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Arno Declair

Macbeth-Inszenierung in Berlin - Nur der erste Mord tut weh

Mit Ulrich Matthes und Maren Eggert ist ein neuer „Macbeth“ am Deutschen Theater prominent besetzt. Ein großer Abend ist es nicht geworden. In Zeiten des Terrors hält er jedoch eine wichtige Lektion bereit

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wer zählt die Leichen, nennt die Namen? Lustvoll, ausweglos, effektvoll oder en passant wird in den Tragödien des William Shakespeare gestorben. Der Tod ist der Normalfall. Shakespeares Theater der Grausamkeit liegt viel zu nahe an den Schreckensnachrichten dieses bisher so furchtbaren Jahres 2015, als dass Deutschlands Bühnen es sich entgehen lassen könnten. Die Allgegenwart seiner Untergeher, Meuchelmörder, Diktatoren ist ein Fernrohr aus der Vergangenheit, das uns die Gegenwart zurechtrückt. Genau so funktioniert Abendland. Man versichert sich des gemeinsamen kulturellen Erbes, deutet es neu für die Gegenwart und hält es ewig frisch: ein schöpferischer, identitätsstiftender Vorgang, den Islamisten nie verstehen werden.

Wie deutete gestern Regisseur Tilmann Köhler „Macbeth“ neu am Deutschen Theater zu Berlin? Zunächst deuten hier Bühnenbild (Karoly Risz) und Kostüme (Susanne Uhl) eine Theaterwelt auf denkbar deutliche, fast usurpatorische Weise. Gab es je hässlichere Fetzen zu sehen auf den Leibern von Ulrich Matthes, dem Titelhelden, und der fünf Männer, die alle restlichen Rollen spielen bis auf jene von Lady Macbeth?

Der werdende König, der sich zum routinierten Killer entwickelt, trägt Pluderhose und Bomberjäckchen, als sei er einer Privatmiliz entlaufen, die sich in den Wäldern auf den kommenden Bürgerkrieg vorbereitet. Ganz am Schluss darf er einen Kunstpelz vorführen. Die fünf Männer holen sich ihre bunten Stoffe, manchmal auch ein Pudelmützchen, ein Netzhemd oder einen Kleiderfummel, aus großen Plastiksäcken und wechseln munter durch. Oft schützt nur ein hautfarbener Schlüpfer ihre Blöße. Schon klar: The world is a stage, Männer spielen Männer spielen Frauen. Kann man machen, sah man oft.

Im Töten ein Waisenknabe
 

Die Bühne ist ein hölzerner Trichter, der auf eine Luke zuläuft, aus der sich zu Anfang die fünf Männer quälen, als Leiberknäuel, aus dem erst im Anlegen der Fetzen und nur momenthaft Personen entstehen. Bezwingend ist das Gruppenbild, wenn einer sich als König Duncan (Mathias Neukirch)  entpuppt und die anderen mit ihren flatternden Händen eine Krone, mit dem Rücken einen Schemel bilden. Duncan nölt dazu und schaut sehr komisch von oben herab, denn Könige, das wissen wir, haben heute prompt einen Hau, erscheinen sie auf der Bühne. Soviel Ressentiment muss unsere Demokratie sich gönnen. Dass die Männer auch die Hexen geben, die Macbeth Macht und Untergang verkünden und beides so ins Werk erst setzen, ist konsequent und nicht ganz so Käfig-voller-Narren-mäßig, wie es zu werden drohte.

Einer aber ist einer, Macbeth. Individuum ist er in des Wortes strengstem Sinne, unteilbar, nicht Person, nicht Maske. Zu sich kommt er weniger, als dass er zu sich gestoßen würde, auf diesen einen entscheidenden Lebenspunkt von den Hexen und von seiner Frau gestoßen wird, an dem er die Grundregel seiner Individuation akzeptiert: Zum Herrschen bist du geboren, herrschen aber kannst du nur durch das Beiseiteräumen aller, die vor und neben dir zu herrschen begehren. Im Töten und Intrigieren ist er ein Waisenknabe, verglichen mit Richard III., den Lars Eidinger derzeit an der Berliner Schaubühne gibt. Anders als diesen packen ihn früh Skrupel.

Der Geist des ermordeten Banquo (Felix Goeser, kahlschädelig, stiernackig, von robuster Diktion) erscheint ihm. Indem aber die Skrupel das Morden nicht aufhalten, die Reflexion dem Arm nicht wehrt, ist Macbeth das modernere Scheusal. Er kann sein Tun durch kein Grübeln mildern, er tötet im vollen Bewusstsein, dass er Gefangener des falschen Denkens bleibt. Er ist ein Mörder wider die eigene Einsicht. Wenn er am Ende, in der nur leicht bearbeiteten romantischen Übersetzung von Dorothea Tieck, erklärt, das Leben sei ein Märchen, von einem Dummkopf erzählt, dann ist er selbst der Tropf, der sich herausstreicht aus dem bösen Drama.

Als Momentaufnahme konzipiert
 

Ulrich Matthes findet diese Selbsterkenntnis außen links und sehr weit vorne auf der Bühne, daneben herrscht Ruhe im Karton. Köhler inszeniert in klarer Dichotomie: die fünf Männer wuseln und kabbeln sich, schwitzen und grimassieren und rülpsen viel. Das schlimmste Paar der Theatergeschichte hingegen spielt klassisch die Stationen eines mörderischen Ehrgeizes durch, in maximaler Konzentration auf Wort und Gestik, statuarisch zuweilen. Matthes ist das Räsonieren in die immer ein wenig verhangene Stimme gelegt, er macht das grundsolide, ohne falsche Effekthascherei, als Solo für einen Superkünstler. Drama, Pathos, Herzenskälte sind bei Maren Eggert ähnlich gut aufgehoben – und doch überrascht die ansatzlose Brutalität, mit der diese Lady Macbeth ihrem Gatten die Zweifel aus dem Leib schreit. Eine Zugewinngemeinschaft ist diese Ehe, in der Zärtlichkeit ein Sondereffekt nur  eines bilateralen Angriffspaktes sein kann.

Bleibt etwas lange hängen von diesem „Macbeth“? Das wäre gegen die Intention. Er ist als Momentaufnahme konzipiert, will keine Parabel sein, keine großpsychologische Studie. Alles, was hier geschieht, geschieht einfach. Die Betriebstemperatur ist auf Lakonie gedimmt und Implosion, die schwitzenden fünf Kerle in ihren Schlüpfern oder T-Shirts verkörpern den Maschinenraum der Geschichte, in dem die Kessel der Affekte hart aneinander stoßen. Einen großen Abend kann man Köhlers Risz‘ und Uhls Neuerzählung nicht nennen, zu sehr ist er aus dem Geiste des Ad-hoc inszeniert. Eine Lektion aber hält er bereit: Ohne Herzensbildung wird Denken totalitär. Die Dialektik der Aufklärung steht nie still.

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