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Wagner-Festspiele - Wie Angela Merkel mit Wotan flirtet

Der Journalist und Wagner-Experte Axel Brüggemann berichtet für Cicero Online vom Grünen Hügel. Im vierten Eintrag seines Bayreuth-Tagebuchs schreibt er über die Prawda der „Walküre“, wie Angela Merkel mit Wotan flirtet, und die Muskeln vom Castorf.

Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Lesen Sie auch die weiteren Einträge aus Brüggemanns Bayreuther Tagebuch:

Teil 1: „Eine existenzielle Herausforderung“

Teil 2: Die Knackärsche haben gute Arbeit geleistet

Teil 3: Frank Castorf: Rheingold oder Wild at Ring

Teil 4: Wie Angela Merkel mit Wotan flirtet

Teil 5: Wagner ohne Hitler, das ist echte Kunst

Teil 6: Vom Vögeln, Ballern, Krokodil-Schnappen und Buh-Rufen

Teil 7: Leserpost, die Totalkultur und der Antisemitismus

 

Der Abend endete wie folgt: Zum intimen Künstlerempfang sitzt Angela Merkel unter einem gestreiften Zelt vor dem Bühneneingang. Ihr Gegenüber ist Katharina Wagner - neben Ihr: der Weltengott persönlich. Bayreuths Wotan, Wolfgang Koch.

Die Kanzlerin plaudert engagiert und knabbert an den Kleinigkeiten. Vielleicht lobt sie den Bass-Bariton nur für seine wirklich genialistische Interpretation, für seine Stimme, die zum väterlichen Abschied von seiner Tochter Brünnhilde nach fast fünf Opernstunden noch immer ein emotional geladenes Stahlseil ist. Für seine Wortverständlichkeit, seine ergreifenden Szenen, seinen Fatalismus mit der Macht.

Aber vielleicht plaudern die beiden in der „Silver Lounge“ des Festspielhauses auch einfach über profane Dinge wie Macht und Melancholie. Muss die Weltherrschaft, sobald ihr Träger in Verträge verstrickt ist, unweigerlich scheitern? Was passiert, wenn Wahlprogramme so unfinanzierbar sind wie Walhall?

Und überhaupt: Ist das Aserbaidschan vom Anfang des 20. Jahrhunderts nicht näher als wir denken? - damals hatte die Prawda verkündet, dass Stalin die ersten Ölquellen erobert hatte. Auf Parallelen zu Hechtfänger Putin hat die Bayreuther „Ring“-Inszenierung zwar klugerweise verzichtet. Aber wer weiß schon, was Weltengott und Deutschlands Wotania bei Rosé Sekt und Häppchen miteinander bequatschen?

Ah, ja, Fränkie war auch da. Heute verkleidet als Frank Castorf: eine gefärbte Jeans und T-Shirt. Er saß nicht am Kanzlerinnen-Tisch, sondern hielt sich an der Eisenstange der Markise fest. Gut gelaunt, kaum schwankend. Ja – aufgeräumt.

Macht Geist geile Muskeln?

Klar, gute Laune kommt eben auch dann auf, wenn man ein bisschen Schiss hat, und nun alles in Butter ist. Das Feuilleton jubelt. Bayreuth jubelt. Alle jubeln über Fränkies „Ring“. „Komisch, wa?“, sagt er zu mir, dann macht er eine Pause und sagt, „ach ja“.

Mit einem Stöhnen, das sich ein bisschen fishing for Hechts anhört. „Nee, Castorf“, höre ich mich sagen, „das ist schon echt nicht schlecht.“ Da schmunzelt er. Und ich muss gestehen, dass mich das freut, weil er noch lacht wie ein Kind. Und dann erzählt er, was ihm Sorge bereitet: Dass er bei den Wagnerfreunden war, und die ihn ebenfalls gelobt haben. Hallo, Welt, kann irgendjemand dem Frankie mal wieder ´nen Feind geben?

Als ich „tschüss“ sage, muss ich ihn irgendwie berühren. Ich fasse seinen Oberarm unter dem T-Shirt an und wünsche ihm „Toi, toi, toi.“. Lustig, ich glaube, der Fränkie geht in eine Muckiebude. Oder macht Geist geile Muskeln?

***

In der „Walküre“ hat der alte Frankie aus dem „Rheingold“ seinen Tarnhelm aufgesetzt. Er hat sich in großen Teilen in einen Frank-Pierre Ponnelle verwandelt, den großen französischen „Tristan“-Regisseur, ohne freilich Frankreich als Grundästhetik anzusteuern. Fränkie bleibt lieber dem ureigenen, roten Stern der Volksbühne treu.

Frank-Pierre Ponnelle wollte dieses Mal beweisen, dass er nicht nur Perfektionisten-Chaos, sondern auch Opern-Personenregie beherrscht. Siegmund und Sieglinde, Wotan und Eheweib Fricka, Wotan und Brünnhilde - all diese großen Szenen lässt er in braun-in-braun-Ästhetik, ganz ohne Projektionen, über die Bühne gehen. Packendes Personentheater, musikpsychologische, aus der Partitur entwickelte und ohne Theater-Körper-Perversion gesteuerte Bewegungs-Choreographien. Minimalismus, Zooms auf singende Menschen, die Kraft (oder Macht?) des Klanges. Kein Wunder, dass die Wagner-Freunde ihm auf die operngestählten Schultern klopfen.

Das „Goden Motel“ der Road 66 ist abgebaut. Hunding, der Mann von Sieglinde, ist Betreiber einer in Holz gezimmerten, perspektivisch opulent aufgebauten Ölquelle in Aserbeidschan: Arbeiteraufstand, Eisenschmiede und Stalin-Diktat machen ihm zu schaffen. Wotan ist Herr dieses Dieners – der Weltengott als Patriarch des bolschewistischen Turbo-Kapitalismus. Castorf reist dem Gold in Raum und Zeit nach und kommt beim schwarzen Urschleim an. In der aserbaidschanischen Tristesse existiert jene Gemengelage, aus der das Öl noch Jahrzehnte später im Tankstellen-Puff der Route 66 gezapft wird. Keimzelle von Weltherrschaft, Terrorismus und allen Übels.

Und ein bisschen lustig ist es auch, wenn der Prenzelberg-Castorf nun endlich die Ikonographie seiner eigenen Sozialisation bedienen darf. Statt Ossi-Träumereien von wilden Westen gibt's in der „Walküre“ nun sozialistischen Realismus à la Dostojewski: Roter Stern, Wonnemond unter Prawda-Headlines und Walküren, die Leichen vom Arbeiteraufstand in das russische Walhall tragen.

Natürlich passt Fränkies „Rheingold“-Soap nicht mehr in das ästhetische Ambiente des ehrenwerten Frank-Piere Ponnelle, formerly known as „Volksbühnen-Enfant-Terrible“. Aber, ey  no Problemo. Ist der „Ring“ nicht eh eine weltumspannende, überzeitliche Parabel, dass man locker auf wagnerrealistische Mythen-Korinthenkackerei verzichten kann? Ist sie! Und so setzt der neue Fränkie nun nicht mehr auf Tarrantino, sondern auf den Stummfilm der 30er Jahre: Er zeigt die Walküren, Hundings unfreiwilligen Gift-Schlaf, die Geschichte mit dem Schwert Nothung in der Weltesche und alle anderen Seitenhandlungen nicht mehr als Roadmovie, sondern in Nosferatu-Manie. Das große Opernkino wird dadurch nicht kleiner.

Pause.

Wagner bringt mich in Verlegenheit.

Sie können sich nicht vorstellen, was da in Bayreuth los ist.

Ich weiß nicht, welche Wagner-Verbands-Leute der Herr Castorf kennengelernt hat. Aber auf dem „Grünen Hügel“ sind sie nicht. Hier eine kleine Auswahl meines Publikums-Lauschangriffes. Alles ungelogen, nicht erfunden, und von wagnerianischem Hass geprägt:

I.      Ein Blinder Mann mit seinem Freund kommt an der Breker-Büste des Komponisten vorbei ins Festspielhaus. Eine ältere Dame sagt zu ihrem älteren Mann, während sie die Flasche Prosecco öffnet: „Ach, heute wäre es nicht so schlimm, blind zu sein. Besser man schließt die Augen und hört nur auf die Musik.“

II.     Meine Sitznachbarin, eine Frau von der Haaretz (ich weiß, gerade bei Wagner sehr heikel!) fragt vor der Aufführung: „Sagen Sie, was war eigentlich die ‚Route 66’ gestern? Ist das eine Straße?“ Und im ersten Applaus nach dem ersten Aufzug: „Sagen Sie, was bedeutet das denn? Gestern war Wotan noch ein Tankstellenwärter, heute ist er ja jemand ganz anderes.“ Vor dem Zweiten Akt dann: „Warum war denn da die ‚Prawda’ mit Stalin, als die beiden eben geküsst haben?“ Und später: „Wagner hat doch keinen bestimmten Ort angegeben, seine Oper spielt in einer Mythenwelt. Also, das ist nichts für mich.“ – Hilfe, was soll ich sagen, um politisch korrekt zu bleiben? Wagner bringt mich in Verlegenheit.

III.    In Bayreuth ist es ja so: Während die Kanzlerin mit Wotan hübsch Häppchen isst, stärken sich die wirklich Eingeweihten in der Pause im nahe Kneipp-Bad mit Bier und Wiener Würstchen für fünf Euro. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass die Kanzlerin das früher auch gern getan hätte. Aber die Knackärsche von der GSG9 wären wohl dagegen. Wie dem auch sei: In der Schlange hinter mir zwei Männer: „Wenn der Castorf eine eigene Oper schreiben will, dann soll er es doch tun, aber Wagner in Ruhe lassen. Zu dieser Inszenierung fällt mir nur ein Wort ein: Scheiße.“

Also, meine belanglose Meinung zu all dem ist, dass Wagnerianer grundsätzlich ein böses Volk sind, und dass man manchmal wünscht, taub zu sein, dass sie Wikipedia nutzen würden, oder dass sie einfach ins Musical gingen. Wie dem auch sein, Fränkie, mein kleiner Muskelprotz: Keine Angst, sie hassen Dich noch immer!

 

So, und was ist das nun mit dem Kirill Petrenko, dem Dirigenten? Wieder einhelliges Lob. Und wieder bleibe ich ein bisschen zu unberührt von ihm. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Das ist ein tolles Dirigat! Sängerfreundlich, transparent, leise, spannungsvoll in all seiner Langsamkeit (siehe Tagebucheintrag drei). Aber....

Auf dem Künstlerempfang höre ich nur Gutes, die Klugheit des jungen Maestro, seinen Sinn für Ensembles, ungehörte Stimmen – ja, ja, ja! Und ich will ja auch gar nicht kritisieren. Aber ich bin auf der Suche nach meiner inneren Stimme. Nach meinem inneren Ohr. Und irgendwas kratzt da.

Das ist schon groß, wie die Klarinetten da plötzlich – ganz Wagner – Jazz spielen, wie es am Ende wirklich donnert und kracht, wie sich alles entschleunigt. Aber ich bleibe dabei: Dieser „Ring“ wirkt auf mich etwas konstruiert, ein wenig zu sehr behauptet, ein bisschen zu akademisch – ich höre da überall gehobene Zeigefinger, Gesuchtes und Gefundenes – aber das Herz, es pocht nur stellenweise.

Das Lob der Arbeit ist Grundlage des Sozialismus!

Eines kann niemand behaupten: Dass Fränkie Ponnelle sich keine Gedanken macht. Auch er taucht, ebenso wie Petrenko, immer wieder in Details ab: Wotan, der Wodka säuft, bevor er Brünnhilde Schlafen legt, Eherherrin Fricka als Kleopatra-Wiedergängerin, die Gesichtsausdrücke der Brünhilden, der feine Schnitt der Video-Projektionen. Und: die akribische Bühne und die Ausstattung. Ey, Fränkie, bevor Du nächstes Mal im „Spiegel“ von Provinz palaverst – so eine Bühne, solche Kostüme und Requisiten baut Dir niemand anderes in der Welt! Lerne mal, Dich einfach zu freuen, dass Deine Phantasien Wirklichkeit werden. Das Lob der Arbeit ist schließlich Grundlage des Sozialismus!

***

Wie viele Sänger sind am Wotan gescheitert, das höher gelegte „Rheingold“ – okay. Aber in der Walküre, diesem Marathon für Sänger, brechen sie oft ein. Wolfgang Koch ist, um es kurz zu sagen: eine Offenbarung.

Schade, dass der Fränkie noch nicht ganz Ponnelle ist und seine Walküren ein bisschen im Off absaufen lässt. Franz-Josef Selig aber ist ein böser Hunding, wie er ihn sich wünscht: Ein Manager-Typ, auch in der Stimme, ein vokaler Imperativ!

Dass Castorf es aber schafft, selbst das Opern-Schwergewicht, den monumentalen Klangstein mit genialer Old-School-Stimme, Johann Botha, in Szene zu setzen, ist bisher nur wenigen Regisseuren gelungen.

Anja Kampes Sieglinde ist heldenhaft groß, beim Welterlösungsmotiv sogar fast zu groß – so wie ein Schlusspunkt der Tetralogie. Böse ging das Publikum mit Catherine Fosters Brünnhilde ins Gericht. Es tat in der zweiten Pause, was Castorf sich wüscht: es buhte. Kampes hat das zum Glück persönlich genommen und einen fulminanten dritten Aufzug hingelegt. Bravo!

***

Es ist spät in Bayreuth. Angela Merkel liegt wahrscheinlich schon im Bett. Vielleicht hat sie sich Fränkies Ventilator geliehen  - er hat eh keinen. Oder sie träumt von Wotan, den in Verträge verstrickten Gott und fragt Herrn Sauer, ob  sie auch je so etwas Blödes unterschrieben hat. Nein, nicht in Aserbeidschan, nicht mit dem Putinhecht – höchstens in Bayreuth. Aber da wird die Welt wahrscheinlich gerettet, weil sie untergeht. Fränkies Muskeln sind für das Welterlösungsmotiv gestählt.

 

 

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