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Stellwerk-Chaos - Wird die Deutsche Bahn kaputt gespart?

Chaos auf der Schiene – wegen Personalmangels in den Stellwerken fallen derzeit in Mainz viele Züge aus. Doch das Problem ist nicht nur ein regionales. Was ist los im Konzern?

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Brönstrup, Carsten

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Einige Zeit sah es so aus, als gäbe es allein in Mainz ein Problem mit Personalmangel in den Stellwerken. Doch am Montag räumte die Bahn ein, dass es praktisch jede Region im Land treffen kann. „Wir haben bundesweit eine angespannte Situation“, sagte Frank Sennhenn, Chef der Netz-Sparte, im „Morgenmagazin“. Man mache nun eine Bestandsaufnahme. „Wir sind dabei, alle Stellwerke, bei denen wir ähnlich kritische Situationen haben, nach Kräften abzusichern.“ Mit anderen Worten: Überall kann es wie in Mainz zu einem wochenlang ausgedünnten Zugverkehr kommen – und das nur, weil ein paar Fachleute krank oder im Urlaub sind.

Damit bestätigt die Bahn zuverlässig ihren Ruf des Chaos-Konzerns. Wo etwas schief gehen kann in der weiten Welt der ehemaligen Behörde, da geht es schief. Sei es die S-Bahn Berlin, seien es die Klimaanlagen in Fernzügen, Hochwasser an wichtigen Strecken und allerorts Verspätungen: Immer wieder brennt es bei der Bahn. Immer wieder zieht sie den Zorn von Fahrgästen, Steuerzahlern und Politik auf sich.

Was ist in Mainz passiert?

Von 15 Fahrdienstleitern im Stellwerk sind derzeit acht nicht im Dienst. Diese Experten sind für den Zug-Betrieb ebenso wichtig wie Fluglotsen im Luftverkehr. Nachdem der Mainzer Hauptbahnhof seit Anfang August nur in den Abendstunden von vielen Verbindungen abgehängt war, fahren seit Montag nun auch tagsüber weniger Züge. Statt im Halbstunden- verkehren Regionalbahnen nur noch im Stundentakt. Der Fernverkehr beschränkt sich auf eine Linie – im gesamten Rhein-Main-Gebiet und in Südhessen könne es Verspätungen geben, warnte die Bahn. „Zunächst“ gelte der Notfahrplan nur bis Ende August, heißt es im Konzern. Entscheidend sei die Rückkehr der erkrankten Stellwerker. Das Ziel sei, die Kollegen zu überzeugen, ihren Urlaub abzubrechen oder gar nicht erst anzutreten. Erzwingen kann die Bahn das aber nicht.

Ist das ein grundsätzliches Problem?

600 Fahrdienstleiter wolle man in diesem Jahr einstellen, sagte Sennhenn – so groß also ist derzeit die Lücke. Praktisch in allen Regionen fielen in den vergangenen Monaten Züge aus, weil es am Leitpersonal fehlte – auch in Berlin, etwa bei der S-Bahn. „Da ist in den vergangenen Jahren beim Personalmanagement im Konzern einiges falsch gelaufen“, sagte Sören Bartol, verkehrspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Tausende Beschäftigte gingen bald in Rente, heute liege das Durchschnittsalter der Fahrdienstleiter bei 55 Jahren, warnt die Bahn-Gewerkschaft EVG. Engpässe gibt es auch bei Lokführern.

Woran liegt das?

Mit Blick auf den Börsengang hat die Bahn über Jahre enorm gespart: Den Kauf neuer Züge schob sie auf die lange Bank, und bei der Umstellung auf effizientere elektronische Stellwerke bremste sie. Mit der neuen Technik können Fahrdienstleister ein sehr viel größeres Gebiet kontrollieren. Zugleich aber bildete sie bei den Fahrdienstleitern zu wenig Nachwuchs aus.

„Unsere Betriebsräte haben immer wieder vor Personalengpässen gewarnt, ohne dass Führungskräfte dies ernst genommen hätten“, beschwerte sich nun EVG-Chef Alexander Kirchner. Rasch jemanden umzuschulen geht nicht – für den Job ist gute Ortskenntnis erforderlich. Am Dienstag und Mittwoch soll es nun Gipfeltreffen auf Landes- und Bundesebene geben – lösen werden sie das Problem aber vermutlich nicht.

Oliver Kraft hatte die Sparte DB Netz, die das 34.000 Kilometer lange Gleissystem verwaltet, zum besten Gewinnbringer im Konzern gemacht. Trotzdem verlor er im Frühjahr seinen Posten, auch seinen Personalchef traf es. Dabei spielte auch Krafts Personalpolitik eine Rolle. Nun trifft es auch noch den Produktionsvorstand Hansjörg Hess. Ändern wird das vermutlich kaum etwas – vor seinem Aufsichtsrat kann Konzernchef Rüdiger Grube nun aber immerhin erläutern, dass er sich des Problems angenommen hat.

Wird die Bahn kaputtgespart?

„Rüdiger Grube arbeitet als Bahn-Chef etwas leiser als sein Vorgänger Hartmut Mehdorn“, sagt Christian Böttger, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. „Er fährt aber die gleiche Unternehmensstrategie.“ Das bedeutet: Die Rendite spielt noch immer eine große Rolle, obwohl der Börsengang vorerst kein Thema ist. „Die Bahn investiert seit Jahren weniger in das Netz, als sie abschreibt. Die Qualität der Infrastruktur wird also immer schlechter“, kritisiert Böttger. Für den Bund, dem die Bahn gehört, spielt die Eisenbahn ohnehin seit Jahrzehnten eine Nebenrolle. An erster Stelle steht die Straße – und das, obwohl Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) beim Amtsantritt versprochen hatte, allen zusätzlichen Verkehr auf die Schiene verlagern zu wollen.

Beim Zugmaterial läuft es nicht besser. Obwohl ICE- und vor allem IC-Züge Jahrzehnte alt sind, hat die Bahn die Bestellung einer neuen Generation immer wieder vor sich hergeschoben. Jetzt sollen die neuen Fahrzeuge erst ab 2017 kommen – bis dahin werden die anfälligen alten Waggons und Loks eingesetzt. Lieferprobleme der Industrie haben zuletzt die Probleme immer weiter verschärft, auf 16 neue ICE-Züge wartet die Bahn bereits seit Ende 2011.

Warum kommt die Bahn nie zur Ruhe?

Immer wieder steht die Bahn in der Kritik – weil stets etwas schief geht in dem 300 000 Beschäftigte zählenden Riesen-Unternehmen. Das liegt zum einen daran, dass kaum ein anderer Konzern derart häufig von seinen Kunden geprüft wird – am ehesten noch Post oder Telekom. Zum anderen ist die Struktur des weit verzweigten Unternehmens schuld. „Die Bahn ist ein sehr dezentrales Unternehmen. Außenstehende und selbst die eigenen Manager tun sich bisweilen schwer, das in seiner komplexen Wirkungsweise zu verstehen“, sagt Maria Leenen, Chefin des Beratungsunternehmens SCI Verkehr.

Zugleich bekommt die Bahn seit Jahren ihre größten Probleme nicht in den Griff – den Umgang mit den Kunden und die Information. „Das Störfallmanagement ist eins der größten Defizite der Bahn“, befindet auch Beraterin Leenen. Schon Dutzende Mal habe man versucht, das Problem in den Griff zu bekommen, erzählt ein Bahn-Manager – gelungen ist es bislang nicht. Doch war früher alles besser, als noch Reichs- und Bundesbahn fuhren? HTW-Experte Christian Böttger ist skeptisch. „Es gibt keine harten Fakten, mit denen man das belegen kann.“

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