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(Richard Marx) „Ich hatte etwas Jüngerhaftes“

Volker Schlöndorff - „Wulff ist das Unthema des Jahres“

Warum Wulff das Unthema des Jahres ist, Volker Schlöndorff in seiner Jugend etwas Jüngerhaftes hatte und warum sich Europa im Aufwind befindet – Starregisseur Volker Schlöndorff im Interview

Filminfo zu Volker Schlöndorffs "Das Meer am Morgen": In Nantes wird im Oktober 1941 ein Nazi-Offizier der deutschen Besatzer von französischen Kommunisten erschossen. Die Vergeltung lässt nicht lange auf sich warten: Hitler lässt  den 17-jährigen Guy Môquet und 149 weitere französische Gefangene hinrichten. Volker Schlöndorffs „Das Meer am Morgen“ bebildert die Zeit zwischen dem Schuss auf den Offizier und der Hinrichtung anhand dreier Handlungsstränge. Neben der Geschichte des jungen Guy Môquet, wird der in Paris stationierte Schriftsteller Ernst Jünger (Ulrich Matthes) gezeigt, der die Vergeltungsaktion protokolliert, sowie der junge Heinrich Böll, der am Atlantikwall Schießübungen durchführen muss.


Herr Schlöndorff, Wulff hatte vor seinem Rücktritt zu einem Berlinale-Empfang ins Schloss geladen. Viele Filmschaffende blieben der Veranstaltung fern. Warum sind Sie nicht gekommen?
Ich hatte schon vor sechs Wochen die Einladung abgesagt, weil ich mit meinem Produzenten und Martina Gedeck zur Filmvorführung von „Die Wand“ geladen war. Ich hatte kurz überlegt, das abzusagen, um zum Präsidenten zu gehen, weil ich es als lächerlich empfand, wie viele meiner Kollegen auf die Einladung reagierten. Es ist ja auch wichtig, dass der Präsident sieht, es gibt im deutschen Film noch andere Leute als Herrn Groenewold. Wir Filmschaffenden sollten uns nicht so wichtig nehmen. Als ob wir einen Präsidenten boykottieren könnten. Lächerlich. Ich bin auch zu Franz-Josef Strauß gegangen. Und ich bin mir sicher, es wäre ihm lieber gewesen, ich wäre seinerzeit  nicht gekommen. Hier sollte man eindeutig trennen: Das eine ist die Funktion, das andere ist der Mensch. Ich habe Wulff nicht gewählt und ich hätte ihn auch nicht gewählt.

Die Wulff-Affäre ist doch eigentlich – der Rücktritt inbegriffen – eine recht müde Inszenierung, eignet sich kaum für einen Film, oder?
Nein, da fällt einem irgendwie gar nichts mehr zu ein. Es ist ein Unthema. So wie es ein Unwort des Jahres gibt, ist das das Unthema des Jahres.

Was wäre denn Ihr Unfilm des Jahres?
Ich möchte keinem Kollegen zu nahe treten, aber glauben Sie mir, ich könnte Ihnen mindestens fünf nennen.

Ihr neuester Film „Das Meer am Morgen“, der seine Premiere auf der Berlinale feierte, handelt von der historischen Figur des jungen  Guy Môquet in der Zeit der Besatzung durch die Nazis. In Frankreich kennt ihn jedes Kind. In Deutschland ist das anders. Wie sind Sie auf die Geschichte des Jungen gestoßen?
Der Name Môquet war mir zunächst nur als Pariser Metrostation bekannt. Ich wusste anfangs nicht, wer sich dahinter verbirgt – bei aller Frankophilie. Die Entdeckung kam dann durch ein Buch eines Journalisten mit dem Titel „Guy Môquet. Une enfance fusillée“ – eine füsilierte Kindheit. Beim Lesen habe ich mich plötzlich erinnert, dass der Ort des Geschehens, Chateaubriant, in der Bretagne nur 30 Kilometer von dem Ort entfernt lag, in dem ich ins Internat gegangen bin. Das war der Moment, als ich mir dachte, dafür musst du dich interessieren. Ich wusste allerdings nicht , dass Sarkozy diesen Brief des jungen Guy Môquet zur Pflichtlektüre in Frankreich gemacht hat. Wie politisch vermint das Gelände war, wusste ich – Gott sei Dank – nicht.

Die Szene der Exekution Guy Môquets erinnert ein bisschen an „Wege zum Ruhm“ von Stanley Kubrick. Da werden drei Leute füsiliert. Hatten Sie die Szene auch im Hinterkopf?
Ich habe Kubricks Film früher oft gesehen, mir im Vorfeld zu meinem Film aber nicht mehr angeschaut. Es gab auch einen Film von Kieslowski „Der kurze Film zum Sterben“, mit einer ähnlichen Szene. Den Film „Katyn“ von Andrzej Wajda hatte ich gerade vorher noch gesehen. Und da war mir klar, so toll der Film ist, aber das will ich nicht. Ich möchte nicht diese Einschusslöcher und Blutspritzer. Ich wollte, dass die Exekution preußisch, klinisch, sauber ist, dass sie wie ein Verwaltungsakt bis zum letzten Moment durchgezogen wird. 

Nun handelt die Geschichte nicht allein von Guy Môquet. Im Grunde erzählen Sie drei Geschichten. Es sind drei Biografien, die sich zufällig kreuzen. Neben Guy Môquet tauchen auch der Schriftsteller Ernst Jünger sowie der junge Heinrich Böll auf.
Böll und Jünger hatten eine sehr unterschiedliche Auffassung davon, was es heißt, Soldat zu sein. Böll hatte mir seinerzeit erzählt, dass es ihm sehr schwer gefallen sei, Besatzungssoldat zu sein. Ernst Jünger hingegen hatte es genossen, Besatzungsoffizier in Paris zu sein. Böll hat praktisch jeden Abend an seine Frau Briefe von der Front geschrieben. Dann bin ich auf die Novelle gestoßen „Das Vermächtnis“, in der Böll Kriegserlebnisse verarbeitet . Die Geschichte bot für mich den perfekten Einstieg für meinen Film. Ich bin ja damals nicht dabei gewesen und wollte herauszufinden, wie sich jemand in einer solchen Lage gefühlt hat.

Und dann kommt noch Ernst Jünger ins Spiel, der als Hauptmann in Paris stationiert war. Er dokumentierte die Ereignisse um die Exekution. Wie wichtig ist der Jünger-Bericht zur Geiselfrage, der erst kürzlich erschienen ist, für Sie persönlich zum einen und zum anderen für Ihren Film?
Den Entschluss, diesen Film zu machen, hatte ich schon gefasst, bevor ich von diesem Bericht erfuhr. Aber der Film wäre ohne diesen Bericht nicht das geworden, was er ist. Ein junger Historiker, Felix Möller, hat mich auf den Jünger-Bericht aufmerksam gemacht. Ich konnte es gar nicht fassen, wie genau Jünger diese Ereignisse beschrieben hat, dass er auch die Briefe der Hingerichteten übersetzt hat.  Ich wollte den Film dann quasi aus zwei Perspektiven erzählen. Aus der Jüngers und der des jungen Guy Môquet. Eine deutsche und eine französische also. Im Grunde sind es diese beiden Perspektiven, die den Film interessant machen, auch für die Franzosen. Aber für uns Deutsche ist es natürlich interessant, einmal den Guy Môquet zu entdecken und die französische Résistance einmal aus dieser Perspektive erzählt zu sehen. Und für die Franzosen war es interessant, dass ein Deutscher ihnen ihren eigenen Märtyrer erzählt. Auf diese Weise hat der Film eine innere Spannung erhalten, die das reine Nacherzählen von irgendwelchen Ereignissen nicht gehabt hätte.

Hat sich durch die Lektüre des Berichts Ihr Bild von Ernst Jünger verändert?
Ja, sogar sehr. Geschrieben ist der Bericht im reinsten Kanzleideutsch. Ernst Jünger hat wohl bewusst gesagt, ich bin zwar Schriftsteller, aber für dieses Dokument über die Geiselerschießung benutze ich nicht meine Schriftstellersprache, sondern ich schreibe das vollkommen neutral auf. Das heißt doch, dass er in der Vorstellung lebte, er könnte sich selbst aufteilen. Einerseits bin ich ein funktionierender Besatzungsoffizier und auf der anderen Seite bin ich der kultivierte Schöngeist. Und der eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das scheint mir aber geradezu schizophren. Er schreibt diesen Bericht und gleichzeitig schreibt er in seinem Tagebuch wunderbar blumige Beschreibungen von einem opiumartigen Rendezvous in der Bar des Hotel Raphael mit der schönen Sowieso.

Erfahren Sie im zweiten Teil, warum Schlöndorff den Jünger in sich bekämpfen wollte

Diesem Bild des passiven, abseits stehenden Jünger folgen Sie nicht ganz. Drehte Jünger also, entgegen eigener Aussage, das Rad der Geschichte doch mit?
Es gibt eine wunderbare Szene in dem Film, in der Jünger auf eine Sängerin stößt. Ich habe ihr ein paar Fragen in den Mund gelegt, die ich mir selbst stelle. Sie fragt, wie es denn möglich sei, auf der einen Seite nicht in das Rad der Geschichte eingreifen zu wollen, es gleichzeitig aber allein durch die Tatsache, dass er Offizier der Besatzungsarmee in Paris ist, doch zu tun. Er war ja nicht als Spaziergänger im Flanellanzug in Paris. Insofern ist diese übertriebene Bewunderung des Schriftstellers Ernst Jünger in Frankreich doch ziemlich schwer zu verstehen. [gallery:Die Berlinale-Highlights]

Sie hatten selbst formuliert, Sie wollten den Jünger in sich bekämpfen. Können Sie erläutern, was Sie damit meinten?
Das sind so Sätze, die einem rausrutschen. John Malkovitch hat einmal gesagt, er müsse den Nazi in sich bekämpfen. In den Augen der Franzosen habe ich früher etwas Jüngerhaftes gehabt. Ich war ein sehr disziplinierter Student, ein sehr disziplinierter Regieassistent, der den Regisseuren den Rücken freigehalten und für Ruhe und Ordnung am Set gesorgt hat, der gleichzeitig mehrsprachig, kultiviert und (hoffentlich) charmant war. Ich merkte dann, wie die Franzosen diesen Typus eines Deutschen mögen und habe das genossen. Irgendwann hatte ich aber genug davon und habe mir gesagt, das bist du eigentlich gar nicht.

Hat es Sie sehr mitgenommen, das Erschießungskommando zu filmen, oder war das ein rein technischer Vorgang für Sie?
Mit dem Blick auf die Uhr, auf die Kalkulation, auf den Drehplan und auf den Sonnenstand, bleiben einem nicht sehr viel Zeit für Emotionen. Das schließt jedoch nicht aus, dass es Momente gibt, die einen mitreißen. Ich kenne den Ablauf ja ganz genau. Wenn es dann passiert, wenn sie losgebunden werden, umkippen, wenn sie an den Füßen gepackt und durch den Sand geschliffen werden, diese toten Komparsen, da schießen einem die Tränen in die Augen. Das passiert zwar nicht oft, aber es passiert. Danach heißt es dann, weitermachen, ein Witz wird gerissen, das Team wieder aufgemuntert, jeder geht auf seinen Platz und beim zweiten Take ist es schon nicht mehr ganz so schlimm. Die Emotionen kommen immer nur momentweise. Ich bin ein bisschen wie Lieschen Müller: Manchmal lache ich bei einer Szene laut oder ich fange an zu heulen. Ich bin immer mein bestes Publikum.

Ihr Film zeigt die Schrecken der Nazizeit. Damit sich derartige Dinge nicht wiederholen, wurde die europäische Integration geboren. Von Ihnen stammt der Satz: „Wer immer Europamüde ist, der sollte sich fragen, wo wir eigentlich herkommen“. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation, wo Europa doch im Grunde jeden Tag wieder hinterfragt wird?
Europa wird nicht nur hinterfragt, sondern Gott sei Dank auch weiter entwickelt. Ich finde, durch die Krise in den letzten sechs Monaten hat Europa mehr Fortschritte gemacht, als in den 25 Jahren davor. Vielen ist erst durch die Krise klar geworden: wer A sagt auch B sagen muss. Wir  müssen nach Schengen nun endlich zu einer gemeinsamen Regierung kommen. Das kann 50 oder 100 Jahre dauern, aber wir müssen uns zumindest auf den Weg in diese Richtung machen. Europa wird nicht aufzuhalten sein.

Herr Schlöndorff, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Timo Stein.

Fotos: Richard Marx

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