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(picture alliance/Fotomontage: CICERO ONLINE) Stramm stehen für die Bürgerkönigin: 2012 wird das Jahr der Kanzlerin

2012 beherrscht Merkel die Koalition - Bürgerkönigin Angela I.

2012 wird Kanzlerin Angela Merkel noch mächtiger. Nicht nur ihre Partei steht hinter ihr, auch in Europa ist sie die unangefochtene Krisenmanagerin. Sogar von der Schwäche der FDP wird sie punkten können

Eigentlich hat Angela Merkel gar nichts Royales an sich. Die mächtigste Frau der Welt pflegt keine gehobene Sprache, trägt keine aufwendigen Designkleider – und reist auch nicht mit Louis-Vuitton-Koffern umher, wie die Bild kürzlich anmerkte. „Wir haben eine spröde Kanzlerin, die nicht mit Milliardären tanzt“, schrieb Kolumnist Franz Josef-Wagner und erklärte: „Ich mag, wie Sie leben, bescheiden.“ Und dann war da noch Joachim Löw, der in der ARD-Sportschau verkündete: Merkel sei der Mensch des Jahres 2011, da sie „unglaublich viele Aufgaben zu bewältigen hatte und mit einer unglaublichen Energie vorangeht, um Europa zu retten“ Löw bewundere, mit welcher Kraft und Energie sie das mache.

Es sind warme Worte für eine Frau, die das gemeine Volk 2011 als eine der ihren sah. Vieles deutet darauf hin, dass sich dieser Trend im Jahr 2012 fortsetzen wird. Merkel bleibt beliebt, aber vor allem: Sie wird mächtiger. Wenn die Fürsten aus Sport und Medien, der Fußball-Bundestrainer und die größte Zeitung Europas, zugleich Stimmen der Kleinen und Regierten, Merkel derart loben (um, wie im Fall der Bild, zugleich umso derber auf den Bundespräsidenten und seine Kredit-Affäre dreinschlagen zu dürfen), dann lässt dies nur ahnen, welche Handlungsspielräume sich nun für sie eröffnen. Während im Mittelalter noch die Kirche der Königsmacher war, ist es heute die Allianz aus Breitensport und Massenpresse. Und so wird das Jahr 2012, im chinesischen Kalender das Jahr des Drachens, in Deutschland im Zeichen der Bürgerkönigin Angela I. stehen.

Andererseits: Wäre angesichts der derzeitigen Partei- und Staatsaffären nicht das Gegenteil zu befürchten, ein totaler Machtverlust für Merkel? Wohl kaum. Denn bislang hat keine der Krisen ernsthaft Merkels Glanz befleckt.

Wie es sich für eine gute Regentin gehört, blieb sie auch zum Ende dieses Jahres ihrem Credo – strikte Loyalität zu den Vasallen – treu (eine Haltung, die ihr in der Guttenberg-Affäre bereits viel Ärger bescherte). Das gilt auch für Christian Wulff, zwar kein Vasall, aber doch ein von Angelas Gnaden Erwählter, dem sie „vollstes Vertrauen“ schenkte. Zwar machten ihr das viele zum Vorwurf, doch mit ihrer Liebespredigt hat die Bild den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen den beiden Staatsoberen hervorgehoben. Die unbefleckte Einfachheit der Kanzlerin strahlt vor diesem Hintergrund nur umso glanzvoller.

Und wie Intrigen bei Hofe selten den Gebieter stürzten, so vermochten es auch die Rebellen in der eigenen Partei nicht, Merkels Stellung zu untergraben. Zwar gab es viel Ach und Weh ob der historischen Niederlage der CDU in Baden-Württemberg. Doch diese Krise saß Merkel, mit dem Hinweis auf Stuttgart 21 und die Atomkatastrophe in Fukushima, auf ihrem Thron gemütlich aus.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum die Krise der FDP für Merkel kein Problem ist.

Was gab es da auch für Zweifel und Widerstände gegen ihren Euro-Kurs, gegen ihr spätes Ja zu Griechenlandhilfen und zum Rettungsfonds EFSF. Doch Merkel schreckte nicht davor zurück, ihre Parteigenossen mit einer Mischung aus Drohung (vor der Isolation in Europa und – schlimmer gar – dem Bruch der Koalition) und Zucht hinter sich zu bringen. Wenn nötig, schickte sie auch mal ihren Folterknecht Roland Pofalla vor, der die Angelegenheit auf seine eigene Art („Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“) zu regeln wusste. Spätestens beim Leipziger Parteitag im November konnte Merkel die Geschlossenheit in ihren Reihen demonstrieren.

Macht bemisst sich aber nicht nur an der Beliebtheit in der eigenen Gefolgschaft, sondern auch an der Bewilligung von außen. In der Eurokrise gilt Merkel als unangefochtene Krisenmanagerin – schaffte sie es doch mit ihrem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy, außer Großbritannien alle EU-Staaten zu weiteren Integrationsschritten zu bewegen. Viele Europäer wünschen sich sogar, dass Merkel ihre Führungsrolle weniger zaghaft ausfülle als bisher; sogar der polnische Regierungschef Donald Tusk unterstützte die deutsche Europapolitik jüngst öffentlich.

Sollte Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2012 abgewählt werden – wofür vieles spricht, zumal sein sozialistischer Herausforderer François Hollande ihn in den jüngsten Umfragen überholt hat – wird aus der gut eingespielten deutsch-französischen Doppelspitze in Europa erst einmal eine deutsche Alleinherrschaft. Ganz oben: Angela Merkel.

Auch das Gezänk des Koalitionspartners FDP focht die Herrscherin in diesem Jahr nicht wesentlich an. Was war es auch ein Katastrophenjahr für die Liberalen: Zu Jahresbeginn lag die Partei am Boden, im Frühling putschten Philipp Rösler und seine liberale „Boygroup“ die Führungsriege um Guido Westerwelle weg, bis zum Herbst flog die FDP aus vier Landtagen, im Stammland Baden-Württemberg aus der Koalition, und verfehlte zum fünften Mal in Folge den Einzug ins Abgeordnetenhaus in Berlin. Die Rebellengruppe um Frank Schäffler torpedierte Merkels Eurokurs und erzwang einen Mitgliederentscheid, kurz vor Weihnachten verabschiedete sich Generalsekretär Christian Lindner (http://www.cicero.de/berliner-republik/generalsekretaer-christian-lindne...). Übrig geblieben ist eine Partei, die im Merkelschen Machtgefüge nicht einmal mehr zur Hofschranze taugt. Sie ist in ein enges Regierungskorsett gezwängt und droht in jedem Augenblick in Ohnmacht zu fallen.

Auch, wenn Parteichef Rösler der FDP zum Dreikönigstreffen in Stuttgart noch etwas Atem einzuhauchen vermag, erwartet sich Politikwissenschaftler Hajo Funke vom kommenden Jahr nicht mehr sehr viel: „Es ist die Frage, ob die FDP nach den kommenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein diesen Zwang zum Pragmatismus noch länger aushält.“

Sollte diese Frage mit „nein“ zu beantworten sein, sieht Funke drei Szenarien für die Entwicklung der Koalition. Erstens, ihr Platzen: „Aufgrund der anhaltenden ökonomischen und finanziellen Krisen würde Merkel dann erneut eine große Koalition versuchen“, sagt der Experte der Berliner Freien Universität. Mit einer SPD, die Merkels Eurokurs bislang stets stützte, und mit dem Linksruck, den Merkel ihrer Christdemokratie in den vergangenen Monaten verpasst hat, haben sich beide Parteien längst auf das Denkbare vorbereitet.

Lesen Sie auf der dritten Seite, was Merkels Macht tatsächlich gefährden könnte.

Das zweite Szenario ist das einzige, das Merkel tatsächlich zur Gefahr werden könnte: Neuwahlen. Die aber hält Funke für nicht sehr wahrscheinlich. Denn Neuwahlen würden nicht nur der Union schaden, sondern die Liberalen regelrecht hinwegfegen – und möglicherweise sogar deren erneuten Einzug in den Bundestag gefährden. Das würde kein Abgeordneter, weder von Union noch FDP, wollen.

Also sieht alles danach aus, dass der Koalitionspartner der Regentin weiterhin die Treue schwören wird. Er wird hoffen, sich damit bis ins Wahljahr 2013 retten zu können. Doch die erzwungene Treue – viel mehr noch: der Kadavergehorsam – könnte der FDP bald komplett das Genick brechen.

Denn schon in diesem Jahr hat Merkel der Koalition ihren Stempel aufgesetzt. Sie hat gegen den Widerstand der Liberalen die Aussetzung der Wehrpflicht, den Atomausstieg und den Mindestlohn durchgedrückt. Sogar beim einzig wichtigen Zugeständnis an die FDP, einer Mini-Steuersenkung ab Januar 2013, konnte Merkel den Liberalen noch das knirschende Einverständnis beim Betreuungsgeld abtrotzen. Jedoch: Das Steuer-Reförmchen – eine zweistufige Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen –, das im Portemonnaie kaum spürbar sein wird, rechnete der Wähler der FDP nicht als Erfolg an. Eher warf er den Liberalen vor, den Haushalt mitten in der Schuldenkrise mit weiteren rund sechs Milliarden Euro jährlich zu belasten.

Deren klamme Zwangslage wird es Angela I. ermöglichen, im kommenden Jahr so richtig durchzuregieren. Tatsächlich hat sie bei den zentralen Streitthemen das Zepter in der Hand: Bei der Vorratsdatenspeicherung, die die FDP entschieden ablehnt, hat die SPD bereits Zustimmung signalisiert, so dass Merkel das Gesetz mit schwarz-roter Mehrheit durch den Bundestag bringen kann. Die von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen geplante Bekämpfung der Altersarmut könnte mit den Stimmen der Opposition umgesetzt werden. Auch beim Streitthema Eurobonds, die die FDP strikt ablehnt, könnte Merkel siegen: Presseberichten zufolge arbeitete sie zuletzt bereits an einem Plan B für „Elitebonds“ mit fünf besonders kreditwürdigen Ländern.

An ihrem Kurs in der Eurokrise wird sich, so schätzt Funke, auch zeigen, ob die Wähler Merkel noch lange gewogen sind. 2012 soll sich die Konjunktur nach Schätzungen vieler Wirtschaftsinstitute deutlich abkühlen. Die Rezession, die derzeit in vielen europäischen Ländern grassiert, droht auch Deutschland zu erfassen.

Eine Warnung sollte daher der einzige Regent sein, der tatsächlich als „Bürgerkönig“ in die Geschichte einging: Louis-Philippe I., der während der französischen Februarrevolution 1848 abgesetzt wurde. Das Volk wollte die sozialen Nöte, die die rasche Industrialisierung mit sich brachte, nicht mehr ertragen.

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