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(picture alliance) Dietmar Bartsch hat seine Kandidatur für den Parteivorsitz der Linken angekündigt

Dietmar Bartsch - Der Herausforderer

Ein Reformer als Vorsitzender der Linkspartei? Das täte dieser vielleicht gut. Doch der Graben zwischen dem gelassenen Ostdeutschen Bartsch und dem bissigen Westler Lafontaine trennt noch immer die gesamte Partei entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze

Gezielte Intrige, Schmierentheater – oder doch ein etwas verunglückter Scherz auf Kosten des Prekariats? Jedenfalls fand das Gerücht schnell seinen Weg in die Redaktion der Jungen Welt. Die marxistische Tageszeitung, ehemaliges Zentralorgan der FDJ und bis heute rührender Erinnerung an die gute alte DDR verpflichtet, griff denn auch gleich beherzt zu und kürte Dietmar Bartsch zum „Sarrazin des Tages“. Was war geschehen? Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag soll bei einer Diskussionsveranstaltung gesagt haben, weil in Zeiten schlechter Wahlergebnisse die Mandate knapper seien, würden sich die Abgeordneten seiner Partei „um die Posten streiten wie die Hartz-Vierer um den Alkohol“. Das kommt im Juste Milieu der antikapitalistischen Klassenkämpfer ungefähr so gut an, als würde Horst Seehofer auf dem Sudetentag Witze über Heimatvertriebene reißen. Also eher Skandalstufe Rot.

Allerdings hatte Dietmar Bartsch wenige Tage zuvor etwas getan, das die orthodoxe Linke sogar noch etwas höher auf die Palme getrieben haben dürfte: Am 30. November des vergangenen Jahres verkündete er im Grünen Salon der Berliner Volksbühne seine Kandidatur für den Vorsitz der Linkspartei. Ein Reformer als Chef, der auch noch von sich behauptet, sein Verhältnis zur SPD sei durchaus pragmatischer Natur? Das geht nun aber wirklich zu weit! In den einschlägigen Blogs des linken Parteiflügels schäumten die Kommentatoren über vor Entrüstung; Diffamierungen sogar von Kollegen aus der eigenen Bundestagsfraktion sind bis heute dort nachzulesen. Insofern ist es vielleicht kein Wunder, dass Dietmar Bartsch einen Zusammenhang sieht zwischen seiner Ankündigung, als Kandidat ins Rennen zu gehen, und dem in Umlauf gebrachten Satz von wegen Hartz-Vierer und Alkohol. Er selbst sagt zu dem angeblichen Zitat, es stamme nicht von ihm und entspreche auch gar nicht seinem Sprachgebrauch.

Wenn eine Partei in der Krise ist, liegen die Nerven der Funktionäre blank. Das ist bei der FDP nicht anders als bei der Linken, wobei Letztere allenfalls noch davon profitiert, dass die dramatischen Zustände bei den Liberalen fast die gesamte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit absorbieren. Fakt ist: Die Linkspartei leidet unter einem anhaltenden Mitgliederschwund, sie dümpelt in Umfragen bei etwa 7 Prozent (und damit 5 Prozentpunkte unter dem Ergebnis der zurückliegenden Bundestagswahl), noch dazu ging in Berlin nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus die Regierungsbeteiligung verloren. Als Opposition wirkt sie kraft- und ideenlos, was nicht zuletzt am blassen Proporz-Führungsduo Gesine Lötzsch (Frau, Ost) und Klaus Ernst (Mann, West) liegt.

„Der Erfolg einer Partei kommt nicht allein durch Wahlkundgebungen und Talkshowauftritte zustande, sondern hängt von mehr ab. Unter anderem davon, Themen zu setzen, diese konsequent zu bearbeiten und damit Menschen zu begeistern.“ Mit diesen wenig schmeichelhaften Worten analysiert Bartsch die aktuelle Misere – und leitet daraus seinen eigenen Führungsanspruch ab. Linken-Klassiker wie die Forderung nach einem Mindestlohn oder die Kritik am Afghanistaneinsatz haben sich inzwischen sogar schon Teile des bürgerlichen Lagers zu eigen gemacht, also müsste eigentlich dringend inhaltliches Neuland beackert werden. Doch da erkennt Bartsch bei seinen Parteivorsitzenden wenig Ehrgeiz und Ambitionen: „Heute gibt es für die breite Öffentlichkeit sichtbar keine neu erschlossenen Themen.“ Er selbst hätte da wohl einiges mehr zu bieten.

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Schon während der Pressekonferenz zur Bekanntgabe seiner Kandidatur brannte Bartsch ein kleines Feuerwerk an Ideen ab, wofür sich die Linkspartei künftig starkmachen solle: Stromkonzerne zurück in die öffentliche Hand etwa, aber auch ein Verbot von Parteispenden durch Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Und, in eigener Sache, mehr Beteiligung der Mitglieder bei wichtigen Fragen innerhalb der Partei. Wozu durchaus auch Personalentscheidungen zu zählen seien. Der Versuch, sich selbst qua Mitgliederbefragung in eine Poleposition für die Wahl der Parteivorsitzenden Anfang Juni in Göttingen zu bringen, muss jedoch als gescheitert betrachtet werden: Ein Gutachten des Parteienrechtlers Martin Morlok kam mittlerweile zu dem Ergebnis, dass in dieser Frage nicht die Mitglieder, sondern einzig und allein die Parteitagsdelegierten das Sagen hätten. Für Bartsch, der als Wunschkandidat der ostdeutschen Basis gilt, war das ein herber Rückschlag. Er will sich in Göttingen dennoch als Kandidat präsentieren. Und sei es nur, um der Auskungelei eines neuen Führungsgespanns im kleinen Kreis um Gregor Gysi und Oskar Lafontaine diesmal etwas entgegenzusetzen (nämlich sich selbst).

Denn die Kombination Ernst/Lötzsch wurde vor zwei Jahren vor dem Rostocker Parteitag in genau solch einem „gewissen Kreis“, wie Gysi es auszudrücken pflegt, ersonnen – gewiss kein glänzendes Erfolgskonzept. „Gregor Gysis Modell von ,gewissen Kreisen‘ ist gescheitert“, lautet denn auch Bartschs Kampfansage an seinen langjährigen politischen Weggefährten und Freund aus alten Tagen. Doch die innige Beziehung zwischen den beiden endete im Januar 2010 einigermaßen abrupt, als Gysi dem damals 51-Jährigen vorwarf, Gerüchte um eine Liaison zwischen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht an die Presse lanciert zu haben. Illoyal sei Dietmar Bartsch gewesen, donnerte Gysi während einer Fraktionsklausur der Bundestags-Linken im Berliner Congress Center – und zwar nicht hinter verschlossenen Türen, sondern vor rund 800 Zuhörern. Dem Gescholtenen blieb kaum etwas anderes übrig, als wenig später sein Amt als Bundesgeschäftsführer aufzugeben, in dem er sich mit unbestrittenem Organisationstalent viele Jahre bewährt hatte. Die unerwartete Attacke Gysis nagt bis heute an ihm; „diese Vorwürfe waren und sind völlig absurd“. Politisch stünde man sich zwar „weiterhin ziemlich nahe“, sagt Bartsch über das gestörte Verhältnis, fügt allerdings hinzu: „Ich kenne Gysis Beweggründe bis heute nicht.“

Dass Oskar Lafontaine selbst es war, der Gysi zu dessen Zornesausbruch angespitzt haben könnte, ist nicht ganz unplausibel; Dietmar Bartsch und der ehemalige SPD-Chef galten noch nie als ein Herz und eine Seele. „Mein durchaus vorhandenes Selbstbewusstsein ist nichts, was ihn zutiefst begeistert“, sagt der gebürtige Stralsunder über den machtbewussten Saarländer, der mit Sahra Wagenknecht inzwischen ganz offiziell mehr als nur befreundet ist. Bei aller Rivalität klingt es aber ehrlich, wenn Bartsch Lafontaine als einen „klugen Mann“ beschreibt, der „gesellschaftliche Situationen präzise analysieren und erfolgreiche Strategien dazu entwickeln“ könne. Im Übrigen sei das Klima zwischen den beiden „besser, als es in den Medien dargestellt wird“.

Was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich zwischen dem bissigen West-Linken und dem gelassen wirkenden Ostdeutschen ein tiefer kultureller Graben auftut, der letztlich auch fünf Jahre nach der Fusion von PDS und WASG die gesamte Partei entlang der einstigen deutsch-deutschen Grenze trennt. Während sich auf der einen Seite die meisten Wähler über ihre Sozialisierung in der DDR definieren, arbeitet sich ein Großteil der Klientel in den alten Ländern verdrossen an der SPD ab. Gesamtdeutsche Machtoptionen erwachsen daraus naturgemäß nicht. „Meines Erachtens hätte nach der letzten Bundestagswahl Schwarz-Gelb zum Hauptgegner gemacht werden und eine Perspektive eröffnet werden müssen, diese Regierung abzulösen“, räsonniert Bartsch. Vertane Chance, zumindest für 2013. Für die Zeit danach sieht es nicht besser aus, denn zumindest im Osten sterben der Linkspartei schlicht die Mitglieder weg; Forsa-Demoskop Manfred Güllner rechnet damit, dass die Linke während der nächsten Legislaturperiode zum letzten Mal im Bundestag vertreten sein wird – egal, wer im Juni den Vorsitz übernimmt.

„Jetzt muss die Partei stabilisiert und dafür gesorgt werden, dass sie wieder klarer als eigenständige Kraft zur Kenntnis genommen wird“, sagt Bartsch. Das klingt nach einer echten Herausforderung.

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