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Matthias Brandt - „Der Zweifel gehört zum Leben dazu“

Das deutsche Feuilleton verehrt ihn, wie die Politik einst seinen Vater: Matthias Brandt, mit Leib und Seele Schauspieler und Sohn von Ex-Bundeskanzler Willy Brandt. Ein Gespräch über große Gesten, humorlose Menschen und den Schuss auf die Torwand

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

So erreichen Sie Sarah Maria Deckert:

Herr Brandt, was glauben Sie, hätte Ihr Vater eine Woche vor der Bundestagswahl der Republik den gereckten Mittelfinger gezeigt?
Keine Ahnung, das kann ich nicht beantworten. Ich bin ja nicht sein Statthalter auf Erden.

Sind Sie ein Mann der Geste?
Beruflich richte ich mich natürlich nach den Anforderungen, die sich mir stellen. Und die sind recht unterschiedlich. Im Privaten, glaube ich, eher nicht. Und dass ich nicht unbedingt ein Lautsprecher bin, das weiß man ja.

Ein Mann leiser Worte und kleiner Gesten also?
Ich hege ja die stille Hoffnung, dass es was dazwischen gibt. In erster Linie würde ich mich darauf jedenfalls nicht festlegen lassen wollen, weil ich kein Freund der Kategorisierung bin. Und ich wüsste auch nicht, warum man sich dem vorschnell unterwerfen sollte. Das passiert von außen sowieso schnell genug.

Sind Sie ein politischer Mensch?
Bin ich. Ich interessiere mich für Politik und ich habe eine ziemlich klare Meinung, oder versuche zumindest, mir eine zu bilden. Ich bin allerdings nicht politisch organisiert und hier gewissermaßen in einer speziellen Situation, da ich sehr früh gemerkt habe, dass einer politischen Äußerung von mir herkunftsbedingt eine Bedeutung beigemessen wird, die sie für mich nicht hat und auch allgemein nicht hat. Es gibt hier keine dynastische Verbindung, die meine Meinung zu etwas Besonderem machen würde. Meiner Meinung nach.

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Was, wenn sich reale politische Ereignisse mit dem Schauspiel vermengen, wie zuletzt in dem Doku-Drama „Eine mörderische Entscheidung“, das die Geschehnisse rund um den deutschen Afghanistan-Einsatz rekonstruiert. Sie spielen hier den Oberst Klein, einen gebrochenen Bürokraten, der eine Entscheidung über Leben und Tod trifft. Hat das Ihren Blick auf die Dinge verändert?
Die Beschäftigung mit jedem Thema verändert einen alleine deshalb, weil man sich intensiv mit einer Sache auseinandersetzt. Das ist übrigens ein positiver Nebeneffekt meines Berufes. Ich empfinde es als sehr angenehm, die Möglichkeit zu haben, mich so ausführlich mit bestimmten Dingen zu beschäftigen. Das ist letztlich etwas, wo sich meine Arbeit gar nicht so sehr von der Ihren unterscheidet.

Wir recherchieren beide, bis wir an einen Punkt kommen, der uns schlüssig erscheint?
Ja, so ungefähr. Wir nähern uns einem Punkt an, an dem wir ansetzen können. Ein Punkt, an dem wir einem Menschen oder einer Sache näherkommen. Manchmal gibt es eine Frage, die einem dabei durch den Kopf schießt. Und im Falle des Oberst Klein habe ich mich gefragt: Wie lebt man denn im Nachhinein mit so einer Entscheidung?

Konnten Sie diese Frage für sich beantworten?
Ich glaube, dass das gar nicht mein Ansinnen war. Im Rahmen meiner Arbeit interessieren mich Fragen eigentlich sowieso immer mehr als die Antworten. Ich kann es auch als Zuschauer ehrlich gesagt nicht leiden, wenn mir die Antworten gleich mitserviert werden.

Wie nah stehen Sie Ihrer Polizeiruf-Figur Hanns von Meuffels?
Hanns von Meuffels steht mir ziemlich nah, anders als andere Figuren, die ich spiele, weil ich ihn von Anfang an mitentwickelt habe - das passiert dann zwangsläufig. Da steckt schon eine Menge von mir drin. Auch deshalb, weil ich mir bei der Entwicklung des Charakters Zeit lassen konnte. Ich finde es manchmal schade, dass Figuren zuweilen mit Attributen überschüttet werden und die Schauspieler dann von Anfang an nicht unwesentlich damit beschäftigt sind, diese Attribute zu bedienen. Wie ein Jongleur, der gleich zu Beginn 25 Bälle in die Luft wirft, anstatt erstmal drei. Mit jedem Film, den man macht, wird man klüger. Und wie im Leben auch lernt man jemanden kennen, durch die Situationen, die er erlebt.

Auch wenn sie fiktiv sind?
Auch dann.

Ihr neuer Polizeiruf 110 heißt „Kinderparadies“. Und es gibt eine sehr schöne Szene zu Beginn, in der Sie Ihrer dreijährigen Filmpartnerin Lara ein Lied vorsingen, damit sie sich beruhigt. Ist Ihnen als Kind vorgesungen worden?

Ja, meine Mutter hat mir oft vorgesungen. Und jeder, der schon einmal ein eigenes Kind in den Schlaf gesungen hat, weiß, mit welcher Inbrunst das passieren kann.

Im Film wird ein Kita-Soziotop gezeichnet mit besonders engagierten Übereltern, wie wir sie gerade heutzutage beispielsweise in Berlin Mitte häufig finden. Nach dem Motte: Nur das Beste für unsere Kinder – zur Not auch mit Gewalt. Sind Sie als Vater auf Elternabenden für das Wohl Ihrer Tochter mit ähnlicher Vehemenz vorgegangen?
Ich glaube, dass das gerade zunimmt. Meine Tochter ist ja schon 14, deshalb ist dieser Trend der Überforderung und Überförderung an ihr wohl etwas vorbeigegangen. Dieses Überbehüten habe ich ja auch selbst irgendwie erlebt.

Gibt es etwas, um was Sie andere Kinder beneidet haben?
Ich habe andere Kinder beneidet, wie Kinder andere Kinder eben beneiden. Ich glaube, man stellt sich meine Kindheit und Herkunft spektakulärer vor, als das tatsächlich war. Sicher ist das ein Verdienst meiner Eltern, die sehr sorgsam darauf geachtet haben, dass man da nicht verrückt spielt. War eigentlich alles gut.

In der neuen Polizeiruf-Folge sagen Sie an einer Stelle mit größtmöglicher Beiläufigkeit: „Mein Vater war ein hohes Tier.“ Werden solche Sätze eigentlich nur wegen Ihnen ins Drehbuch geschrieben?
Nö.

Nerven Sie diese Augenzwinker-Pointen?
Wenn es mich nerven würde, würde ich das ja nicht machen.

Das heißt, Sie müssen sich nicht der Willkür des Regisseurs fügen?
(lacht) ... der kann sich dann ja bei mir melden, der Regisseur.

Der Regisseur war in diesem Fall Leander Haußmann. Und er hat Ihnen einen sehr guten Sinn für Humor attestiert. Wie wichtig ist Humor?
Ich finde, sehr wichtig. Aber das ist ja nichts, was man sich vornehmen kann. Humor hat man, oder man hat ihn eben nicht. Und die, die ihn nicht haben, merken es zum Glück ja nicht. Humorlose Menschen vermissen keinen Humor. Kurzum: Man ist der, der man ist. Und ab einem gewissen Alter findet man sich auch damit ab.

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Haben Sie sich mit sich abgefunden?
Ja, ich glaube schon. Die Optionen werden zumindest weniger, das Ruder komplett herumreißen zu können.

Vielleicht kommt ja doch noch eine verspätete Lebenskrise und Sie haben das unbedingte Bedürfnis Profifußballer zu werden...
(lacht) Ja, jetzt wo Sie es sagen... Sagen wir so: Bei keinem Menschen ist ausgeschlossen, dass er irgendwann doch noch verrückt wird.

Ihre Karriere wäre wahrscheinlich anders verlaufen, hätten Sie im „Aktuellen Sportstudio“ – Sie waren damals 12 Jahre alt – tatsächlich sechs statt nur vier mal auf die Torwand schießen dürfen. Zweimal haben Sie getroffen. Sitzt der Stachel noch tief?
Und ich war gerade dabei, es wieder zu vergessen... (lacht) Erst neulich habe ich davon wieder einen kurzen Ausschnitt gesehen. Ich hatte einen tollen Trainingsanzug an, blaue Hose, gelbe Jacke. Eine schöne Episode meines Lebens. Schließlich ist es nicht vielen vergönnt, im „Aktuellen Sportstudio“ auf die Torwand zu schießen. Naja, was soll ich sagen: Der Schmerz vergeht über die Jahre.

Sind Sie gerne Schauspieler?
Meistens ja.

Wann nicht?
Ich glaube, dass man das – wie alle anderen Dinge, die man im Leben mit Leidenschaft betreibt – nicht ohne Zweifel tun kann. Mit Zweifel an sich selbst und an dem was man tut. Vor allem deshalb, weil die Schauspielerei eine Arbeit ist, die so unmittelbar mit einem selbst zu tun hat. Man ist sein eigenes Instrument – ich habe ja nichts, was außerhalb von mir ist. Bei einem Musiker ist das etwas anderes, der verzweifelt auf andere Weise. Der tobt sich auf seinem Instrument aus. Ich tobe mich auf mir aus und das hat natürlich fast zwangsläufig zufolge, dass es einem damit nicht immer gut geht. Aber ich glaube auch, dass ich damit nicht allein bin. Der Zweifel gehört zum Leben dazu. Und ich finde ihn als Bestandteil eines kreativen Prozesses auch sehr wichtig.

Weil er einen anspornt, besser zu werden?
Ja, das glaube ich auch.

Eine Frage zum Schluss: Mit welcher Romanfigur würden Sie gerne mal auf ein Bier, einen draufmachen?
(überlegt) Mit Raskolnikoff. Aber ob das mit dem draufmachen so eine gute Idee wäre, da bin ich mir nicht sicher.

Kommen hier Ihre kriminellen Energien zum Vorschein?
Naja, das interessiert uns doch alle irgendwie, oder?

Herr Brandt, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sarah-Maria Deckert.

„Kinderparadies“ in der Reihe Polizeiruf 110 sehen Sie am Sonntag, 29.09.2013, ab 20.15 Uhr im Ersten

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