
- „Scheiß doch auf die Kohle!“
Er grinst als gäbe es kein Morgen mehr: Jürgen Vogel. Cicero Online sprach mit dem Schauspieler über seinen neuen Film„Gnade“. Außerdem erklärte er, warum Politiker Verbrecher sind, er den Tauschhandel wieder einführen und eine Stadt aus Scheiße bauen will
Ein kleines feines Stadtpalais in Berlin Charlottenburg. Fünf Sterne, preußisch-mediterran. Die freundliche Dame vom Empfang geleitet mich mit festgeklemmtem Lächeln in den überdachten Innenhof. Japanischer Garten inklusive. Ein PR-Mädel macht einen hektischen Haken hinter meinen Namen, der Pferdeschwanz wackelt, und bedeutet mir einen Platz auf der Journalistenbespickten Sitzecke, in die ich etwas umständlich gleite.
Auftritt Jürgen Vogel: Locker-lässig kommt er aus dem Interviewraum gegenüber geschwoft, Jeans, Karohemd, lichtes Haupthaar, Fünftagebart. Der Vogel halt. Das Smartphone in der einen, Zigarette in der anderen Hand grinst er sein einzigartiges Jürgen-Vogel-Zahnlückengrinsen in Richtung der nun ebenfalls grinsenden Journalistenmeute. Augenzwinkern, Piff-Paff-Pistolengeste, jippie yeah. Und ich muss mich anhalten, mit dem bereits gezückten Zeigefinger samt Daumen nicht zurückzuschießen. Sichern, entladen, wieder einstecken.
Nach einer Zigarettenlänge winkt das Pferdeschwanz-PR-Mädel, der Jürgen Vogel sei nun soweit. Mein Körper löst sich geräuschvoll vom klebrigen Lederpolster. Die Herren Kollegen überhören das diskret. Hüpfenden Schrittes geht es auf die andere Seite, Herr Vogel, Guten Tag, wieder wird gegrinst, Handshake und ab durch die heilige Interviewzimmerglastür an den einzigen bestuhlten Tisch im Raum. Dem Sohnemann eben noch einmal schnell über den Kopf getätschelt und seiner Mutter an die Hand gegeben, schwoft Jürgen Vogel mit etwas Verzögerung hinterher und berlinert: „Kann et losjehn?“ Mein Gott, diese Zähne!
Und, will der auch schon vor die Kamera
(gemeint ist der kleine Sohn)?
Um
Gottes Willen! (lacht) Verhindern kann man das ja nicht.
Aber ich glaube, man tut seinen Kindern damit keinen Gefallen. Das
Kostbarste, was sie haben, ist ihre Anonymität, das Privileg, sich
außerhalb der Öffentlichkeit zu entwickeln. Dazu gehört auch, ganz
viele Fehler machen zu dürfen. Und das geht nicht, wenn man ständig
unter Beobachtung steht.
Welche Rolle räumen Sie den Medien in Ihrem Leben
ein?
Für mich ist das ein Spiel, ein erhöhtes Spiel an
Informationen, die fließen – oder eben auch nicht. Guter
Journalismus hängt vom Journalisten und von seiner Bereitschaft ab,
sich auf das Projekt, die Arbeit, den Film – was auch immer –
einzulassen. Schreiben ist ein Talent, eine Kunstform, bei der sich
die Spreu vom Weizen trennt. Davor habe ich Respekt. Ich bin nach
dem Interview wieder weg. Was Sie daraus machen, ist Ihr Ding.
Interessiert es Sie denn gar nicht, was hier am Schluss
rauskommt?
Nee. (lacht) Gut, sagen wir so:
Aufgrund meiner Erfahrung schließe ich bestimmte Formen des
Journalismus schon von vornherein aus. Frau und Herr Soundso von
den Boulevardblättern hätte ich gar nicht erst eingeladen. Ich habe
keine Lust, mit Leuten zu reden, die ihren Beruf nicht
verstehen.
Kommen wir zu Ihrem neuen Film: „Gnade“ handelt von
einer deutschen Kleinfamilie, die in Norwegen einen hoffnungsvollen
Neuanfang plant, bis ein schrecklicher Unfall passiert, der alles
in Frage stellt. Regisseur Matthias Glasner hat gesagt, Sie hätten
beim Drehen am Rande des Eismeers alle existenzielle Erfahrungen
gemacht. Was war die existenzielle Erfahrung für Jürgen
Vogel?
Dass man hier so vollkommen reduziert ist auf
sich selbst – reduziert in der Einsamkeit. Ein halbes Jahr in der
Dunkelheit, dieser ewige Dämmerungszustand. Ich könnte so nicht
leben.
Lässt sich die Polarnacht als Chiffre verstehen, als
Metapher für den eigenen Dämmerungszustand, der sich im Film ja
nicht nur faktisch nach sechs Monaten sondern auch innergeistlich
nach und nach auflöst?
Absolut. Man ist hier sehr mit
sich selbst beschäftigt, weil man sich den ganzen Tag extrem spürt,
allein durch das Frieren. Der Körper arbeitet permanent gegen
etwas, er kämpft, die ganze Zeit. Du versuchst ständig, dein
Gesicht aus dem Wind zu nehmen. Deine Stimme wird brüchig, das
Sprechen strengt an. Aber irgendwann steigt die Sonne Richtung
Horizont.
Seite 2: Wir brauchen einen Volksentscheid beim Thema Organspende
Dabei spielt das Leiden eine Rolle, das körperliche wie
das seelische. Erlauben Sie sich, zu leiden?
Ich leide
in den Figuren, die ich spiele. Das ist ein Teil von uns.
Können Sie Gnade vor Recht gewähren lassen?
Das kommt darauf an. Ich denke, man ist nicht prinzipiell ein
gnädiger oder nicht-gnädiger Mensch. Am Ende hoffe ich, dass jeder,
ganz gleich, was ihm widerfahren ist, irgendeine Form von Gnade
erfährt.
Der Film zeichnet am Schluss eine positive Utopie.
Halten Sie das für realistisch?
Es ist zumindest eine
Option. Ich finde es aber schön, dass der Film einen versöhnlichen
Ausgang nimmt, mit der Hoffnung, dass Gnade schließlich Erlösung
bringen kann.
Dass Eltern sechs Monate nach dem Tod ihres einzigen
Kindes lächelnd am Lagerfeuer mit den Menschen sitzen, die dafür
verantwortlich sind, das halten Sie als Fünffach-Vater auch nur
vage für wahrscheinlich?
Man muss das mit Distanz
betrachten. Es ist eine kleine Gemeinde, ein Mikrokosmos.
Letztendlich muss man sich überlegen, welche Möglichkeiten es für
jemanden gibt, mit dem Leben nach einem solchen Schicksalsschlag
weiterzumachen. Es gibt Beispiele von Menschen, die sich die
Hinrichtungen von den Mördern ihrer Familienmitglieder angesehen
haben. Das hat nicht zur Erlösung geführt, sondern einfach nur zum
Abschluss einer langen Reise, an dessen Ende nur wieder der Tod
steht. Ob das dann den ersehnten Seelenfrieden schafft, ist
fraglich. Ich kann auf jeden Fall verstehen, dass diese Menschen in
einer Welt, in der man so eng zusammenlebt, einen Weg gefunden
haben, zu sagen: Egal was ich jetzt tue, mein Kind kommt nicht mehr
zurück.
Sie engagieren sich sehr für die
Organspende. Vor ein paar Wochen kam ans Licht, dass Mediziner
der Universität Göttingen und Regensburg Krankenakten gefälscht
haben, um so an Organe für ihre Patienten zu kommen.
Nun liegt ein ähnlicher Fall in München vor. Wie stehen Sie
dazu?
Ich will mir nicht anmaßen, über Ärzte zu
urteilen, die mit ihrer Entscheidung – ob das nun nach Protokoll
verlief oder nicht – ein Leben gerettet haben. Das geht meiner
Meinung nach auch an der eigentlichen Debatte vorbei. Denn Fakt
ist, dass wir jedes Jahr viele gesunde Organe begraben, während
andere Menschen sterben. Warum machen wir es uns allen nicht ein
wenig einfacher und sagen: Jeder sei von Grund auf Organspender.
Und wer was dagegen hat, auch ok, der soll es sagen. Hier geht es
doch vor allem um ein organisatorisches Problem. Aber nein,
stattdessen starten wir alle vier, fünf Jahre eine neue Kampagne.
Das kostet ein Schweinegeld!
Also muss mehr Aufklärung betrieben werden?
Ja. Aber warum immer wieder neu? Von mir aus machen wir in drei
Jahren einen Volksentscheid darüber. Wir nutzen die Zeit für eine
gute, kontroverse Aufklärungsaktion, jeder soll sich ein Bild
machen und dann lassen wir die Leute entscheiden. Abgehakt, Thema
erledigt!
Seite 3: Eine Stadt aus Scheiße
Würden Sie sich generell wünschen, dass die Bevölkerung
öfter gefragt wird?
Ich weiß nicht, ob man zu jedem
Thema ganz unvorbereitet einen Volksentscheid machen sollte. Vieles
wird bei uns ja nicht mal richtig diskutiert, Themen, die in der
Demokratie keinen oder zu wenig Platz haben. Das kann sehr
gefährlich sein und schafft einen Nährboden für Stammtische, weil
der Mensch dazu neigt, die Dinge dann mit sich selbst zu
verhandeln. Rechtsradikalismus,
Integration – das Wort kann ich übrigens nicht mehr hören! –
Nicht-Integration, Jugendarbeitslosigkeit – Themen, die Jahrzehnte
lang komplett verschlafen wurden. Und anstatt die Problematik
frühzeitig anzugehen, zäumt man dann das Pferd von hinten auf, wenn
sowieso schon alles zu spät ist.
Macht Ihnen das Angst? Vor allem wenn Sie an die Zukunft
Ihrer eigenen Kinder denken?
Ich glaube an die
Chaostheorie. Und deswegen hoffe ich, dass das passiert, worauf ich
schon lange warte: Alles bricht zusammen und wird dann wieder
komplett neu aufgebaut. Und letztendlich ist aus aus allem, was
zusammengebrochen ist, etwas Positives entstanden. Nehmen wir den
Euro: Gut, wenn er zusammenbräche, würden wir alles verlieren. Aber
dann gibt es auch nichts mehr, was man schützen muss und man kann
sich auf das Wesentliche konzentrieren. Ich muss jedes Mal lachen,
wenn es wieder heißt, irgendeine Bank steht kurz vor der Pleite.
Ja, dann lasst sie doch pleite gehen! Das ist wie falsche
Erziehung. Wie kann man Milliarden in etwas reinstopfen, wenn man
weiß: Da ist ein Loch!
Haben Sie das Vertrauen in die Politik denn schon
gänzlich verloren?
Das sind alles Verbrecher! Das können Sie Ihnen gerne
ausrichten! Und das schlimmste ist: Die profitieren auch noch
davon! Nehmen wir die Atomenergie: Fukushima war einfach ein
schlimmer Unfall. Tendenziell waren wir gerade dabei, wieder voll
in Atomkraft zu investieren. Von allen Seiten hieß es – ganz gleich
ob CDU oder SPD –, das sei doch die sauberste Energie überhaupt.
Oh, was haben wir doch für hoch qualifizierte Politiker, die dann
auch noch bei Eon und RWE im Vorstand sitzen… Die bekommen auch
noch Geld dafür! Jetzt mal ganz im Ernst: Wie konnte man überhaupt
Atomenergie machen, ohne ein Endlager zu haben? Das wäre so, als
würde ich sagen: Ich möchte jetzt bitte einen riesen Haufen Scheiße
produzieren. Ich möchte eine ganze Stadt aus Scheiße bauen! Ich
möchte eine Firma gründen und eine gesetzliche Genehmigung dafür
bekommen. Und die sagen, ok, und wo entsorgen wir das? Und ich:
Keine Ahnung?! Ist doch aber ein riesiges Geschäft!
Also keine Gnade für die Atomlobby?
Mit der
nicht, nein.
Überkommt einen da die Ohnmacht?
Es kann ja
nur besser werden. Ich habe jedenfalls keine Angst vor der
Endstation, davor, dass Geld irgendwann nichts mehr wert ist.
Sie haben also keine Angst um Ihre
Ersparnisse?
Scheiß doch auf die Kohle! Dann back ich
mir eben ein Brot! Oder wir tauschen wieder…
Jetzt weiß ich, was Glasner meinte, als er sagte, Sie
seien angstfrei. Dass Sie unneurotisch sind, hat er übrigens auch
gesagt. Stimmt das?
Das hoffe ich wirklich sehr.
Angstfrei im Prinzip auch. Was die Arbeit angeht, auf jeden
Fall.
Und im richtigen Leben?
Es wäre jetzt
falsch zu behaupten, dass man keine hat. Angst ist jedenfalls kein
guter Begleiter.
Sie bedeutet aber auch, dass einem bestimmte Dinge etwas
wert sind.
Angst ist nur gut, wenn sie instinktiv ist.
Dann ist sie menschlich. Wenn du ein Bauchgefühl hast, dann
reagiere darauf. Menschen die Angst haben, reden nicht darüber.
Entweder sie rennen weg oder sie tun etwas dagegen. Alles was aber
im Kopf passiert, überall wo sich Leute Sachen einreden, ist was
verkehrt. Wenn das Hirn diese instinktive Angst manipuliert, dann
ist das nicht hilfreich.
Herr Vogel, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sarah Maria Deckert
Fotos: Alamode Film / Jakub Bejnarowicz
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