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Cicero

Humor - Kabarett in Zeiten des Wahlkampfs

Worüber streiten drei Kabarettisten in Wahlkampfzeiten? Luise Kinseher, Thomas Pigor und Arnulf Rating über den medialen Empörungszirkus und die Kraft des Witzes

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der August-Ausgabe von Cicero. Die Ausgabe ist weiterhin in unserem Online-Shop zu erhalten

 

 

 

 

Kabarett, heißt es, sei Empörung. Worüber sind Sie gerade empört?
Luise Kinseher: Über den Fall des vermutlich zu Unrecht in der Psychiatrie verwahrten Gustl Mollath kann ich mich herzlich empören.

Aarnulf Rating: Bei mir führt allein die tägliche Lektüre der Zeitungen zu einer Aufregung, die sich partout nicht legen will, auch nicht durch Tabletten. Dann bin ich heilfroh, wenn ich meine Empörung mitteilen kann. Die Leute zahlen sogar dafür.

Kabarett ist demnach Therapie in eigener Sache. Sie wollen gar nicht die Welt verbessern?
Rating: Doch, als junger Mensch hatte ich den Anspruch. Ich merkte aber rasch, dass das mit den kleinen Schaufeln, die uns zur Verfügung stehen, nicht gelingen kann. Der Fall Mollath ist nur ein Teil eines grundlegenden Systemversagens. Wir haben keine wirklich unabhängige Justiz, das zeigt der Fall NSU, das zeigte auch der Fall Buback. Da wurden Leute verurteilt für eine Tat, die sie gar nicht begangen haben konnten, weil sie nicht am
Tatort waren.

Die Frage nach dem Systemversagen treibt Sie weniger um, Herr Pigor. Der SWR, für den Sie seit zwei Jahren regelmäßig das „Chanson des Monats“ aufnehmen, bewirbt Sie als „Neuerer des deutschen Chansons“. Sind Sie ein unpolitischer Musikant?
Thomas Pigor: In unseren regulären Programmen machen harte politische Themen 10 Prozent aus. Durch das „Chanson des Monats“ bin ich zum ersten Mal in derselben Situation wie ein Wortkabarettist. Ich muss mich regelmäßig empören, muss mich umsehen, worüber sich die anderen empören, worüber ich mich schon mal empört habe oder mich gerne noch mal empören würde. Unlängst habe ich mich nach Herzenslust über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses empört und in ein Megafon mit verzerrter Stimme gesungen: „Baut den Palast der Republik wieder auf. Kein Hohenzollernparadies für Senioren!“

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Ist Musik besonders geeignet, Empörung zu transportieren?
Pigor: Ich behandle jene Themen, denen ich eine Pointe oder eine schöne musikalische Form abgewinnen kann. Kabarett mit einer klaren  Wirkungsabsicht war eine Sache der achtziger Jahre und des linken Milieus. Damals musste sich jemand, der morgens ausschlafen durfte, gegenüber dem früh aufstehende Arbeiter rechtfertigen. Der Künstler sagte, er arbeite zwar abends, aber für die Weltrevolution.

Haben Sie, Herr Rating, damals mit den legendären „Tornados“ für die Weltrevolution gearbeitet?
Rating: Ja, das haben wir. Aber die Welt hat es nicht ganz verstanden.

Sie standen damals mit einem Bein im Gefängnis, es gab Auftrittsverbote für die „Tornados“ und Gerichtsprozesse. Bedauern Sie, dass Kabarett heute eine so kommode Sache geworden ist?
Rating: Nein, überhaupt nicht. Deutschland war immer ein Humor-Entwicklungsland gewesen. Und in den achtziger Jahren war es eben noch weniger entwickelt als heute.

Pigor: Aber findest du nicht, dass man sich früher viel stärker mit einem großen weltpolitischen „Um zu“ gerechtfertigt hat? Kabarett war doch eine reine Zweckveranstaltung.

Rating: Als wir bei den „Tornados“ anfingen, haben nur ganz wenige so wie wir das Maul aufgerissen und sich einen Spaß mit dem ganzen real existierenden Quatsch gemacht. Heute ist das Kabarett für viele Lehrer oder gelernte Dekorateure eine echte Berufsperspektive. Als Entwicklungshelfer im Humorstandort Deutschland begrüße ich diese Entwicklung ausdrücklich. Es bekommt einer Gesellschaft, wenn sie Humor entwickelt und satirefähig wird. Sonst geht es schnell undemokratisch zu.

Einmal im Jahr findet in München auf dem Nockherberg zum Starkbieranstich das sogenannte Derblecken statt. Höhepunkt ist die Fastenpredigt, die traditionell von einem als Mönch verkleideten Kabarettisten oder Schauspieler gehalten wird. Sie, Frau Kinseher, haben diese Männerdomäne gebrochen und spielen nun die Bavaria. Dreimal bereits wurden die Politiker von Ihnen „derbleckt“, also ausgeschimpft.
Kinseher: „Derblecken“ kann man schwer übersetzen. Man spottet über den anderen, führt ihn vor, sagt ihm die Wahrheit ins Gesicht. Man sagt den
Mächtigen, was man über sie denkt und ist dabei möglichst deftig und humorvoll. Dann kommt das Starkbier, alles wird runtergeschluckt, und es geht weiter wie zuvor.

Das klingt nach Buße und Absolution.
Kinseher: Das „Derblecken“ hat einen sehr katholischen Ansatz. Wir können herumsauen, wie wir wollen, wir beichten und machen dann weiter. Es ist ein sehr sinnenfrohes Spektakel.

Alle müssen Ihnen zuhören, müssen lachen – eine traumhafte Rolle.
Kinseher: Ich will die Rolle zeitgemäß gestalten, ohne die Tradition zu brechen. Im normalen Kabarett kann ich nie jemandem direkt ins Gesicht sagen, was ich von ihm halte. Auf dem Nockherberg schon. Auch deshalb bemühe ich mich, in volkstümlichem Sinne eine Instanz darzustellen, mit moralischer Tiefe, ohne mit dem Zeigefinger zu drohen.

Pigor: Besteht aber nicht die Gefahr, in der persönlichen Konfrontation auf Schärfe zu verzichten?

Kinseher: Von mir wird als Bavaria immer erwartet, böse und scharf zu sein. Ich bin eine Frau und bin vom Wesen her nicht aggressiv. Aber ich habe eine hohe Sensibilität für Unwahrheiten, für Lügen und Ungerechtigkeiten.

Moralische Tiefe ist also gefragt. Sind Kabarettisten immer Moralisten?
Kinseher: Es geht um eine gewisse Haltung, die ich einem Politikbetrieb entgegensetze, der augenscheinlich teilweise verlogen ist. Sauer oder moralistisch will ich da nicht werden.

Herr Rating, gilt noch der alte Satz, ein Kabarettist müsse SPD-Mitglied sein?
Rating: Kabarett setzt sich ein für das, was in der Gesellschaft unterdrückt wird. Alles andere wäre Blödsinn – oder Bestätigungskabarett,
wie im Kölner Karneval. Vieles, was in Bayern unter Kabarett firmiert, ist für mich nur Folklore.

Pigor: Es gibt neuerdings auch neoliberales Kabarett.

Rating: Der „Satire-Gipfel“ in der ARD ist auch reines Bestätigungskabarett.

Kinseher: Ich finde aber, Kabarett ist generell Bestätigungskabarett, gerade das linke Kabarett. Wenn ich bei Georg Schramm im Publikum sitze, treffe ich nur Leute, die ihm zustimmen. Keiner steht auf und schreit Buh.

Rating: Es gibt Untersuchungen darüber, dass man sowieso nur die Meinung der Leute verstärken kann, die da sind.

Kinseher: Bestätigungskabarett!

Pigor: Einige Kollegen haben die Funktion des Predigers übernommen. Da wird fünf Minuten lang ohne jede Pointe tüchtig vom Leder gezogen, die Großpackung Moral inklusive.

Auch da ließe sich an Schramm denken.
Pigor: Lieber ein feuriger Prediger als ein müder Witzeerzähler. Interessant dabei ist die Funktion, die das Kabarett übernimmt. Anscheinend braucht auch der kritische Bürger jemanden, der ihm am gefühlten Sonntag die eigenen Maßstäbe zurechtrückt. Allerdings ist es gerade Kollege Schramm, der zuweilen auf grandiose Art die Sonntagsruhe stört.

Andererseits kann man den Eindruck gewinnen, der Raum des Sagbaren schwinde – im Namen der politischen Korrektheit. In einem „Chanson des Monats“ haben Sie jüngst bekannt: „Ich sage lieber nix …“ Moslems seien gleich beleidigt, schnell gelte man als Antisemit, „auch Hamas und Abbas verstehen nicht wirklich Spaß.“ Die Schlusspointe lautet, „ich singe lieber übers Wetter, Regen, Schnee und Blitzeis“. Ist es so schlimm?

Pigor: Mit bestimmten Themen handelt man sich schnell Ärger ein. Beim Islam kann man es eigentlich nur falsch machen. Die Figur, die ich in dem Chanson darstelle, ist ein solcher Übervorsichtiger. Kabarett unterliegt enormen Konjunkturen.

Ist das Publikum heute lachbereiter als früher?
Rating: Die Leute wollen lachen, das ist in Ordnung. Mir ist es wichtig, Kabarett dennoch nicht als Salon-Veranstaltung zu begreifen und sich schon gar nicht vom Fernsehen die Themen und Formen vorschreiben zu lassen. Heute gibt es Kabarett in allen Medien. Auch die Talkshows haben teil an einem allgemeinen Empörungszirkus, der folgenlos bleibt.

Pigor: Trotz der gewaltigen medialen Präsenz wird immer unterschätzt, wie vielfältig und groß die Live-Szene im deutschsprachigen Raum ist. In jedem Kaff gibt es einen Verrückten, der einmal im Monat eine Veranstaltung auf die Beine stellt. Kabarett im Fernsehen ist eine schmale Auswahl bestimmter Genres. Wir als musikalische Kabarettisten leiden darunter. Alle theaternahen Formen mit abendfüllender Dramaturgie haben es schwer.

Also begünstigt das Fernsehen das reine Nummernkabarett.
Rating: Ja, die Drei-Minuten-Terrine.

Pigor: Das Wort und das bekannte Gesicht werden bevorzugt. Das liegt an der Konzeption dieser Sendungen, die man auch anders takten könnte. Deshalb finde ich es doppelt schade, dass die lebendige Szene abseits des Fernsehens kein Bewusstsein von sich hat.

Unterstützt das Fernsehen bestimmte Moden?
Pigor: Klar. Momentan ist das Vorführen von Politikern schwer angesagt. Man zeigt Schnipsel mit Versprechern oder unvorteilhaften Szenen, und alle lachen. In den neunziger Jahren boomten die Politiker-Imitatoren, „Spitting Image“ und Co.

Der Wahlkampf biegt auf seine Zielgerade ein. Kommt das dem Kabarett zugute?
Rating: Wahlzeiten sind Zeiten erhöhter politischer Sensibilität. Das haben wir uns früher mit dem „Reichspolterabend“ zunutze gemacht, für den wir uns mit anderen Künstlern zusammentaten und durch die Lande zogen.

Da war auch Matthias Beltz dabei, oder?
Rating: Ja, stimmt. Wir haben so die ersten Wahlen nach der Wende begleitet. Heute, in einer derart eingefleischten Demokratie, werden die Wahlen immer unattraktiver, die Beteiligung sinkt. Das liegt auch daran, dass Politiker zwar alle Programme haben, diese aber im Gegensatz zum Kabarettprogramm meistens gar nicht aufführen. Die Parteien machen das Gegenteil von dem, was in ihrem Programm steht. Wer hätte gedacht, dass die CDU mal die Wehrpflicht abschafft und die SPD den Sozialstaat? So funktioniert Demokratie: Wer gerade am Ruder ist, muss die Schweinereien durchziehen. Deshalb ist es wichtiger, auf diese strukturellen Probleme hinzuweisen als auf die Wahlen.

Kinseher: So, du greifst also ein. Erzählst du deinem Publikum auch, wen sie wählen sollen?

Rating: Nein, könnte ich gar nicht. Das wäre Illusion, schließlich bleibt der Trog der gleiche, nur die Schweine wechseln. Steinbrück oder Merkel sind keine wirklichen Alternativen. Beide nehmen an der Bilderberg-Konferenz teil.

Kinseher: Da sind wir schon wieder beim Bestätigungskabarett. Der Kabarettist bestätigt die allgemeine Meinung, dass sich durch Wahlen nichts ändert.

Rating: Deshalb brauchen wir eine strukturelle Änderung. Die Lobbykratie ist das Problem. Die Drehtür-Effekte in der Politik sind nun einmal gewaltig. Politiker machen die Kontakte, die sie während des Amtes knüpfen, nachher zu Geld. Gerhard Schröder etwa muss auf seine alten Tage noch als Gasableser arbeiten, auch Joschka Fischer profitiert von seinem politischen Netzwerk. Bitte, nur zu, doch dann will ich als Wähler daran auch mit 25 Prozent beteiligt werden. Her mit der Kohle!

Sie lassen die Politiker beim Amtseid sagen, „Ich schwöre, am deutschen Volk zu verdienen, so bar mir Geld helfe.“
Rating: Ist es nicht so? Deshalb schlage ich vor, dass jeder Steuerzahler individuell – und ganz marktwirtschaftlich – entscheiden kann, wofür sein Geld verwendet wird. Drohnen, die nicht fliegen, müssen nicht alle finanzieren. Wer die Bundeswehr in dieser Form gut findet, sollte auch dafür zahlen.

Sie, Herr Pigor, kommen vom Theater. Wie füllen Steinbrück und Merkel ihre jeweiligen Rollen aus?
Pigor: Ich beobachte mit großer Trauer den Niedergang des Kabarettisten Steinbrück. Er war einmal wirklich witzig und ließ sich nun ausbremsen. Ich sehe ihm die Pointen förmlich an, die er im Kopf hat und nicht rauslassen darf. Als Kabarettkonsument bin ich vom Wahlkampf enttäuscht. Generell haben die Deutschen ein Problem mit brillanten Rhetorikern. In Frankreich hat der gute Redner einen Bonus, bei uns einen Malus.

In Ihrem Programm, Herr Rating, heißt es, Sie wählten aus ökonomischen Gründen Merkel, sie sei gut für das Kabarettgeschäft. Gingen Ihnen bei einem Kabinett Steinbrück, Trittin, Roth die Witze aus?
Rating: Wäre kein Problem. Bundeskanzler oder Bundeskanzleröse sind Strukturerscheinungen der Demokratie, aber nicht Ausdruck der tatsächlichen Macht. Und mich interessiert ja die tatsächliche Macht und deren Verteilung.

Früher dachte man, die Macht sei da, wo das meiste Geld sitzt.
Kinseher: Es gibt kaum etwas, das mehr über einen Menschen erzählt als die Bedeutung, die er dem Geld beimisst. Die Deutschen sehen in Geld vor allem Sicherheit. Und Frau Merkel strahlt für viele Sicherheit aus. Sie wirkt stoisch, als habe sie sich buchstäblich nichts zuschulden kommen lassen. Sie erscheint als personifizierte Verlässlichkeit. Das beeindruckt viele Menschen eher als die Frage, welche Art von Politik sie betreibt.

Herr Pigor, auf dem letzten Album klingen Sie fatalistisch: „Denn dass rohe Kräfte sinnlos walten, ist für manche nur ganz schwer auszuhalten.“ Ruht auf dem Boden eines jeden guten Kabaretts ein hoffnungsloser Fatalismus?
Pigor: Das weiß ich nicht. Ich hatte mir da Aufklärung erhofft.

Rating: Zu Zeiten der 68er wurde mit Marcuses Begriff der Manipulation gearbeitet. Das wünsche ich mir: Dass wir uns der Manipulationen bewusst werden, die uns umgeben.

Pigor: Die destruktiven Kräfte unseres Wirtschaftens werden immer offensichtlicher, der Zug für die große Systemveränderung ist jedoch abgefahren. Also bleiben nur kleine Stellschrauben: unabhängige Justiz, freie Presse, Bundesrechnungshof und Kabarett.

Die Comedy ist es wohl weniger.
Kinseher: Kleinkunst und Kabarett bilden ein wunderbares Feuchtbiotop für allerhand Künstlerseelen, die ihre Leidenschaften öffentlich machen. Da kommen immer neue Gewächse nach, auch Comedy. Heinz Erhardt war Comedy.

Rating: Das ist tatsächlich Fortschritt, dass nicht alle Leute in Supermärkten Regale auffüllen müssen, sondern davon befreit sind und ihr Maul aufmachen können. Demnächst wird Opel in Bochum verschwinden. Das sind wieder 10 000, die dann hoffentlich auf die Bühne gehen, ihre Meinung sagen und das Land in diesem Sinne weiter beleben.

Jetzt haben wir noch nicht geklärt, ob Thomas Pigor Fatalist ist.
Kinseher: Kannst es ruhig zugeben.

Pigor: Also gut. Wenn du das sagst.

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