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Jörg Thadeusz - „Ich bin ein schrecklicher Besserwisser“

Jörg Thadeusz will in seinem heute beginnenden Polittalk „Thadeusz und die Beobachter“ mit vier Hauptstadtjournalisten über Politik reden. Im Interview spricht er über die Notwendigkeit des Gesprächs, undemokratischen Journalismus und seine Schwäche für Anne Will

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

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Herr Thadeusz, ...
... Moment, jetzt kommt gerade mein Spaghetti-Eis.

Sehr stilecht. Ich habe gehört, dass es bei Spaghetti-Eis von essenzieller Wichtigkeit ist, dass die Sahne unters Eis kommt und nicht etwa oben drauf.
Wer macht denn die Sahne übers Eis? Da sollten Sie Ihren Bekanntenkreis dringend überdenken!

Apropos Spaghetti-Eis: Haben Sie grundsätzlich das Gefühl, dass es im deutschen Fernsehen zu viele Talkshows gibt?
Nein, überhaupt nicht. Anders als Tiere sind Menschen sprachbegabt und können sich unterhalten. Insofern ist es nur klug und richtig, dass sie das auch im Fernsehen tun. Es gibt viele besprechenswerte Themen und Menschen, die sich damit gut auskennen. Es wäre doch schade, wenn man da auf etwas verzichten müsste. Viele Printkollegen echauffieren sich über das Format des Polittalks oder machen sich lustig. Das sind dann oftmals dieselben, die ihre Interviews so hinredigieren, dass ihre Fragen am Schluss besonders originell wirken.

Nennen Sie mir Ihre drei Favoriten.
Ich habe eine bekannte Schwäche für Anne Will. Dann nehme ich mir ein Beispiel an verschiedenen Interviews, die Frank Plasberg führt. Und Maybrit Illner ist ebenfalls eine Königin für mich.

Auf wen könnten Sie gut verzichten?
Es gehört sich ja nicht, schlecht über Kollegen zu sprechen. Aber ich habe schon Schwierigkeiten mit dem ein oder anderen Moderatörchen. Da gibt es immer wieder fürchterliche Beispiele, leider auch in der ARD. Ich möchte da jetzt keine Namen nennen, die gehen wahrscheinlich sowieso schon mit einem schlechten Gewissen ins Bett.

Können Sie mir in diesem Zusammenhang erklären, was ein „geföhntes Würstchen“ ist?
Das ist jemand, der sich die Haar föhnen lässt, sich dann in ein Fernsehstudio stellt und alle nennen ihn Moderator.

Schießen Sie da gerade ein Eigentor?
Meine Haare lassen sich nicht mehr föhnen, sondern nur noch trockenreiben.

Seite 2: „Die Medien sind eine unkontrollierbare Macht“

Im einen wie im anderen Fall hat man jedenfalls häufig das Gefühl, am Ende einer Sendung ratlos zurückzubleiben. Meistens ist man danach genauso schlau oder dumm wie davor. Es sind immer die gleichen pseudo-investigativen Fragen, die gleichen Gäste und das Hin- und Herschieben der ewig gleichen weichgespülten Floskeln. Warum macht man hier keinen radikalen Schnitt, streicht ein paar Sendeplätze und zeigt stattdessen ein paar Dokumentationen?
Man muss sich das ja nicht permanent angucken. Aber ich komme da nicht drum herum; ich interessiere mich nun mal leider für Politik. Ich erlebe es gerne, wie Jürgen Trittin mit mir in einer Runde sitzt und ich am Schluss weiß, warum die Grünen nicht meine Stimme bekommen. Ich ärgere mich dann über diese herablassende, alle Leute gängelnde Art von Menschen, die sich da hinsetzen und so tun, als wüssten sie alles besser. Unmöglich und gleichzeitig: sehenswert. Und sei es nur, um sein eigenes Urteil zu schärfen.

Sind Sie auch ein Besserwisser?
Ein schrecklicher. Sozusagen von Beruf. Ich mache auch diese Sache mit dem erhobenen Zeigefinger. Ganz schlimm ist das.

In Ihren Polittalk laden Sie gezielt keine Politiker ein, sondern Journalisten als sogenannte „Beobachter“. Tatsächliche Objektivität existiert aber weder auf dem einen, noch auf dem anderen Feld. Welche Spezies ist schlimmer?
Journalisten unterscheiden sich von Politikern insofern, als dass sie für ihr Tun keine Verantwortung übernehmen müssen. Keiner der Journalisten, die Christan Wulff gehetzt haben, muss dafür heute gerade stehen. Jakob Augstein plappert auch, was er will, egal wie surreal das ist, was er da erzählt. Ich saß dabei, als er vor 400 aufgepeitschten linksliberalen Berlinern erzählte, wie schlecht die Lage in Deutschland sei – entgegen jeder Ziffer, nur dem Gefühlshaushalt Jakob Augsteins nach. Anders als große Wirtschaftsunternehmen oder die Politik sind die Medien eine völlig unkontrollierbare Macht. Der deutsche Presserat ist eine lächerliche Veranstaltung. Und das kann einem eigentlich nur Angst machen. In unserer Sendung sollen deshalb journalistische Prognosen überprüfbar gemacht werden – zumindest wollen wir uns daran versuchen.

Sie wollen in Ihrer Gesprächsrunde vermeiden, dass bestimmte politische Positionen gebetsmühlenartig abgerufen werden. Im Gegenteil, Sie räumen Ihren Beobachtern sogar die Freiheit ein, sich zu einem bestimmten Sachverhalt nicht zu äußern, sollte er oder sie davon keine Ahnung haben. Führen Sie Ihre Gäste damit nicht auch ein wenig vor?
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man bemerkt, dass sich ein Mensch mit einem Thema nicht näher befasst hat, dazu aber trotzdem eine dicke Lippe riskiert, dann macht er sich selbst lächerlich. Diese Pose der aufgeregten Fernsehkorrespondentin, die mit zappelndem Mikrofon vor dem Reichstag steht und von Dingen spricht, von denen sie nichts weiß, ist viel schlimmer.

Sie haben einmal gesagt, das Fernsehen sei fratzenhaft, fernab von Realität und verlogen noch dazu. Was machen Sie eigentlich im Fernsehen?
Jeder Mensch weiß ja, dass man sich geschminkt ins Fernsehen setzt und dann vielleicht ein bisschen anders spricht als daheim. Ich versuche einfach, Gespräche zu führen, die die Leute zuhause dann so oder so ähnlich weiterführen möchten. Die Verlogenheit des Fernsehens zeigt sich eher an anderen Stellen, bei Formaten wie „Bauer sucht Frau“ oder „Wetten, dass...?“, in denen Menschlichkeit vorgetäuscht wird.

Brauchen wir hierzulande eine neue, bessere Kultur des produktiven Streits?
Ich würde mir wünschen, dass wir es weniger verbissen täten. Wenn Sie Kommunistin wären und ich – als liberaler Charakter, der sich vor dem Staat fürchtet –, würde mit Ihnen zusammensitzen, könnten wir sicher gut miteinander streiten. Dann sollte aber klar sein, dass ich Sie trotzdem für einen sympathischen Menschen halte. Ich würde Ihnen nicht ständig üble Motive unterstellen und Sie mir hoffentlich auch nicht. Das würde dieser Kultur schon helfen. Es gibt einen Aufsatz von Kleist: „Die Verformung des Gedankens beim Sprechen“. Und das ist genau der Punkt: Je mehr wir über eine Sache sprechen, desto mehr ordnen sich unsere Gedanken. Natürlich laufen wir dabei Gefahr, uns zu verlieren, vor allem wenn man dabei Wein trinkt.

Seite 3: „Man wäre als Journalist gut beraten, sich hier manchmal etwas zurückzunehmen.“

Passiert Ihnen das häufig?
Ich verliere mich auch nüchtern.

Wenn man sich zuletzt die Enthüllungen rund um das Thema Steuerflucht ansieht, oder andere große Debatten wie zur NSU, den vielen Plagiatsaffären oder dem öffentlichen Fall eines Christian Wulff: Glauben Sie dann noch an den Journalismus und seine eigentliche Aufgabe?
Journalismus hat eine konstante Macht. Und ich habe das Gefühl, dass sich einige an dieser Macht gehörig berauschen. Damals haben ein paar Journalisten beschlossen, dass Christian Wulff wegmuss. Und auf einmal war er weg. Damit haben sie sich dann gebrüstet. Das ist undemokratisch! Es gibt nicht umsonst ein Verfassungsorgan, das den Bundespräsidenten wählt. Nirgendwo steht, dass die Presse ihn anschließend aus dem Amt beleidigen darf. Mit diesen angeblichen Erfolgen einzelner Journalisten habe ich meine Probleme.

Heißt das, man müsste das Profil des Journalismus wieder schärfen?
Das ist ein deutsches Spezifikum, weil es hier teilweise unsauberer zugeht als anderswo. Im BBC-Radio habe ich einmal einen Beitrag über Silvio Berlusconi gehört, der sehr lehrreich war und in dem ich viele Dinge erfahren habe, die ich vorher nicht wusste. Das Urteil über Berlusconi ist weltweit bereits gesprochen und man denkt, man müsse sich darüber nicht mehr unterhalten. Die Journalisten haben ihre Meinung ja bereits mitgeteilt. Man wäre als Journalist gut beraten, sich hier manchmal etwas zurückzunehmen. Objektivität gibt es nicht – das wissen Sie so gut wie ich –, aber es gibt ein Interesse an der Sache. Mir wäre daran gelegen, zu sagen: Warten wir doch erstmal ab, wollen wir doch erstmal sehen. Das sind Sätze, die sich Journalisten mantraartig einsprechen sollten.

Zum Schluss noch eine kurze Frage: Können Sie mir in 60 Sekunden das Prinzip des ESFS erklären.
Natürlich.

Herr Thadeusz, vielen Dank für das Gespräch.

„Thadeusz und die Beobachter“ ist ab Dienstag, 9. April um 22.15 Uhr im RBB zu sehen.

Das Interview führte Sarah-Maria Deckert.

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