Neandertaler
Vielleicht war die Steinzeit gar nicht so steinzeitlich: Neandertaler in moderner Kleidung im Neanderthal-Museum Mettmann / dpa

Sachbuch im April - Zauber des Anfangs

Der Ethnologe David Graeber und der Archäologe David Wengrow erschüttern in ihrem Buch „Anfänge – Eine neue Geschichte der Menschheit“ mit anarchistischer Verve vermeintliche Gewissheiten über die Frühgeschichte der Menschheit. Demnach war die Entwicklung zum modernen Staat keineswegs so zwangsläufig, wie es uns heute erscheinen mag.

Autoreninfo

Thomas Wagner ist Kultursoziologe und Autor. Zuletzt erschien von ihm „Der Dichter und der Neonazi: Erich Fried und Michael Kühnen – eine deutsche Freundschaft“ (Klett-Cotta, 2021).

So erreichen Sie Thomas Wagner:

Wie es in der Steinzeit aussah, glaubt der Laie zu wissen – zumindest im Groben. Die Menschen kleiden sich in Felle und bewohnen behelfsmäßige Hütten. Die Frauen sammeln Nüsse und Früchte, die Männer jagen große Säugetiere. Wollen die Menschen überleben, sind sie darauf angewiesen, Nahrungsmittel sowie ihr Hab und Gut zu teilen. Für Herrscher, geschweige denn ein Staatswesen, fehlen die materiellen Grundlagen. Erst als die Nomaden sesshaft werden und den Ackerbau erfinden, legen sie den Grundstein für eine dann allerdings zwingend notwendige Entwicklung hin zu arbeitsteiligen und staatlich verfassten Gesellschaften. So jedenfalls lautet die gängige lineare Fortschrittserzählung, die unserem Schulbuchwissen bis heute zugrunde liegt. Aber ist sie auch plausibel? Immerhin sollte es noch mehrere Tausend Jahre dauern, bis jene Teile der Menschheit, die im fruchtbaren Halbmond des Nahen und Mittleren Ostens sesshaft geworden waren, die ersten Stadtstaaten gründeten. 

Mit ihrem gemeinsam verfassten Buch „Anfänge – Eine neue Geschichte der Menschheit“ sind der Ethnologe David Graeber und der Archäologe David Wengrow angetreten, diese vermeintlichen Gewissheiten zu erschüttern. Sie tun dies mit anarchistischer Verve und beeindruckender Sachkenntnis. Tatsächlich war das Leben von Jägern und Sammlern keineswegs immer ärmlicher als das von Menschen, die Landwirtschaft betrieben.

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Gerhard Lenz | Fr., 29. April 2022 - 11:43

zusammen mit fixen Ideen wie dem idealisierten Nationalstaat, dessen Volk auf Gedeih und Verderb einem starken Führer anvertraut ist.

Eigentlich gibt es genug Beispiele für das fatale Scheitern solcher Ideen - von Mussolini, Hitler, Franco oder Pinochet bis zum Gegenwartstyrannen schlechthin: Vladimir Putin. Der wiederum hat das (im Grunde immer gleiche) Modell anzubieten: Er, als sich angeblich kümmerndes Oberhaupt und Verteidiger traditioneller Werte wacht über sein Volk.

Wer davon nicht überzeugt ist, verschwindet, ist ja zwangsläufig Volksfeind...

Von Ewiggestrigen ist jedoch keine Läuterung, keine Einsicht zu erwarten. Im Jahre 2022 sitzt eine völkisch-nationalistische Partei im deutschen Bundestag, gewählt von Verführten, die deren Ideen zum Opfer fielen.

Verführte, die auch Diktatoren, Autokraten und Kriegstreiber Macht verleihen können.

Interessant in dem Buch die Erkenntnis, dass Selbstverwaltung ohne Chaos möglich war, vielleicht ist.

Sicher nicht in Deutschland...