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Bundestag debattiert Sterbehilfe - Wie wollen wir sterben?

Kolumne: Leicht gesagt. Wer darf helfen, wenn das Sterben nicht zur Qual werden soll? Ein Regelwerk dazu fehlt derzeit in Deutschland – noch. Die Politik diskutiert nun ein Gesetz, das die letzten Dinge klären soll

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Bei der Sterbehilfe sagt es sich nicht leicht: Sein Wille geschehe. Wessen Wille? Der des Menschen, der nicht mehr will und nicht mehr kann? Der des Arztes oder des Angehörigen, der ihm helfen könnte, den allerletzten Schritt zu gehen? Oder der einer höchsten Macht, die über Leben und Tod entscheidet?

Es sind Fragen, die an die letzten Dinge rühren. Es geht um Ethik, Werte und damit um das Gewissen des einzelnen Menschen, womit sich der Bundestag in diesem Sommer befassen wird. Vor allem geht es um Leben und Tod. Rechtlich soll geregelt werden, inwiefern todkranken Menschen, die sterben wollen, bei der Selbsttötung geholfen werden darf. Die Bundestagsabgeordneten entscheiden darüber frei von ihrer Fraktionsführung.

Gesetz gegen Graubereich
 

Ein Gesetzesentwurf liegt bereits vor, dem große Chancen eingeräumt werden. Denn ihn hat die größte überfraktionelle Gruppe des Bundestages formuliert und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat ihn bereits als Erster unterzeichnet. Man will mit diesem Gesetzentwurf alles, was heute möglich ist, erhalten, sagt einer der Wortführerinnen in dieser Frage, Kerstin Griese von der SPD: „Wir wollen, dass der ärztliche Freiraum erhalten bleibt, das alles das, was möglich ist an indirekter Sterbehilfe, an passiver Sterbehilfe bis hin zu palliativer Sedierung, erhalten bleibt. “

Doch so ganz stimmt das nicht. Denn wozu sollte dann etwas geregelt werden, was geregelt scheint? Gesetzliche Regelungen stoßen immer auch an Grenzen – so auch in diesem Fall. Die große Freiheit, die Juristen Graubereich nennen, wird es bei der Sterbehilfe nicht mehr geben in Deutschland.

Bisher eindeutig verboten ist bei uns nur die „Tötung auf Verlangen“. Im Strafgesetzbuch stellt der Paragraf 216 unter Strafe, wenn jemand durch das vorherige „ausdrückliche und ernstliche Verlangen“ des Sterbenden bestimmt wurde und den Tod herbeiführt. Erschießen oder eine tödliche Spritze geben auf Wunsch ist und bleibt Tötung.

Hilfe zum Selbstmord soll straffrei bleiben
 

Anders jedoch ist es bei der Beihilfe zum Suizid. Die Hilfe zum Selbstmord ist in Deutschland straffrei wie der Selbstmord es auch ist. Anders als bei dem Strafdelikt „Tötung auf Verlangen“ geht hier derjenige, der sein Leben beenden will, den allerletzten Schritt selbst. Er hat sich vielleicht tödliche Medikamente besorgen, das Giftgetränk reichen oder die Waffe ansetzen lassen. Doch er trinkt selbst oder löst den Schuss mit eigener Hand aus. Der Helfer kann da nicht belangt werden. Und sofern ein Angehöriger der Suizid-Helfer ist, soll nach dem Gesetzentwurf auch künftig die Straffreiheit erhalten bleiben. Denn das seien seltene Ausnahmen und vor allem Einzelfälle.

Komplizierter ist die Lage für Ärzte – und hier beginnt die Differenz zwischen den Bundestagsabgeordneten. Der ärztlich assistierte Suizid ist nach geltendem Recht bislang nur eine Form der Beihilfe. So soll es im Kern auch bleiben, sagen die Autoren des Gesetzentwurfs. Ihr Gesetzesvorschlag, auch genannter Gruppenentwurf, sieht aber die „Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ vor. Konkret soll es im Strafgesetzbuch künftig in Paragraf 217 heißen: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.“ 

Ärzte müssen geschützt werden
 

Damit soll natürlich vor allem ausgeschlossen werden, dass es die Möglichkeit geben könnte, Geschäfte mit der Sterbehilfe in Deutschland zu machen. Doch es ist gut möglich, dass Ärzte wiederholt handeln, weil sie mehrere Patienten haben, die ihre Beihilfe einfordern. Wäre das nun eine Form von Geschäft? Machte sich ein Arzt, der gerade deshalb von vielen Todkranken aufgesucht wird und seine ärztliche Beratung natürlich bezahlt bekäme, dann strafbar?

Hier müssten Ärzte geschützt werden, und zwar noch besser als bisher, verlangt eine zweite Gruppe im Bundestag. Denn bisher gebe es im Berufsrecht der Ärzte Regelungen, die Beilhilfe beim Suizid untersage. Was strafrechtlich für Ärzte folgenlos bliebe, könnte sie aber im Zweifel die Approbation kosten. Jedenfalls nach der Berufsordnung der Bundesärztekammer, die allerdings durch die in diesem Punkt liberaleren Vorgaben der Landesärztekammern ausgehebelt wird. In allem also ein rechtlicher Graubereich, den das nun vorgeschlagene Gesetz nicht ausleuchte.

Hintze und Lauterbach fordern absolute Straffreiheit
 

Das aber fordern Abgeordnete um den Gesundheitspolitiker und Arzt Karl Lauterbach sowie den Bundestagsvizepräsidenten und Theologen Peter Hintze. Hintze sagte dem ZDF, dass man über diesen Punkt zusammen kommen könne: „Eine Kompromissmöglichkeit sehe ich nur dann, wenn der Gruppenantrag deutlich erweitert wird. Und zwar, wenn Raum für die Gewissensentscheidung der Ärzte geschaffen wird und absolute Straffreiheit in einer solchen kritischen Grenzsituation für Ärzte auch hier deutlich formuliert wird.“

Weit weniger Freiheit für Ärzte verlangt hingegen eine dritte Gruppe. Sie werden von den anderen als Fundamentalisten bezeichnet, was insofern zutrifft, weil sie in dieser ethischen Frage ihr Fundament der Glaube an Gott ist, in dessen Entscheidung über Leben und Tod sich kein Mensch einzumischen habe: „Wir wollen die Suizid-Assistenz verbieten, weil wir eine Begleitung bis in den Tod wünschen durch gute Palliativmedizin, aber nicht eine Beförderung in den Tod“, sagte der CDU-Politiker Patrick Sensburg dem ZDF. Die Gruppe um ihn ist die kleinste.

Die Mehrheit der Bevölkerung wiederum glaubt die vierte Gruppe zu vertreten. Federführend ist hier die Grünen-Abgeordnete und Juristin Renat Künast. Sie und ihre Mitstreiter fordern möglichst keine Gesetzesschranken bei der Sterbehilfe. Nur Vereine und Organisationen sollten überwacht werden, damit Euthanasie nicht möglich wäre.

Der Bundestag debattiert über alle Vorschläge Anfang Juli. Im Vorfeld verlief die Diskussion vorbildlich und weitgehend frei von gegenseitigen Angriffen. Jede Gruppe hat kluge und ethisch begründbare Argumente. Bis Ende des Jahres will das Parlament ein Gesetz zur Sterbehilfe verabschiedet haben – was Not tut in einer alternden Gesellschaft, in der die Frage nach dem Recht auf würdiges Sterben immer drängender wird.

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