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Nordkorea - Atommacht auf gefühlter Augenhöhe

Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un will mit der gezielten Eskalation nicht nur innenpolitisch seine Macht absichern. Nach außen hin hofft er, den Preis für eine Konfliktbeilegung nach oben zu treiben. Er könnte sich verkalkulieren

Autoreninfo

Hanns Günther Hilpert ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Von der Demokratischen Volksrepublik Korea ist die Welt einiges an Provokation und Kriegsrhetorik gewöhnt. Aber selbst an den martialischen Maßstäben Nordkoreas gemessen, hat die Aggressivität der Verlautbarungen der letzten Wochen gänzlich neue Dimensionen erreicht.

Kim Jong Un, der selbst ernannte „Oberste Führer“ des Landes, drohte den USA mit einem Atomschlag, erklärte Südkorea den Kriegszustand, kündigte an, die Wiederaufbereitung von Plutonium in Yongbyon wieder aufzunehmen, sperrte den Zugang zu der Sonderwirtschaftszone Kaesong und kappte damit die letzte Verbindung zwischen dem Norden und Süden der Halbinsel. Allen in Pjöngjang stationierten ausländischen Botschaften wurde die Evakuierung nahegelegt, da man für ihre Sicherheit nicht mehr garantieren könne. Derzeit wird spekuliert, dass zum 15. April 2013 – in Gedenken an den 101. Geburtstag von Kim Il Sung, nordkoreanischer Staatsgründer und Präsident auf Ewigkeit – ein weiterer Raketenstart oder gar ein vierter Nukleartest absolviert wird. Beides wäre ein erneuter Verstoß gegen die UN-Resolution 1874.

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Zwar mag die Drohung, Amerika mit Nuklearraketen anzugreifen, ein leerer Bluff sein. Denn Nordkorea hat nicht die Fähigkeit, einen raketenfähigen Atomsprengkopf zu bauen. Auch verfügt die im Dezember 2012 erfolgreich getestete Unha-3-Rakete weder über die Reichweite, das amerikanische Festland zu erreichen (nur 6000-10.000 km), noch über die nötige Nutzlastfähigkeit (nur 100 kg) oder den für den Wiedereintritt in den Orbit notwendigen Hitzeschild. Vor allem aber sollte man Nordkorea nicht selbstmörderische Absichten unterstellen: Der Einsatz von Atomwaffen oder auch die Entfesselung eines konventionellen Angriffskrieges auf der koreanischen Halbinsel hätte zwangsläufig das Ende des Kim-Regimes zur Folge.

Gleichwohl wäre es grob fahrlässig, würde man Pjöngjangs Drohungen nicht ernst nehmen. Erstens kann infolge von Fehleinschätzungen aus verbaler Eskalation unverhofft ein ungewollter Krieg zwischen den sich zutiefst misstrauenden Kontrahenten entstehen. Zweitens hat Nordkorea schon des Öfteren seine Bereitschaft und seine Fähigkeit zu Akten militärischer Aggression unter Beweis gestellt, auch wenn dies immer überraschend erfolgte und dem nicht eine vorherige Ankündigung voranging.

Die sich hier abspielenden bizarr-beunruhigenden Ereignisse werfen die grundsätzliche Frage nach den sicherheitspolitischen Motiven Nordkoreas auf. Offensichtlich reagiert Kim Jong Un mit seiner Eskalationsstrategie auf Herausforderungen sowohl von innen als auch von außen.

Seite 2: Kim Jong Un könnte sogar einen Reformprozess starten

In den ersten 15 Monaten seiner Herrschaft hat Kim Jong Un alle entscheidenden Machtpositionen in Partei und Militär übernommen und dabei praktisch die gesamte militärische Führungsriege ausgewechselt. Nach innen hat er die polizeiliche Repression und Kontrolle verstärkt. Während das Militär an Einfluss verlor, rückte die Koreanische Arbeiterpartei als Basis der Macht und der Legitimation von Kim Jong Un wieder stärker in den Vordergrund. Mehrmals deklarierte Kim öffentlich, die Lebensumstände der Bevölkerung verbessern zu wollen. Neben ersten Reformmaßnahmen in Unternehmen und Landwirtschaft wurden lukrative Industrie- und Bergbauprojekte dem Militärapparat entzogen und dem Kabinett unterstellt.

All diese Veränderungen erzeugen natürlich Friktionen und Widerstände. Man kann daher spekulieren, dass Nordkoreas aktuelle außenpolitische Konfrontation mit den USA und Südkorea verschiedene innenpolitische Zwecke verfolgt. Kim Jong Un will den eigenen absoluten Machtanspruch im System und gegenüber dem Militär durchsetzen, er will die härtere Gangart der Sicherheitskräfte legitimieren und möglicherweise will er einen Reformprozess starten. Für die letzte Vermutung spricht, dass mit Pak Pong Ju jetzt ein ausgesprochener Wirtschaftsreformer Ministerpräsident ist.

Die gegenwärtige Kriegsrhetorik Pjöngjangs ist aber weit mehr als ein innenpolitisches Manöver zur Konsolidierung der Herrschaft von Kim Jong Un. In der Sichtweise Pjöngjangs sind es zwei Ereignisse, die den Anlass für das gegenwärtige Handeln bilden. Erstens werden die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen (wegen Raketenstart und Nukleartest) als Angriff auf die eigene Souveränität interpretiert. Zweitens fühlt man sich von dem laufenden Frühjahrsmanöver „Foal Eagle“ der südkoreanischen und amerikanischen Streitkräfte aktiv bedroht. Die aus diesen Herausforderungen abgeleitete schrille Kriegsrhetorik instrumentalisiert das Regime für ihre eigenen außenpolitischen Ziele und Taktiken.

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Das strategische Muster hierfür ist in Südkorea und Amerika aus früheren Krisen nur allzu gut bekannt: Nordkorea inszeniert vorsätzlich eine Sicherheitskrise, treibt die Eskalation auf die Spitze und ermüdet die Gegenseite durch immer neue Beschuldigungen und Bedrohungen. Nordkoreas seit 1994 gewonnene Erfahrung ist, dass am Ende jeden Konflikts doch in irgendeiner Form ein Preis entrichtet wird. Die von den USA, Südkorea und China ausgesprochenen Sicherheitsgarantien, die Transfers von Energie, von Nahrungsmitteln und Wirtschaftshilfen oder allein schon die direkte Verhandlung mit den USA, durch die man sich aufgewertet sieht, trugen zur Stabilisierung von System und Herrschaft bei.

Da sich die Welt an Sicherheitskrisen mit Nordkorea gewöhnt hat, muss allerdings jedes Mal die Eskalationsschraube eine Windung höher gedreht werden. Dieser Gewöhnungseffekt ist jedoch nicht der entscheidende Grund für die außergewöhnliche Aggressivität Pjöngjangs im aktuellen Konflikt. Neu sind dieses Mal vielmehr zwei andere Dinge.

Seite 3: Nordkoreas bissige Lektionen aus Libyen und Irak

Erstens ist der jugendliche Kim Jong Un in der internationalen Politik ein neuer unerprobter Akteur, über dessen Risikoneigung und dessen Fähigkeit zu vernunftgeleiteten Handeln nichts wirklich bekannt ist. Die Gefahr, dass Kim Jong Un sich verkalkulieren könnte, ist daher nicht unbegründet.

Zweitens verfügt Nordkorea mit der A-Bombe bereits über sein Objekt der Begierde und es scheint zu einem freiwilligen Verzicht nicht bereit zu sein. Das Schicksal von Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein hat aus nordkoreanischer Sicht deutlich gemacht, was mit den Regimen passiert, die ihre Atomwaffenprogramme aufgeben. Anders als Iran, Irak und Libyen betrachtet sich Nordkorea im Verhältnis zu den USA als ein quasi gleichwertiger Akteur, dem durch die Bombe erhebliche Macht zugewachsen ist. Aus der Sicht Nordkoreas könnte die gegenwärtige Krise eine gute Gelegenheit sein, die gewachsene Macht zur Sicherung von Herrschaft und Regime einzusetzen.

Nachdem Nordkorea bereits 2010 mit zwei konventionellen Angriffen das Waffenstillstandsabkommen von 1953 in präzedenzloser Weiser verletzt hatte, sieht es sich im Jahre 2013 nach eigenen Worten nicht mehr an dieses Abkommen gebunden. Aus dieser Perspektive kann der logisch folgende Schritt zur Bereinigung des Konflikts nur eine Neuverhandlung eben dieses Waffenstillstandsabkommen sein und darauf aufbauend ein Friedensschluss mit den USA und Südkorea. Die Verhandlungen würde Nordkorea aus einer Position der Stärke heraus führen wollen.

Es ist allerdings höchst zweifelhaft, ob die USA und Südkorea dieses Verhandlungsangebot annehmen. Denn auch für sie hat sich das Verhandlungskalkül verändert. Welchen Anreiz könnten die USA noch für Verhandlungen mit Nordkorea haben, nachdem Pjöngjang die eigenen Nuklearwaffen zum unantastbaren, nicht verhandelbaren Verfassungsbestandteil erklärt haben? Und weshalb sollten die Vereinigten Staaten mit einem Staat verhandeln, der zugesagte Transparenz- und Abrüstungsschritte nicht umsetzt und an der nuklearen und ballistischen Aufrüstung festhält? Natürlich ist es aus amerikanischer Sicht sinnvoll, in Gesprächen die militärischen Spannungen abzubauen und die Kommunikationskanäle offen zu halten. Eine Lösung der Krise wird aus ihnen wohl kaum hervorgehen können.

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