- Man kommt sich im Sterben abhanden
Ernst Jünger experimentierte mit Drogen, CICERO experimentiert mit Ernst Jünger: CICERO-Salon-Chef Alexander Kissler kommentiert Jüngers monumentales Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“, das gerade als Hörbuch erschienen ist, live und in Echtzeit
Es ist ein Echtzeitexperiment. Von morgens acht bis abends acht, 12 Stunden 13 Miunten ohne Pause hörte Alexander Kissler die Lesung von Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ durch Tom Schilling. Direkt, spontan und ungefiltert schrieb er seine Eindrücke nieder. Eine Liverezension.
1914: Sua sponte in den Krieg
8h00: Porridge, Birne, Kräutertee. Die Westfront kann kommen. Strahlend blauer Himmel. Wie war das Wetter am 1. August 1914, als Ernst Jünger sich freiwillig zum Krieg meldete, 19-jährig? Knabenstreiche? Tom Schilling liest und ist mit seinen 32 Jahren eigentlich zu alt. Oh Boy
[[{"fid":"62405","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":350,"width":345,"style":"margin-left: 5px; margin-right: 5px; width: 200px; height: 203px; float: left;","class":"media-element file-copyright"}}]]8h10: Heraus also will der Knabe aus dem „Zeitalter der Sicherheit", das Große, Starke, Feierliche im „fröhlichen Schützengefecht" finden. Sehr bald aber wankt eine „blutüberströmte Gestalt" dem Kriegsnovizen entgegen. Tom Schilling deutet ein Röcheln an, „Zu Hilfe!". Stimmbandroutine oder Einfühlung? Dann ist es schon vorüber.
8h25: Meldungen des Tages: Boko Haram mordet sich durch Nigeria. Zu viele Fleischgerichte in deutschen Kitas. Ernst Jünger kennt die „Qualen der Sättigung“. Es riecht nach „Speck und anderen herrlichen Sachen“. Dörrgemüse ist seine Sache nicht.
8h55: Berlin gönnt sich ein John-Lennon-Gymnasium. Tom Schilling hat es besucht. Für mich bleibt er Nachwuchskonzertmanager Harry, der in „Verschwende deine Jugend“ für ein Konzert von DAF über Gesetze geht. Damals hatte er Ernst Jüngers Soldatenalter. „Es war der Mut der Unerfahrenheit.“ An der Front wird die „lange Brandung der Einschläge“ vom „unbekümmerten Jubilieren“ der Vögel kontrastiert. Dann brennt der Wald.
9h15: Intermezzo in der Geburtsstadt. Heidelberger, nicht Hannoveraner, erst recht nicht Schwabe war Ernst Jünger. Am Neckar sieht er: „Wie schön war doch das Land, wohl wert, dafür zu bluten und zu sterben.“ Sein Heidelberg-Erlebnis, sonnenbeschienen. Friedrich Gundolf sollte bald dort lehren und sterben. Sein Krieg: der Krebs.
9h22: Mit „traurigen Gedanken“ des „Kriegers“ endet die erste CD. Doch da waren auch „witzige Zwischenfälle“ und „beliebte Scherze“. Warum aber, Ernst Jünger, ist Kaltblütigkeit eine norddeutsche Spezialität? Und was wurde aus dem „gottlos versoffenen Gesellen“?
1915: Im Graben Zuhause
9h45: Alles ist lädiert im Krieg. Sogar der Kater hat anno 1915 eine „zerschossene Vorderpfote“. Andererseits: „Der Graben stellt täglich seine tausend Anforderungen an uns.“ Man werde zum Alleskönner. Jünger schreibt nun im Präsens. Rückt ihm die Erinnerung so nah? Und wo verläuft der Graben des 21. Jahrhunderts?
10h00: Endlich! Latrinenparolen! Könnte Kevin Großkreutz den Kauf des Hörbuchs als Betriebsausgabe absetzen?
10h15: Tom Schilling, glaube mir, wir sind hier nicht beim Vorsprechen. Du musst die Dialogpartien nicht gestalten, musst nicht in Rollen und Posen flüchten und noch in der letzten Reihe verstanden werden. „Der Franzmann ist am Laufen. - Du! - Nach links folgen! - Tut's sehr weh? - Armer Tommy, da bleibt kein Auge trocken.“ Klingt nach Puppenspiel und Bauchrednertum. Ist aber nur eine Phase, dem Tagebuch sei Dank.
10h30: An Kaffee mangelt es nicht. Auch im Stellungskrieg gibt es „Hering mit Pellkartoffeln und Schmalz. Ein köstliches Essen.“ Darüber aber ist mein Kräutertee kalt geworden. Auch „ameisenhafter Kaltblütigkeit“ kann ich mich nicht rühmen. Da, schon wieder stirbt einer. Kugeln sausen, „ohne uns jedoch beim Kaffeetrinken stören zu können.“
10h41: Der spanische König dankt ab, Uli Hoeneß ist auf dem Weg nach Landsberg, und Ernst Jünger reitet über ein Kleefeld in den Sonnenuntergang. Das war die zweite CD.
11h05: Der sehr alte Jünger schrieb einmal, Unglück sei verflochten - „daher die Pechsträhnen. Gibt es zum Beispiel Ärger mit der Frau, so überträgt er sich auch auf die Gesundheit und die Finanzen. Diese drei Güter sind voneinander abhängig.“ Davon kann in der Materialschlacht an der Somme keine Rede sein. Hier splittern nur Männerschädel.
11h25: Ein neues Hauptwort schält sich heraus. Nach „Splitter“ und „Mine“ nun „Gas“, auch als „Blasangriff von reinem Chlor“. Verheerend sind die Wirkungen, doch Jünger entsagt dem Ästhetizismus nicht. Eine „schöne grüne Patina“ zaubert das Gas auf die Granatsplitter. Das Sterben und Töten hat seine eigene Struktur. Jünger, der künftige Monsieur le vivisecteur, behält sein „kleines Untergefühl der Zuversicht“. Es sei „ein Jammer, solche Kerle totschießen zu müssen.“ Prächtige Burschen auch auf der Gegenseite. Tom Schillings Stimme zittert nicht.
11h50: Für Jünger gilt: Auch ein Bild des Grauens ist ein Bild.
11h58: Albums! Ich bin entsetzt! Jünger schreibt, Schilling spricht hier tatsächlich von „Albums“! Und gleich hinterher eine Fast-Nacht des Todes – keine Fastnacht? Ansonsten erschöpfte Körper, starre Augen, Leichengruppen und dieser süßliche Geruch, business as usual. Die dritte CD ist vorüber. Mahlzeit.
12h15: Pruuuch - Pruuuch. Jetzt imitiert der Vorleser die Einschläge der Granaten. Nein, Tom Schilling, das geht gar nicht. Der Glücksdrache Fuchur und auch der Schmunzelhase kamen nicht bis Guillemont.
12h20: Der „uralte Kriegerruf“ lautet also „Ich habe einen weg“? Man lernt nie aus. Gerade als ehemaliger Zivi.
12h40: Unterstand, Hohlweg, Granattrichter, Schrapnell. Jeder Beruf hat seine Sprache. Als Kriegshandwerk erscheint hier alles, als „anstrengende Arbeit“, wobei gelte: „Die Gefahren des eigenen Berufes kommen einem sinnvoller und weniger schrecklich vor.“ Der Krieg entlarvt diese Maxime. Jünger hielt im Schrieben bis zuletzt daran fest: „Überwindung der Todesfurcht ist Aufgabe des Autors; das Werk muss sie ausstrahlen.“ Geboren übrigens wurde er in jenem Jahr, da die Röntgenstrahlen entdeckt wurden. Strahlungen von Anbeginn, Zufall und Bedeutung.
1916: Als Kriegsheld verewigt
13h05: BREAKING NEWS! EISERNES KREUZ ERSTER KLASSE FÜR ERNST JÜNGER! Der Beobachtungsoffizier an der Westfront hatte laut eigener Aussage mit einem Anpfiff gerechnet, war dann umso gerührter von diesem Pflaster für seine Wunden. Der Wille, so Jünger Ende 1916, sei seinem Körper oft entgegengekommen. Gerade die höchste Nähe des Todes habe in ihm keine Furcht, sondern eine fast dämonische Leichtigkeit ausgelöst. Er wisse nun fest, dass der Sinn des Ganzen alle Eindrücke bestimme. So ließe sich auch eine Schlacht, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte, überstehen. Im Rahmen der Feierlichkeiten wurde Kaffee gereicht.
13h21: So lugt der Frontsoldat ins kommende Jahrhundert: „Wir verwandelten das Land, das den vordringenden Gegner erwartete, in eine Wüstenei.“ Derlei planmäßige Zerstörung sei mit dem „ökonomischen Denken“ der Epoche verknüpft und schade der „Manneszucht“. Dank im Boden verscharrter Zeitbomben, „Teufelseier“ explodiert dennoch ein Rathaus, darinnen die Gegner der Deutschen ihren Sieg feiern. Blut ohne Humor, Kampf ohne Heiterkeit. Das war die vierte CD.
13h50: Ein Armstumpf, herausquellende Eingeweide, die linke Hüfte weggerissen. Das Dorf Fresnoy wird beschossen, auch „ein spannender Anblick“. Ihn machte sausender Dreck einst munter, nun muss es Cherry Brandy sein für Truppführer Jünger. Er trinkt ihn rasch. Ich lerne: Kräutertee ist zu wenig für dieses Hörbuch und gänzlich unangebracht. Wechsle spontan zum Kaffee. Was trank Tom Schilling? Sachdienliche Hinweise erbeten.
1917: Im Sterben verblassen Unterschiede, da ist immer nur Fleisch, das vergeht
14h44: Nun geht’s „nordwärts nach Flandern“, gen Langemarck. August 1917. Wie selbsttätig setzt sich die Truppe in Bewegung. Wer befiehlt? „Das Wirkliche ist ebenso zauberhaft, wie das Zauberhafte wirklich.“ (Jünger, 1930) Zuvor war mit einer Formulierung, die Peter Tauber (CDU) nicht gerne hören wird, „mit wütendem Hurra“ nämlich, ein Wäldchen eingenommen worden, in dem sich Inder verschanzten, Hilfstruppen der Engländer vom Subkontinent. Damit verabschiedet sich die fünfte CD. Ihr ist die bisher zentrale Formulierung zu entnehmen, Jüngers „sachliche Freude an der Gefahr“. Darauf werden wir unbedingt zurückkommen.
15h10: Tod bringt Tod hervor und lässt das Leben gedeihen. „Es war kaum erklärlich, dass ich nicht getroffen wurde.“ Im Sterben schwinden die Unterschiede, da ist immer nur Fleisch, das vergeht und entzwei birst und schreit und wimmert und verpufft. Die Monotonie des Untergehens macht das Tagebuch zur Litanei, deren „fast lustige Gleichgültigkeit“ fasziniert und abstößt, befremdet und immer weiter drängt. Die Form bezwingt – den Inhalt und den Hörer, gerade in der ostentativen Sachlichkeit. Aus Formlosigkeit wird Gedicht, eine Blume des Bösen. Algabal im Mündungsfeuer.
15h35: „Jeder hat eben seinen eigenen Spleen“. Derjenige Tom Schillings ist die Versuchung zum sprachlichen Grimassieren. Endlich hält er sich in Zaum. Auch darum ist das Langemarck-Kapitel, in dem sich die Poesiewerdung des Tagebuchs vollzieht, der bisherige Höhepunkt. Atemlos. Zugleich wird die Menschheitskatastrophe „im Trichter“ überhöht ins Naturwüchsige. Geschosse wühlen den Boden auf „wie große Tiere“, ein „Hagel von Splittern wie von Regenschauern“ geht nieder, Flugzeuge wie „niederstoßende Geier“, die Front als „bösartige Naturlandschaft“. So kehrt die Moral zurück, die aus der Menschenwelt ausgebürgert wurde. Welch kolossale Schubumkehr.
15h50: Nun geht’s steil bergab. Nur dünne Mittagssuppe nebst einem Drittel Laib Brot mit „halb verdorbener Marmelade“, um das es sich mit einer Ratte zu balgen heißt. Aber „Rotwein mit Eiercognac“ steht parat. Wer Sorgen hat, hat auch Likör, und die Sorgen wachsen in der zweiten Jahreshälfte 1917. Schlechte Karten für die „Metaphysik des Speisewagens“, wider die Jünger so gerne zu Felde zog.
16h04: Die sechste CD ist Geschichte. Sie brachte die Erkenntnis, worum es sich bei diesem Werk eigentlich handelt: um ein Kolumbarium. Es verwahrt und nennt die Toten bei Namen. Rittmeister Böckelmann, Oberleutnant Büdingen, Offizier Ehlert und viele, viele andere sind ins Tagebuch hinüber gerettet. Aus der Hexenschaukel ins Stahlgewitter und damit ins Gedächtnis. Die „wirbelnde Vernichtung“ steht still im Buch. Das gibt ihm den Medusenblick.
16h20: Spähoffizier ist er mittlerweile, der Kamerad Jünger. Hätte man ihm begegnen wollen? Margret Boveri beschrieb in den 1950er Jahren eindringlich die „konzentrierte Schärfe“ seiner Augen, denen jede „füllende, ausgleichende Substanz“ fehle. Sie seien „wie Salzheringe oder Sardellenpaste, man braucht viel Brot und Butter dazu, dann wird es ausgezeichnet, aber allein ist es nicht gut erträglich.“ Hier, an der Front, 40 Jahre eher, ist Butter Luxus. „Es war ein erbärmlicher Vormittag.“ Die Kriegszucht bröckelt.
16h35: Ausspruch eines Soldaten: „Lieber Gott, lass Abend werden, Morgen wird’s von selber.“ Heute, in europäischer Friedenszeit, lautete das Stoßgebet wohl umgekehrt.
16h50: Hätten die Deutschen ohne Richard Wagner den Ersten Weltkrieg überhaupt führen können? Sie suchten die „Siegfried-Linie“, fanden die „Wotan-Stellung“, und zum Festmahl reichte man „Hecht à la Lohengrin“. Kein Wunder, dass am Ende Walhall brannte und die Götter flohen.
1918: Frühjahrsoffensive und Untergang
17h23: Jünger gönnt sich eine Extraportion Stolz auf sich und seine Leute. Stoßtruppführer seien „Fürsten des Grabens“, „Männer, die ihrer Stunde gewachsen waren,“ und derer niemand gedenke. In einem Aufsatz las ich, die publizistische Verarbeitung der eigenen Kriegserlebnisse diente auch dem Zweck, „Geld zu verdienen. Die bestens organisierten Weltkriegs-Veteranen waren eine ertragreiche Zielgruppe.“ Jünger war jung, 25-jährig, als „In Stahlgewittern“ das erste Mal erschien. Das aber war die siebte CD. 1918 hat begonnen.
17h40: „Im Kriege lernt man gründlich, aber das Lehrgeld ist hoch.“ Der Blick ins Booklet gibt die ganze Wahrheit kund. Es wurde an der falschen Stelle gespart. Statt eines Regisseurs spendierten Bayerischer Rundfunk und Hörverlag einen Redakteur, den rührigen Antonio Pellegrino. Gar so viel, wie Jünger gesagt hätte, désinvolture, Nicht-Verwickeltheit hätte es dann doch nicht sein müssen. Tom hätte es gut getan. Vielleicht aber gilt auch hier Jüngers Einsicht aus dem „Gordischen Knoten“: „Niemand springt über seinen Schatten, über seinen eigenen horoskopischen Ort.“
18h05: Zum (Sprach- und Hör-)Raum wird hier die Zeit. Auch dieses Erbe ist wagnerianisch. Wer wo auf wen schießt, wird stets benannt und verliert doch jede Ortung im Blutfest. „Man tötete sich, ohne sich zu sehen.“ Die Frühjahrsoffensive 1918 eskaliert.
18h20: In der „Schere“ wird Jünger schreiben: „Der Mensch ist ein Wesen, das bestattet – das ist sein Kennzeichen schlechthin. (…) Darauf beruht die Kultur.“ Genau deshalb fiel dieser Krieg aus den Bedingungen des Menschlichen heraus, die Jünger verdichtet sah zwischen Artilleriefeuer und Kolonnenmarsch. Hier wurde getötet und krepiert, doch selten nur begraben. Ohne Humus keine Humanitas.
18h36: „In solchen Lagen muss man Fatalist sein.“ Das sage ich mir auch, am Ende der achten CD, da ein Soldat mit Kindergesicht in den Tod hinüber schläft, sich windend wie ein Katze. Jüngers Fatalismus war die Lizenz zum Mundraub. Er genoss den „köstlichen Inhalt einer erbeuteten Stachelbeermarmelade“. Wer mag es ihm verdenken.
18h50: Stahlhelm statt Pickelhaube, Gasmaske statt Mundschutz, Maschinen- statt Zündnadelgewehr. Das alles waren militärische Fortschritte. Aber Fortschritt, beharrte Jünger, diese „große Volkskirche des 19. Jahrhunderts“, sei eine Illusion. Wirklichen Fortschritt macht im Krieg nur der Tod, und „der Tod hielt reiche Ernte.“ So war es, so ist es.
19h05: Die große Schlacht ist im Juni 1918, „strategisch gesehen, gescheitert.“ Jünger spürt die große Niederlage als Möglichkeit. Der ästhetische Blick aber triumphiert. Ein Geschwader erscheint am Himmel dank des Abendsonnenlichts „wie eine Kette von Flamingos, getaucht in zartes Rosenrot.“ Anders verhält es sich mit Köpfen, aus denen die Augen herausgetrieben waren.
19h25: „Es war eine seltsame Zeit“ – und Jünger ist nicht der, sie einzurenken. Er ist der Blick, der standhält, die Stimme, die sich selber singt. Seine „Stahlgewitter“ sind deutsche Kriegschronik, nicht Kriegspropaganda. Weltliteratur, da der Krieg um die Welt in selbiger war. Und ein Versuch, den Mensch als amoralisches (nicht unmoralisches) Wesen zu zeichnen, damit die Frage nach der Moral zur denkbar größten Leerstelle wird. Füllen muss sie jede/r selbst.
19h51: Endspurt in den Untergang. Das war die neunte und vorletzte CD. Ein neuseeländisches Kontingent hat den Muldengraben eingenommen. Erdstrahlen aus farbigen Dämpfen, Wolken von Splittern, Alptraum wird alles, der Mensch ein gesiebtes Tier. Der Feind ist übermächtig. „Wir hatten ihnen immer weniger Männer entgegenzustellen, oft fast Kinder. (…) Jeder wusste, dass wir nicht mehr siegen konnten. Aber wir konnten standhalten.“ Jünger überlebt. Und Tom Schilling bleibt der Verbalsperenzien entwöhnt. Im Gleichmaß kollern die Silben.
20h03: In einem berühmten späteren und noch später revidierten Wort aus den „Strahlungen“ will Jünger die Menschen more zoologico ansehen. Hier schon erscheint es ihm in Todesnähe, „als ob ich mich selbst mit einem Fernrohr beobachtete.“ Man kommt sich im Sterben abhanden, kann das heißen. Oder man wird entrückt zur Kenntlichkeit.
20h20: Das war Ernst Jünger „In Stahlgewittern“. Es folgt, im klassischen Altersdiskant, seine Dankesrede zur damals hoch umstrittenen Verleihung des Frankfurter Goethepreises 1982. Dazu gäbe es viel zu sagen, besonders zum leitenden Motto, die Hoffnung führe weiter als die Furcht. Doch nicht hier, nicht heute, nicht von mir. Die „sachliche Freude an der Gefahr“ hätte mit dem Leben bezahlt werden können, endete aber im glückhaften und ganz unwahrscheinlichen Überstehen. Darauf anzustoßen, habe ich keinen Burgunder zur Hand, in den ich Erdbeeren werfen könnte. Auch Eiercognac und Cherry Brandy sind außer Haus. So bleibt ein Monzinger Frühlingsplätzchen. Und Luft und Bäume und kein Krieg. Heute darf niemand mehr sterben.
Das Buch „In Stahlgewittern“ gehört zu den berühmtesten und umstrittensten Werken der deutschen Literatur. Ernst Jünger wurde durch sein im Jahr 1920 erschienenes Kriegstagebuch zum Helden seiner Generation. Tabulos und unmittelbar beschreibt Jünger die Grausamkeit des Ersten Weltkrieges an der Westfront zwischen Januar 1915 und August 1918. Kritiker warfen ihm jedoch vor, den Krieg zu verherrlichen.
Anfang Mai erschien das Meisterwerk komplett in voller Länge als Hörbuch: Ernst Jünger - In Stahlgewittern, O-Ton, ungekürzte Lesung, von Tom Schilling - 10 Audio-CDs, Laufzeit: 733 Minuten, Hörverlag
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