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Irak, Nahost, Ukraine - Unsere Träume liegen in Fetzen

Mit dem Mauerfall vor 25 Jahren blühte einst Hoffnung auf. Eine bessere, friedlichere Welt schien möglich, eine Utopie konkret zu werden. Nun herrscht erneut die Angst. Wir leben in finsteren Zeiten. Ein Kommentar in Kooperation mit dem Tagesspiegel

Autoreninfo

Prosinger, Wolfgang

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Was für grausame Wochen. Tag für Tag, Stunde für Stunde sagen die Sprecher in den Nachrichten die Liste der Schrecken auf. Nahost und Ukraine, Irak und Syrien, Libyen, Afghanistan, Boko Haram, Ebola. Totenlisten. Zerstörungslisten. Ganz abgesehen von den Dramen, an die wir uns längst gewöhnt haben: Hunger und Elend in Afrika. Wahrlich, wir leben in finsteren Zeiten.

Die Welt, so scheint es, ist aus den Fugen geraten, und nirgendwo ist ein Licht zu entdecken, das Hoffnung gäbe. Die Bilder wollen einen nicht loslassen, Ruinenstädte, Verwüstungen, weinende Menschen, Leichen. Natürlich, viele dieser Konflikte sind alt, manche schon jahrzehntealt.

Dennoch, was sich in diesem Sommer zusammenballt, hat es in dieser Dichte schon lange nicht mehr gegeben. Und die schrecklichen Szenen spielen sich nicht in fernen Regionen ab. Sie kommen näher, ein Krieg, so fürchten viele, könnte vor der Haustür stehen. Von Berlin nach Kiew ist es nicht weiter, als, sagen wir einmal, von Berlin nach Freiburg.

Selbstverständlich war die Welt auch zu anderen Zeiten alles andere als friedlich, sie war immer eine Welt der Katastrophen. Allein die Geschichte der vergangenen hundert Jahre erscheint wie eine Kette von Massenmorden, Völkermorden und Unmenschlichkeiten. Der Erste Weltkrieg mit 17 Millionen Toten, der Zweite mit etwa 70 Millionen, dazu sechs Millionen ermordete Juden. Und es hörte danach nicht auf: Vietnam, Kambodscha, Ruanda. Und die langen Jahrzehnte des Kalten Krieges, in denen sich zwei Militärblöcke mit dem atomaren Potenzial, das Leben auf der Welt um ein Vielfaches zu vernichten, gegenüberstanden, waren Zeiten einer ungeheueren Bedrohung. Es gab ein Lebensgefühl, das – trotz aller wirtschaftlichen Prosperität – immer wieder Angst hieß.

Der 11. September 2001 schlug wie ein Blitz ein


Trotzdem, es ist nicht allzu lange her, dass es einige Gründe zu der Zuversicht gab, die Geschicke des Planeten Erde könnten sich ins Günstigere wenden. Mauerfall, Zusammenbruch des Kommunismus, Ende der waffenstarrenden Dauerkonfrontation, Ende der Apartheid in Südafrika. Es waren die 90er Jahre. „Give peace a chance“ – die Erfüllung einer Sehnsucht schien möglich, eine Utopie konkret zu werden, und der US-Präsident spielte Saxofon, statt Marschbefehle zu erteilen.

Ein Zukunftsoptimismus hatte Einzug gehalten auf dem Erdkreis, trotz aller Auseinandersetzungen, die es natürlich auch damals gab, etwa auf dem Balkan. Dass die Gemeinschaft der Völker eine wirkliche Gemeinschaft sein könnte, das war damals ein Traum, der mehr war als ein Hirngespinst. Dass aus Feinden Freunde werden können, die Europäische Union hatte es längst vorgemacht. Und dass es diese Form der Partnerschaft eines Tages auch mit der Großmacht Russland geben könnte, schien nicht mehr die Musik einer fernen Zukunft zu sein.

Der Traum zerbrach am 11. September 2001. Die Anschläge auf die Twin Towers in New York und auf das Pentagon in Washington schlugen wie Blitze ein in die Zukunftsfreudigkeit und machten deutlich, wie zerbrechlich und gefährdet sie gewesen war.

Keine Macht in Sicht, die etwas ändern könnte


Nichts war jetzt mehr wie zuvor, statt vom Kalten Krieg war nun vom Krieg der Kulturen die Rede. Und die Antworten waren darum auch sofort kriegerisch: Afghanistan, Irak. Dennoch war die Hoffnung nicht kleinzukriegen. Sie blühte wieder auf, als sich die Menschen in der arabischen Welt erhoben, den lebensgefährlichen Versuch unternahmen, aus ihrer Unmündigkeit herauszutreten und die Diktatoren verjagten. Als das Wort vom Frühling in aller Munde war und Optimisten daran zu glauben wagten, dass sich in diesem Zusammenhang auch die Bedrohung durch den Islamismus lösen lassen würde.

Es ist nicht so gekommen. Nicht in der arabischen Welt, nicht in Russland, nicht in Afghanistan, nicht im Irak und auch nicht im Israel-Palästina-Konflikt. Der Fortschrittsoptimismus ist einer Gegenwartsdepression gewichen, die Träume liegen in Fetzen. Und nirgendwo ist eine Macht in Sicht, die daran etwas ändern könnte. Nicht in Europa, nicht in Amerika, nicht bei den Vereinten Nationen.

Es bleiben die wahren Sätze, dass die Hoffnung zuletzt stirbt und dass das Rettende wächst, wo Gefahr ist. Aber es fällt schwer, in diesem Sommer ans Mutmachen zu glauben. Wahrlich, wir leben in finsteren Zeiten.

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