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Siemens und Thyssen-Krupp - Gerhard Cromme, über Fehler erhaben

Um ihn herum herrscht ein reges Kommen und Gehen, Gerhard Cromme aber hält an seinen Posten in den Aufsichtsräten bei Siemens und Thyssen-Krupp fest. Obwohl er als oberster Kontrolleur mit im Boot saß, als Fehler begangen wurden, werden sie ihm nicht angelastet

Autoreninfo

ist Journalist und Volkswirt. Er war erst Chefredakteur des Spiegel, dann bis 2003 des Manager Magazins. 2002 erhielt er den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik

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Die Liste seiner Opfer ist lang. Sehr lang. Kajo Neukirchen (Ex-Hoesch) und Dieter Vogel (Ex-Thyssen) stehen darauf, Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld (beide Ex-Siemens) mussten dran glauben, zuletzt erwischte es die drei Thyssen-Vorstände Olaf Berlien, Edwin Eichler und Jürgen Claassen. Allesamt in den zwangsweisen Ruhestand befördert.

Derjenige, der diese mehr oder weniger verdienten Herrschaften (und noch einige mehr) aus dem Job jagte, sitzt noch immer auf seinem Posten: Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender bei Thyssen-Krupp und Siemens. Eine seit nunmehr fast drei Jahrzehnten prägende Gestalt in Corporate Germany. Einer, der dank seiner Körpergröße wie seiner Selbsteinschätzung meist auf seine Umgebung herabschaut; einer, für den eine Grundregel kapitalistischen Wirtschaftens außer Kraft gesetzt scheint: Dass man für die Folgen seines Tuns oder Unterlassens haften muss.

Seit über drei Jahrzehnten kennt Cromme das Stahlgeschäft; er hat vielfältige Kontakte in das Innere von Thyssen-Krupp, um stets erstklassig informiert zu werden. Dennoch will er nicht gewusst haben, wie die Kollegen im Schienen- und Aufzugsbereich mit Kartellen die Kunden ausnahmen; dennoch besteht er darauf, für das Desaster zweier Stahlwerksneubauten in Brasilien und den USA keine Verantwortung zu tragen. Fünf Milliarden Euro Verlust schrieb der Konzern im vergangenen Geschäftsjahr, das war existenzgefährdend. Der frühere Chef Ekkehard Schulz verlor seinen Sitz im Aufsichtsrat und in der Krupp-Stiftung, die drei Vorstände mussten gehen. Cromme aber bleibt.

Gepatzt haben immer die anderen; oder es waren nicht zu beeinflussende unglückliche Umstände. „Selbstkritik, die inneren Fragen nach eigener Schuld und eigenem Versagen sind ihm fremd“, schrieb einmal Diana Maria Friz, eine Nichte von Alfried Krupp, über ihn.

Er befindet sich da in guter Gesellschaft. Während in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft Versagen inzwischen schnell abgestraft wird, gelingt es einigen Managern, sich diesem Trend souverän zu entziehen. Leute wie Martin Blessing oder Klaus-Peter Müller, der eine Vorstands-, der andere Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank, die erst das Geldhaus in die Fastpleite geführt haben und bis heute ohne Erfolg beim Comebackversuch operieren. Oder Anshu Jain von der Deutschen Bank, dessen Investmentbank-Sparte in kaum noch zu überschauende Prozesse und Skandale verwickelt ist, und der dennoch zum Kochef des größten deutschen Geldhauses befördert wurde. Oder Peter Löscher, der von Cromme ausgewählte Siemens-Chef, der im Konkurrenzvergleich schlecht aussieht und einräumen musste, hinter den „eigenen selbst gesetzten Ansprüchen zurückgeblieben“ zu sein. Oder Daimler-Chef Dieter Zetsche, unter dessen Ägide Audi und BMW an den Stuttgartern vorbeizogen, ohne dass er deswegen seinen Stuhl hätte räumen müssen.

Geradezu vorbildhaft für diese Überlebenskünstler unter den Unternehmensführern muss Ferdinand Piëch sein. Der VW-General überstand den Datendiebstahl bei General Motors/Opel genauso wie den Korruptions- und Sexskandal der Wolfsburger. Was langfristig angelegte Herrschaftsausübung angeht, können es nur wenige Wirtschaftsgrößen mit dem Österreicher aufnehmen, und zu denen gehört sicherlich Gerhard Cromme (auch wenn ihm Piëchs Menschenverachtung fehlt).

Wie der Automanager ließ sich Cromme in seinem Machtanspruch nie von externer Kritik beeindrucken. Nachdem er im Dezember seine Säuberungsaktion bei Thyssen-Krupp durchgezogen hatte, forderten selbst wirtschaftsnahe Blätter wie die FAZ seinen Rücktritt. Doch Cromme schien unbeeindruckt. Wer ihm in jener Phase begegnete, erlebte einen heiteren, wie immer verbindlichen Mann.

Vielleicht hat er es wieder so gehalten wie Ende der Achtziger, als er, bei Krupp gerade an die Spitze der Stahl-Tochter gekommen, das Stahlwerk Rheinhausen stilllegte. Monatelang widersetzten sich die betroffenen Stahlarbeiter mit Demonstrationen, mit Straßen- und Brückenblockaden; Politiker aller Farben zeigten sich mit den Werktätigen solidarisch. Und was tat Cromme? Jahre später erzählte er, wie er dem Druck standgehalten hatte: Er las über Wochen keine gedruckten Blätter mehr, ließ Fernseher und Radio ausgeschaltet.

Seite 2: Cromme hat gelernt, zu lenken

„Ich habe in meinem Leben nur das getan, was ich für richtig gehalten habe“, sagte Cromme jüngst in einem Gespräch. Und viele seiner Entscheidungen erwiesen sich in der Sache als richtig. Cromme war es, der Deutschlands Stahlwirtschaft in den Neunzigern für die neue Zeit aufstellte. Er hatte erkannt, dass der Krupp-Konzern ohne Partner nicht überlebensfähig war. Aber er wollte agieren und nicht reagieren; Jäger sein, nicht Gejagter. Wollte vor allem eins: bei allen Umwälzungen und Verwerfungen an der Spitze bleiben.

Und so griff er 1991 nach dem Dortmunder Wettbewerber Hoesch, die erste feindliche Übernahme in Deutschland. Der nicht minder robuste Hoesch-Chef Kajo Neukirchen musste weichen.

Crommes Meisterwerk aber folgte sechs Jahre später, der Angriff auf die stolze, fast um ein Drittel größere Thyssen AG. Es war das, was die Amerikaner einen „reverse takeover“ nennen – der Kleinere will den Größeren schlucken. Die Thyssen-Truppe, angeführt von Crommes Duzfreund Dieter Vogel, wehrte sich verzweifelt gegen die „überfallartige“ (Vogel), bestens vorbereitete Attacke. Im zweiten Anlauf obsiegte der Krupp-Anführer, „ohne einen Pfennig Eigenkapitaleinsatz“, wie Vogel später beklagte. Der Thyssen-Chef musste gehen.

Diesem wenig einfühlsamen Stil blieb Cromme auch in den folgenden Jahren treu. Schnell merkte er, dass im fusionierten Konzern die Doppelherrschaft mit dem Thyssen-Abkömmling Schulz nicht funktionierte. So beförderte er sich zwei Jahre später selbst in den Vorsitz des Aufsichtsrats; verbunden mit einem nicht unerheblichen Einkommensverlust. Nun kontrollierte er den Mann, neben dem er vorher als Gleichberechtigter gearbeitet hatte.

Den Zenit erreichte er 2007, als er auch noch Aufsichtsratsvorsitzender eines anderen deutschen Vorzeigekonzerns wurde, der Siemens AG. Der Mann von der Ruhr sollte die in München aufgedeckten Korruptionspraktiken aufarbeiten und leistete ganze Arbeit. Nachdem er das Siemens-Denkmal Heinrich von Pierer aus dem Aufsichtsrat verdrängt hatte, feuerte er bis auf den Finanzchef den gesamten Vorstand.

Natürlich hatte Cromme von den Bestechungsusancen bei Siemens nichts geahnt. Obwohl er schon vier Jahre im Aufsichtsrat gesessen hatte, zwei Jahre sogar als Vorsitzender des Prüfungsausschusses. Obwohl in der gesamten deutschen Industrie wie bei den Fachjournalisten bekannt war, dass erstens in dem Großanlagen-Business viele Geschäfte gar nicht ohne Schmiergeld laufen, und dass, zweitens, speziell die Siemens AG in diesem Fach besondere Meisterschaft erworben hatte. Den Aufsichtsräten, sagt er, seien nur Einzelfälle berichtet worden.

Wer ist dieser Mann, der sich so gekonnt aller Haftung für sein Tun entzieht? Cromme stammt aus Vechta, die Herkunft aus Westfalen prägt seine Sprache. Ein Mann mit randloser Brille und gewelltem Haar, der stets die Form wahrt, seine Gäste nach dem Gespräch meist persönlich an den Fahrstuhl bringt; der auch bei kritischsten Journalistenfragen höflich bleibt und selbstironische Bemerkungen platziert; der von Mitarbeitern als fairer Vorgesetzter geschätzt wird und bei der eigenen Honorierung nicht zu den Raffgierigen zählt.

Seite 3: Beitz' Schützling hat wenig zu fürchten

Das Manager-Gen und den Machtinstinkt kann er nicht geerbt haben. Sein Vater war Gymnasiallehrer für Griechisch und Latein; einer der Brüder wurde Arzt, der andere Professor und die Schwester Studienrätin. Cromme studierte Jura, heuerte dann aber beim Deutschland-Ableger des französischen Baustoffkonzerns Saint-Gobain an und stieg rasch auf. Von dort holte ihn Berthold Beitz zu Krupp.

Beitz und Cromme sind seither ein festes Gespann. Der auf Lebenszeit bestellte Kuratoriumsvorsitzende der Krupp-Stiftung, der am 26. September seinen 100. Geburtstag feiern will, ist der Einzige, den ein Cromme zu respektieren hat. Mit über 25 Prozent der Aktien von Thyssen-Krupp hält die Stiftung eine Sperrminorität. Daher ist der börsennotierte Konzern eine Art Familienfirma, mit Beitz als klassischem Patriarchen, der nicht loslassen kann.

Bis Cromme kam, hatte Beitz keine glückliche Hand bei der Wahl der Krupp-Vorsteher. Nun aber schien er die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Wie sich der relativ junge Vorstandsvorsitzende – er wurde mit 43 Jahren Chef von Krupp-Stahl – bei Rheinhausen, Hoesch und Thyssen durchsetzte, fand Beitz’ Anerkennung. Fast unvermeidlich war dann, dass er Cromme seine Nachfolge an der Spitze der Krupp-Stiftung zusicherte: eine Perspektive, die Cromme dauerhaften Machterhalt sichert. Und die ihn auftreten lässt wie einen Eigentümer oder Erben des Konzerns.

Cromme weiß: Solange Beitz seine schützende Hand über ihn hält, kann ihn bei Thyssen-Krupp keiner stürzen. Und Beitz steht zu Cromme. Weil er über keinen anderen Nachfolger verfügt; und weil er ihm zu verdanken hat, dass es überhaupt noch ein Unternehmen gibt, das den Namen Krupp trägt.

Wer aber kontrolliert einen wie Cromme? Die Wahrheit ist: niemand. Aufsichtsratsvorsitzende in Deutschland werden selten haftbar gemacht, wenn die von ihnen beaufsichtigten Unternehmen schlecht laufen. Laut Aktiengesetz ist allein der Vorstand für die laufenden Geschäfte verantwortlich. Die Kontrolleure können immer auf die exekutiv Verantwortlichen verweisen. Oder entschuldigen sich damit, zu spät oder unzureichend informiert worden zu sein. Der Nachweis unzureichender Kontrolle ist nur schwer zu führen.

Die Deutschland AG – jenen informellen, erlesenen Kreis einiger Banker und Manager von Großkonzernen – gibt es nicht mehr. Aber manche Elemente dieses Gebildes haben überlebt. So der kleine Zirkel von Chefaufsehern, die sich regelmäßig in Aufsichtsräten, Vorstandszirkeln oder bei privaten Gelegenheiten begegnen – neben Cromme Männer wie Manfred Schneider, der Ex-Chef von Bayer und Chefkontrolleur von RWE; oder Jürgen Hambrecht, ehemals BASF-Chef und zukünftig dort Aufsichtsratsvorsitzender; oder Jürgen Weber, Aufsichtsratschef der Lufthansa und in diversen anderen Gremien; oder Werner Wenning, Chefkontrolleur bei Bayer und bei Eon.

Alles Herren in fortgeschrittenem Alter, die ein informelles Netzwerk bilden. Auffällig ist: Banker spielen – nach dem Verkauf ihrer Industrieanteile und dem anhaltenden Niedergang der Branche – in dieser Liga keine Rolle mehr; auch die Versicherer sind kaum noch präsent. Die Industrie rechnet sich zu Recht die ökonomischen Erfolge Deutschlands in den vergangenen Jahren zu; sie beansprucht in Corporate Germany die Meinungsführerschaft.

Die Mitglieder dieses Herren-Clubs haben ihre Verdienste. Sie leben zumeist in ihrer eigenen Welt, gut abgeschirmt vom Leben Normalsterblicher. Außenstehenden, ob aus Medien oder Politik, billigen sie daher nicht das Recht zu, über einen der ihren ein Urteil zu fällen.

So hält es auch Cromme, der zwar einige Jahre der Kommission für Corporate Governance vorsaß, aber im Zweifelsfall dem eigenen Vorteil den Vorrang einräumt. So sorgte er mit dafür, dass bei Siemens die Altersgrenze von 70 Jahren für Aufsichtsräte abgeschafft wurde. Begründung: Siebzigjährige seien heute viel fitter als früher. Und da schließt sich der 69-Jährige natürlich mit ein. Die Liste seiner Opfer wird sicherlich noch länger.

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