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Streit um Homo-Ehe - Geht's auch mit weniger Pathos?

Kisslers Konter: Ein offener Brief an die Kanzlerin fordert die „Ehe für alle“. Das Anliegen ist legitim, die Rhetorik aber fragwürdig. Es handelt sich um keine Schicksalsfrage der Menschheit, sondern um ein reguläres politisches Anliegen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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So sehr ich mich bemühe, es will mir nicht gelingen: Keine Nachrichtenseite im Internet wüsste ich, auf der nicht an prominenter Stelle über die „Homo-Ehe“ berichtet wird. Und Berichten meint in der Regel Werben. Mit der Lupe zu suchen sind Nachrichten, Kommentare, Reportagen – das geht munter durcheinander –, die nicht für die völlige rechtliche Gleichstellung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe votieren. Was Mann und Frau seit Jahrhunderten tun, müssten endlich auch Mann und Mann und Frau und Frau tun dürfen sollen. So lautet der großmediale Tenor.

#EheFürAlle
 

Bisher hat mich dieses Thema kaum interessiert. Ich vermag ihm nicht jene Bedeutung beizumessen, die ihm medial verliehen wird. Wenn einer Minderheit es gelingt, eine parlamentarische Mehrheit für ihr Anliegen zu mobilisieren, akzeptiere ich es als Demokrat und gratuliere. Ich bin zwar nicht der Meinung, dass die Kirchen mittun sollten bei der Dehnung des Ehebegriffes. Ich widerspreche jenen protestantischen Stimmen zwischen Heinrich Bedford-Strohm und Margot Käßmann, die, weil im Protestantismus die Ehe kein Sakrament ist, die Ehe für einen Sammelbegriff je neu zu definierender menschlicher Schnittmengen nehmen. Andererseits mag, wer seine Beziehung vom Staat zertifiziert sehen will, für dieses säkulare Recht eintreten, und der Staat darf jenseits kirchlicher Begründungszusammenhänge frei verfahren. Das Anliegen ist legitim, wenn auch stellenweise komisch: „Da kann man mal sehen“, spottete einst der Kabarettist Günter Thews von den „Drei Tornados“, „was für konservatives Gesocks in der Bewegung drinnehängt“. Er meinte Homosexuelle, die heiraten wollen.

Nichts kommt derzeit geschwinder, leichter, risikoloser von den Lippen als der Appell zugunsten der „Ehe für alle“ – ohne dass die Frage beantwortet würde, wer denn „alle“ sind. Es handelt sich ja nicht um eine „Ehe für jede und jeden“. Dass der qualitätslose, unpersönliche Maximalbegriff „alle“ letztlich die Grenzen der Gattung hinter sich lässt, scheinen dessen Anwälte nicht  bedacht zu haben. Noch stutziger macht ein moralisch hochfahrender, stellenweise hohltönender Appell, den der „Spiegel“ veröffentlichte. Ein offener Brief an Angela Merkel fordert die „Eheschließungsfreiheit für gleichgeschlechtliche Paare“. Es ist ein stilistisch unsicherer Text, der seine Argumente am Schluss einkassiert, die er zu Beginn aufgebaut hat und der so gerade nicht an das Gewissen appelliert, sondern an die Anständigkeit: Anständige Menschen sind Menschen, die die #EheFürAlle begrüßen.

Zu den Unterzeichnern gehören Moritz Bleibtreu, Patrick Lindner und Til Schweiger
 

Die Anständigen ließen sich nicht lange bitten. Wer bescheinigt sich dieses Urteil nicht gerne selbst? Til Schweiger, Moritz Bleibtreu, die Brüder Kaulitz, Dirk Niebel, Katrin Müller-Hohenstein, Patrick Lindner und Benno Fürmann zählten zu den rund 150 Erstunterzeichnern. Ob sie von dem politischen Anliegen bewegt sind oder bei den Guten dabei sein wollen: Das verschlägt nichts. Sie stehen mit ihrem guten Namen dafür ein. Keine Petitesse ist hingegen die Frage, warum die Initiatoren des Appells, deren Namen mit Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer angegeben werden, ihr demokratisches Recht mit jakobinischem Trommelwirbel unterlegen. Als schrieben wir nicht den Juni 2015, sondern den Frühlingsmonat Prairial, lesen wir: „Unser aller Verständnis von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit“ stehe auf dem Spiel. Es gelte, „künstliche Barrieren, die uns voneinander trennen, einzureißen und das Menschsein gemeinsam zu feiern“. Ein Zurück gebe es nicht, „das Licht der Aufklärung lässt sich nicht wieder verdunkeln“. Gleichheit und Freiheit und Gerechtigkeit verlangten an diesem „historischen Wendepunkt“ gebieterisch die #EheFürAlle, für unser Land, in diesem Land. Ein Saint-Just, ein Robespierre hätten es nicht feuriger formuliert.

Liebe Initiatoren, habt Ihr zu lange „Dantons Tod“ gelesen? Geht es nicht eine Nummer kleiner, eine Spur pragmatischer? Was soll diese tribunalistische, sich überschlagende Rhetorik, dieses Pathos aus vergangenen Tagen, was soll die Rede vom gemeinsam gefeierten Menschsein? Wir Menschen sind Menschen, immer, bedingungslos, auch und gerade in Stunden, in denen wir unser Dasein nicht feiern. Soll die Ausnahmesituation, die ein Fest naturgemäß ist, durch einen Verwaltungsakt des Staates verstetigt werden? Und wäre ein Leben, das nur aus Festen besteht, nicht der perfekte Albtraum, ein absolutistischer Fieberwahn? Und hat, wer „kein Zurück“ dekretiert, nicht schon die „Angstpeitsche“ (Noam Chomsky) in der Hand für jene, die beim Marsch nach vorne zögern, tändeln, nicht mitmarschieren wollen?

Fraktionszwang aufheben
 

Überhaupt darf bezweifelt werden, dass der verhandelten Frage eine solch epochale Aussagekraft zukommt. Ist die „Ehe für alle“ der eine Punkt, an dem die Berufung der Menschheit zu Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit verspielt oder gewonnen wird? Er ist eine legitime politische Forderung, über die auf parlamentarischem Weg entschieden wird, nichts mehr, nichts weniger. Die pathetische Unwucht des „Offenen Briefes“ könnte sich einer radikalen Ungeduld verdanken. Soll die „Ehe für alle“ hier vielleicht das Cachet sein einer gesamtgesellschaftlichen Umwälzung größeren Ausmaßes? So klingt es im Brief.

In einem ist den Initiatoren zuzustimmen: Auch wenn ihnen der Beweis misslang, dass es eine Gewissensfrage sei – die finale Pointe lautet ja, dass alle Menschen, die diesen Titel verdienen, auf der Seite der Befürworter stehen müssten, das Gewissen also immer zur Pro-Seite sich neige. Trotzdem haben die Initiatoren recht mit ihrer Bitte an Angela Merkel, den Fraktionszwang aufzuheben. Hier sind Fragen des Selbst- und Weltbildes tangiert, die das Raster einer Parteilosung übersteigen. Darüber hinaus bleibt zu hoffen, es fänden sich nun auch 150 mutige Prominente zusammen, die das Gegenteil fordern und die „Ehe für alle“ zugunsten der Ehe ablehnen. Soviel Streit, soviel Unanständigkeit muss sein. Wir nennen es Demokratie.

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