse; sogar Ihr genauer Aufenthaltsort lässt sich dank einer Google-Maps-Applikation minütlich verfolgen. Haben Sie damit schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht?
Transparenz ist für mich keinesfalls Lebens- wie Geschäftsmodell. Das erscheint Ihnen bloß so, weil ich zwei oder drei Informationskomplexe sehr bewusst veröffentliche, bei denen das eher unüblich ist. Viele andere persönliche Informationen veröffentliche ich nicht und halte das auch für den einzig gangbaren Weg. Tatsächlich gewähre ich der interessierten Öffentlichkeit wesentlich einfachere Ansprachemöglichkeiten als die meisten anderen, irgendwie medial bekannten Personen. Nur, dass ich diese Ansprachekanäle feinjustieren kann, zum Beispiel, indem ich nicht ans Handy gehe, das dann vibrations- und lautlos in meiner Jackentasche blinkt.

Und das wurde nie missbraucht?
Doch, eine Zeit lang fanden es ein paar Leute irre komisch, mich mit wirren Anrufen anzugehen. Das hörte auf, als sie bemerkten, dass ich das auch irre komisch fand. Man lernt viel über die Leute, die Störkommunikation betreiben, wie sie denken, was sie tun und warum. Der Hobbysoziologie in mir hat da umfangreiche Studien begonnen. Und weil ich in der Lage bin, die Erkenntnisse daraus zu verkaufen für beglückend viel Geld, haben alle was davon.

Herr Lobo, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge schriftlich

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